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06.12.2023, Berlin: Yehuda Teichtal, orthodoxer Rabbiner, und Rabbi Shmuel Segal tanzen nach der Einweihung des Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor. Ab dem 07. Dezember 2023 beginnt das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Kay Nietfeld

Schatten über dem Lichterfest: Viele Ängste und Sorgen zu Chanukka in Berlin

Zum Entzünden des großen Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor kommt in diesem Jahr erstmals der Bundeskanzler. Es ist ein Zeichen der Solidarität. Viele Jüdinnen und Juden wünschen sich das auch im Alltag.

Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Ein Licht entzünden, zusammenrücken, Zeichen setzen, darum geht es jetzt für Yehuda Teichtal. „Die Botschaft von Chanukka ist: Licht über Dunkelheit, Liebe über Hass“, sagt der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Chabad Berlin.

Teichtal ist Berufsoptimist, im Sommer erst hat er in Berlin das größte jüdische Bildungszentrum seit der Shoah eröffnet. „Wir bauen, um zu bleiben“, sagte er damals. Diese Zuversicht betont er noch immer. Aber selbst ihm fällt das gerade nicht ganz leicht.

Teichtal ist Gastgeber, wenn zu Beginn des jüdischen Lichterfests an diesem Donnerstag der zehn Meter hohe Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor entzündet wird. Erstmals kommt sogar Bundeskanzler Olaf Scholz. In einer Zeit, in der viele jüdische Deutsche in ihrem Land wieder Angst haben, betont Scholz die Solidarität und den Kampf gegen Antisemitismus. Beruhigen kann das trotzdem nicht alle.

Enorm viele antisemitische Vorfälle seit dem 7. Oktober

Fast 1000 antisemitische Vorfälle haben die Meldestellen des Netzwerks Rias bundesweit im ersten Monat seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober registriert. Allein in Berlin waren es 282 derartige Taten. Jüdinnen und Juden berichten, dass sie ihre Zeichen verstecken, den Davidstern oder die Kippa. Jüdische Kitagruppen fahren nicht mehr U-Bahn, weil die Kinder dort hebräisch sprechen könnten. Juden, die sich noch in Busse und Bahnen trauen, hören dort Gespräche ihrer Mitmenschen, die über das Töten von Juden oder Israelis fantasieren. All das hat Rias erfasst.

Am größten aber war der Schock über sogenannte Markierungen - der Davidstern an Häusern, in denen Juden leben - und über einen Beinahe-Anschlag auf eine Berliner Synagoge im Oktober. „Dieser versuchte Brandanschlag hat zu einer enormen Erschütterung des Sicherheitsgefühls in den jüdischen und israelischen Gemeinschaften geführt“, berichtet Rias. Der frühere Außenminister Joschka Fischer bekannte auf „Zeit Online“, er hätte nicht für möglich gehalten, was seit dem 7. Oktober in Deutschland passiert sei. „Ich schäme mich für unser Land.“

„Licht, das die Dunkelheit vertreibt“

Das klingt düster zu Beginn eines eigentlich freudigen Fests, das dieses Jahr bis zum 15. Dezember dauert. Der Hintergrund von Chanukka ist zwar ganz anders als der von Weihnachten – erinnert wird an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem nach einem Aufstand gegen die Griechen 164 vor Christus und an das „Lichtwunder“ eines acht Tage brennenden Leuchters.

Traditionelle Speisen sind nicht Stollen und Lebkuchen, sondern in Öl gebratene Krapfen und Kartoffelpuffer. Aber Symbole und Botschaft ähneln sich doch: Licht in der dunklen Jahreszeit, das Feiern in der Familie, Geschenke.

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„Chanukka ist eines meiner Lieblingsfeste in der jüdischen Liturgie“, sagt Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. „Gefeiert wird das Licht, das die Dunkelheit vertreibt.“ Bildlich stehe das für die Angst, die vertrieben werden soll. Seit dem 7. Oktober lasse diese Angst viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft zwar nicht mehr ganz los. Die Gefährdung sei real, das werde sich nicht von heute auf morgen ändern, meint Klein. „Aber was mir Jüdinnen und Juden auch immer wieder sagen, ist, dass sich Angst besser ertragen lässt, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.“

Ein Licht im Fenster, Aufstehen gegen Hass

Ein Zeichen der Zuwendung, jenseits des Streits über den Nahost-Konflikt, das wünschen sich viele Juden in Deutschland. Die Mehrheit der Nicht-Juden sei nicht antisemitisch eingestellt, aber Ängste von Juden seien vielen egal, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, der „Zeit“ „Sie denken nichts. Sie sagen nichts. Der Hass auf uns berührt sie nicht. Dieses Schweigen ist bitter.“

Es gebe Solidarität, betont Rabbiner Teichtal, aber nicht ausreichend. „Wir wünschen uns, dass mehr aufstehen. Der eine stellt ein Licht ins Fenster, der andere engagiert sich im Kiez, es gibt viele Wege und viele Zeichen. Jeder kann das machen nach seinen Möglichkeiten. Hauptsache ist, dass Menschen aufstehen und zeigen: Wir werden keinen Hass zulassen.“

Yehuda Teichtal, orthodoxer Rabbiner, weiht den Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor. Ab dem 07. Dezember 2023 beginnt das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka.
Yehuda Teichtal, orthodoxer Rabbiner, weiht den Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor. Ab dem 07. Dezember 2023 beginnt das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka.

© dpa/Kay Nietfeld

Für Sonntag plant ein Bündnis um Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in Berlin eine große Kundgebung unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt - Deutschland steht auf“. Die Macher versuchen zu mobilisieren: „Alle Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, in Berlin Gesicht zu zeigen für ein friedliches und respektvolles Miteinander und sich Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land entgegenzustellen.“

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin wirbt ihrerseits für die Kampagne #weprotectjewishlife in sozialen Netzwerken, aber auch im echten Leben. Es gibt dazu Plakate und Aufkleber. Der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe sagt, er freue sich, wenn sich Menschen dem Solidaritätsaufruf anschlössen. Auch er äußert Hoffnung.

„Mit dem Lichterfest Chanukka feiern wir symbolisch auch den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, also den Triumph des Guten über das Böse“, meint Joffe. „Daher bin ich zuversichtlich, dass die Verunsicherung und die Sorgen, die momentan unter unseren Gemeindemitgliedern herrschen, langfristig wieder dem festen Glauben an gemeinsames, friedliches und sicheres Zusammenleben weichen werden.“

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