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Stehenbleiben lernen. Ein Surfer 1980 am Huntington Beach in Kalifornien.

© IMAGO/USA TODAY Network/Peter Brouillet

Der frühe Surfroman „Gidget“: Das ist die perfekte Welle

Frederick Kohner erzählt in seinem Roman „Gidget“ von der Liebe und dem Surfen. Schwerelosigkeit kann man in beidem erleben. Als das Buch 1957 in den USA erschien, wurde es sofort ein Bestseller.

Worauf es ankommt, ist stehenzubleiben. Am Ende weiß Gidget, wie es geht. Man darf sich nicht umwerfen lassen, muss den Elementen trotzen. „Ich glitt aufs Board und peitschte mit den Händen durch das Wasser und sauste wie ein Schnellboot über die Gischt.“ Zwei Jungs sind hinter ihr hergerannt, vom Strand aus rufen sie hinter ihr her und fuchteln warnend mit den Armen.

Nein, sie wird jetzt nicht umdrehen, dafür genießt sie es viel zu sehr, auf dem Surfbrett zu stehen und hinauszugleiten auf den Pazifik. „Eine Welle und noch eine Welle, haushoch, aber das machte mir nichts.“ Die Zähne zusammenbeißen und auf die sich formierenden Wellen zielen. „Ich wurde bis zum Himmel emporgehoben … und sank. Aber ich blieb stehen.“ Sie schreit „Olé!“. „Und ich stand immer noch“. Ein Triumph.

Gidget ist die Heldin des gleichnamigen Romans von Frederick Kohner, der 1957 in den USA herauskam. Eigentlich heißt sie Franziska, den Spitznamen hat sie von den „Surf-Vagabunden“, die sie am Strand von Malibu kennengelernt hat. Er ist zusammengesetzt aus „Girl“ (Mädchen) und „Midget“ (Zwerg). Sie ist knapp 1,50 Meter groß, behauptet 17 zu sein, ist aber erst 15. Das Surfen wird für sie zu einem Akt der Befreiung, mit dem sie die Kindheit hinter sich lässt.

Der wirkliche Name von Gidget ist Kathy. Kohners Tochter hatte ihm so eindringlich von ihren Erlebnissen im Wasser und am Strand erzählt, dass er ihre Geschichte innerhalb von sechs Wochen niederschrieb.

Der Debütroman des deutsch-jüdischen Hollywood-Emigranten wurde ein Bestseller, es folgten eine Verfilmung und fünf Fortsetzungen wie „The Affairs of Gidget“ und „Gidget goes Rome“. Nach einer ersten deutschen Übersetzung mit dem befremdlichen Titel „April entdeckt die Männer“ (1959) ist „Gidget“ jetzt in einer schlagfertigen und schwärmerischen Neuübersetzung wiederzuentdecken.

Verliebt in Moondoggie

Das Surfen, ursprünglich in Hawaii erfunden, war 1957 noch weit davon entfernt, ein Massenphänomen zu sein. Die Beach Boys sollten ihren ersten Hit „Surfin’ USA“ erst 1962 veröffentlichen. Die Surfer, denen Gidget begegnet, sind junge Männer mit Ulknamen wie Stinky, Moondoggie oder Kamoona. In Moondoggie wird Gidget sich verlieben, und Kamoona, der in einer Bambushütte haust und sich von Fischen und Krebsen ernährt, die er im Meer fängt, ist der Anführer der Gruppe.

Surfen ist mehr als bloß ein Sport, Kamoona sieht darin eine grundsätzliche Haltung zum Leben. Fast eine Utopie. Währen die anderen nur „Saison-Surfer“ sind und sich ab dem Spätherbst wieder ihrem Studium oder Job widmen, ist er ganzjährig auf der Suche nach der perfekten Welle, von Peru bis Honolulu. Und das nahezu ohne Geld. Dabei ist ihm eine Erkenntnis gekommen: „Der einzige Weg, wirtschaftlich unabhängig zu sein, ist die Unabhängigkeit von der Wirtschaft“

Surfen als Lebenseinstellung

Was braucht man mehr für ein Robinson-Dasein am Meer, außer ein paar T-Shirts, einer abgeschnittenen Jeans und Badelatschen aus alten Autoreifen? Kamoona, wird geraunt, soll unbeschadet aus einem Zero Brake herausgekommen sein, einer Riesenwelle, die sich bei Stürmen oder einem Erdbeben auftürmt. Im stolzen Außenseitertum dieses Aussteigers kündigt sich das kalifornische Hippie-Zeitalter an.

„Gidget“ ist aber vor allem ein Coming-of-Age-Roman. Die Heldin lernt das Surfen und die Liebe kennen, Schwerelosigkeit kann man bei beidem spüren. Gidget möchte sich auf Dauer in „Liebeshausen“ einnisten. Dort herrschen drei Regeln: „Erstens: dass du auf ihn stehst, ist wichtiger, als dass er auf dich steht. Zweitens: du würdest ohne Bedenken alles, wirklich alles tun, um ihm nahe zu sein. (...) Drittens: das ganze ad infinitum.“

Gidget will in „eleganten Worten“ erzählen. Und sie schwört, dass alles, was sie mitzuteilen hat, wahr ist. „Wir tanzten. Es war schummerig und roch nach abgestandenem Rauch, aber das war alles vollkommen irrelevant. Ich war fast wunschlos glücklich, auf eine benommen-schwindelige Art.“ Franzie tanzt mit Jeff aka Moondoggie zu Jukeboxmusik in einer Bar. Allerdings ist Jeff eigentlich mit Stella liiert, seiner College-Flamme.

Der schnippische, forciert naive Tonfall, in dem Franzie von der Liebe erzählt, hat ein Vorbild: Françoise Sagan. Deren Roman „Ein gewisses Lächeln“ hat sie dreimal gelesen, und einmal tischt sie Jeff eine Szene aus Sagans Weltbestseller „Bonjour Tristesse“ als selbst erlebt auf, um ihn eifersüchtig zu machen. Sie leidet. Aber dieses Leiden ist „zuckersüß“. Gefühle können so schnell umschlagen wie der Wind am Meer. Und das Leben am Strand kann im nächsten Sommer schon ein ganz anderes sein.

Frederick Kohner, 1905 in der damals österreichischen Bezirksstadt Teplitz-Schönau geboren, hatte seine Karriere als Filmkritiker und Drehbuchautor in Berlin begonnen. 1936 folgte er seinem älteren Bruder Paul nach Hollywood, der dort eine legendäre Schauspielagentur aufbaute, mit Klienten wie Marlene Dietrich, Greta Garbo und Henry Fonda.

Fredericks Tochter Kathy ist heute 83 Jahre alt. Sie arbeitet in einem Restaurant in Strandnähe. „Beach ist meine Heimat“, hat sie dem Kritiker Volker Weidermann gesagt, der ein Nachwort für „Gidget“ schrieb. Sie surft noch immer jeden Tag. Allerdings nur noch im Traum.

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