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Marieluise Fleißer (1901 - 1974).

© AdK, Berlin, BBA, Fotoarchiv 10/074, Fotograf*in: unbekannt

Literaturwoche: Mehr Fleißer lesen

Das Berliner Brecht-Haus feiert die Schriftstellerin Marieluise Fleißer mit einer Literaturwoche. Dort erzählt ihr letzter Lebensgefährte, wie sehr sie sich über ihre späte Wiederentdeckung freute.

Eine Glosse von Christian Schröder

Die Premiere von Marieluise Fleißers Provinzhöllendrama „Pioniere in Ingolstadt“ am 30. März 1929 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm endete in einem legendären Theaterskandal. Regisseur Bertolt Brecht hatte das Stück, das von der Liebelei eines Dienstmädchens mit einem Soldaten handelt, textlich und szenisch zugespitzt. Die Entjungferung der jungen Frau fand in einem rhythmisch wackelnden Kabäuschen statt.

Die rechtsnationale „Deutsche Zeitung“ empörte sich über den „sexuellen Ur- und Affenwald“ des „Dreckdramas“. Ein anderer Kritiker sprach von „hysterischen Unverfrorenheiten und Entgleisungen einer aus der Art geschlagenen Frauenphantasie“. Sogar der Polizeipräsident griff ein und bat um „mehr Diskretion“ auf der Bühne.

Für die damals 27-jährige Schriftstellerin markierte der Eklat einen biografischen Bruch. Sie fühlte sich von Brecht ausgebeutet, verließ Berlin, und als sie 1932 in finanzielle Nöte geriet und in ihre Geburtsstadt Ingolstadt zurückkehrte, galt sie dort als Nestbeschmutzerin.

Zwar hatte niemand dort das Stück gesehen, doch über die Verrisse berichtete die Lokalpresse genüsslich. Die Hymnen, die etwa Alfred Kerr der Dramatikerin gewidmet hatte, waren hingegen nicht bis in die Donaustadt vorgedrungen. Das erzählte Klaus Gültig jetzt bei der Marieluise-Fleißer-Woche, die das Literaturforum im Brecht-Haus ihr bis einschließlich Freitag widmet.

Gültig ist Fleißers Neffe, er war ihr letzter Lebensgefährte und verwaltet nun ihren Nachlass. Die Nazis hatten ihre Stücke und den Roman „Mehlreisende Frieda Geier“ verboten. Nur mühsam gelang es ihr nach 1945, wieder Fuß zu fassen als Autorin, etwa mit der Erzählung „Avantgarde“ über die Zeit mit Brecht.

Ihre Wiederentdeckung begann langsam: 1966 inszenierte Peter Stein an der Berliner Schaubühne ihr Stück „Der starke Stamm“, 1968 brachte Rainer Werner Fassbinder ihre „Pioniere“ unter dem Titel „Zum Beispiel Ingolstadt“ in seinem Münchener Action-Theater heraus. 1972 - zwei Jahre vor ihrem Tod - erschienen die „Gesammelten Werke“ bei Suhrkamp. „Sie hatte den Eindruck, sie sei aus der Zeit herausgefallen und müsse sich erst wieder in die neue Zeit hineinschreiben“, erzählte später der Herausgeber Günther Rühle.

Dramatiker wie Franz Xaver Kroetz und Martin Sperr erkannten in Fleißer eine Vorfahrin. Damals, berichtete Klaus Gültig, sei er mit seiner Tante ständig im Theatern gewesen, und wenn sie danach noch in einem Lokal saßen, war sie von lauter jungen Menschen umgeben. Bei der Fleißer-Woche geht es um Avantgarde, Klassenverhältnisse oder (heute ab 19 Uhr) die „weibliche Moderne“.

Alle Veranstaltungen werden bei Youtube gestreamt. Was sich genauso dringend empfiehlt: Marieluise Fleißer zu lesen. Etwa die pointierten Erzählungen wie „Ein Pfund Orangen“ oder ihren einzigen Roman, der in der überarbeiteten Fassung inzwischen „Eine Zierde für den Verein“ heißt (mehr Informartionen zu den Veranstaltungen unter lfbrecht.de/projekte/marieluise-fleisser-woche).

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