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Lucie Leydicke in ihrem Lokal

© Klaus Lehnertz/Tagesspiegel-Archiv

Ein Platz für eine legendäre Wirtin: Tempelhof-Schöneberg ehrt Lucie Leydicke

Lucie Leydicke war in Berlin-Schöneberg und darüber hinaus als Wirtin bekannt. Jetzt will der Bezirk einen Platz nach ihr benennen. Die Entscheidung hatte sich nach einem Zeitzeugenbericht verzögert.

Tempelhof-Schöneberg soll einen Lucie-Leydicke-Platz bekommen. Die Bezirksverordnetenversammlung hat am Mittwoch beschlossen, den Platz, an dem der Crelle-Markt stattfindet, nach der über den Bezirk hinaus bekannten Wirtin zu benennen. Die Wirtschaft „E. & M. Leydicke“, gegründet 1877 und bekannt für eigene Fruchtweine und Brände, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts in der nahen Mansteinstraße beheimatet, wurde während der Studentenbewegung in den sechziger Jahren zur Kultkneipe.

Das Lokal wird inzwischen von Lucie Leydickes Enkel Raimon Marquardt geführt, der bei der Inneneinrichtung möglichst keine Veränderung vornimmt. Marquardt äußerte sich sehr zufrieden über den Beschluss, mit der Benennung des Platzes an seine Großmutter zu erinnern. Es war bereits der zweite Vorstoß der BVV. Der erste war vor zwei Jahren aus straßenrechtlichen Gründen gescheitert; der damals vorgesehene Ort ist Teil der Crellestraße und hätte erst umgewidmet werden müssen. Diese Möglichkeit sieht der jetzige Beschluss – falls notwendig – vor.

Die Initiative, Lucie Leydicke zu ehren, kam von der Linken und fand Unterstützung bei der CDU und der SPD sowie den beiden Bezirksverordneten der FDP. Die AfD enthielt sich, die Grünen stimmten dagegen. Sie hatten Bedenken gegen eine Ehrung. Die Fraktion hatte den Bericht eines Zeitzeugen erhalten, welcher der 1980 gestorbenen Wirtin vorwarf, sich in den sechziger Jahren antisemitisch und rassistisch geäußert zu haben.

Die Ehrung wurde hier schon einmal vorweggenommen.
Die Ehrung wurde hier schon einmal vorweggenommen.

© Tagesspiegel/Sigrid Kneist

Dafür habe es aber keine weiteren Belege gegeben, sagte der Grünen-Bezirksverordnete David Braun, der neu in die BVV nachgerückt ist, in seiner ersten Rede. Andere Zeitzeugen hätten diese Äußerungen nicht bestätigt. Dennoch blieben die Grünen skeptisch: Braun verwies auf das überlieferte „lockere Mundwerk“ der Wirtin, das scherzhaft, aber auch „pöbelhaft“ gewesen sei. Leydicke sei Wirtin in einem legendären Lokal gewesen. Die Fraktion habe aber Zweifel, dass das Wirken ausreiche, um mit einer Platzbenennung im kollektiven Gedächtnis des Bezirks geehrt zu werden.

„Sie war eine Frau ihrer Klasse“, sagte Martin Rutsch von der Linken. Man würdige das Lebenswerk einer Frau, die hart gearbeitet habe. „Ich freue mich besonders, dass wir eine proletarische Frau ehren“, sagte seine Fraktionskollegin Christine Scherzinger. Auch die Sozialdemokraten fanden viele lobende Worte für die Wirtin, obwohl diese bekannt war für ihre Abneigung gegen die SPD. „Sie ist die richtige Frau für den richtigen Platz“, sagte der SPD-Bezirksverordnete Jan Rauchfuß, während SPD-Fraktionschefin Marijke Höppner auch darauf abhob, wie wichtig es sei, dass Straßen nach Frauen benannt werden. Johannes Rudschies von der CDU nannte Leydicke „eine überregional bekannte Persönlichkeit“.

Lucie Leydicke wurde oft als Berliner Original beschrieben; sie stammte jedoch aus der Lüneburger Heide. Als proletarische Frau hätte sie sich wahrscheinlich auch nicht bezeichnet. Der Autor Dieter Hildebrandt schrieb 1973 in einem Tagesspiegel-Artikel über eine Bemerkung der Wirtin, als jemand von ihrem „Laden“ gesprochen hatte: „Ich bin kein Laden, ich bin eine Fabrik.“

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