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Bolsonaro-Unterstützer beim Sturm auf den brasilianischen Kongress.

© AFP / SERGIO LIMA

Erst Washington, dann Brasilia: Ist die Demokratie weltweit in Gefahr?

Mit dem Angriff auf Regierungsgebäude in Brasilien wiederholt sich das Muster des Sturms auf das US-Kapitol vor zwei Jahren. Drei Experten analysieren, ob sich global ein demokratiefeindlicher Trend abzeichnet.

Freiheitshunger als Kraftreservoir für Demokratien

Der Angriff auf den brasilianischen Kongress und den Obersten Gerichtshof durch Wahlverweigerer, die Bolsonaro unterstützen, erinnert auf beunruhigende Weise an den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar vor zwei Jahren. Ob die Brasilianer einfach von ihren amerikanischen Kollegen inspiriert wurden oder ob es ein internationales Netzwerk von Autokratie-Sympathisanten gibt, das aktiv daran arbeitet, Demokratien zu untergraben, muss dringend weiter untersucht werden.

Aber es gibt nicht nur düstere Nachrichten, was die Demokratie weltweit betrifft. In den letzten Monaten sind in China und im Iran Tausende auf die Straße gegangen, um gegen Unterdrückung zu protestieren. Und auch das ukrainische Volk beweist außergewöhnlichen Mut, indem es seine Freiheit gegen die russische Aggression verteidigt. Diese Beispiele sollten uns daran erinnern, dass es in der Öffentlichkeit einen enormen Hunger nach Freiheit gibt. Dieser Freiheitshunger ist ein Kraftreservoir gegen all diejenigen, die versuchen, die Demokratie zu untergraben.

Die Unterstützer der Demokratie müssen daher alles daransetzen, eine breite Beteiligung der Bevölkerung am demokratischen Prozess zu fördern und die hohe Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit zu verdeutlichen. Hier können sowohl die Medien als auch soziale Plattformen eine wichtige Rolle spielen, indem sie die verdeckten Bemühungen von Extremisten aufdecken, Demokratie und Recht zu untergraben.

Hass, Desinformation, Terrorismus: Keine Einzelphänomene

Dass sowohl der Sturm auf das US-Kapitol als auch das Eindringen in das brasilianische Parlament Anfang Januar stattfanden, ist kein Zufall. In beiden Fällen führt die Spur zu anti-demokratischen Brandstiftern. Dabei war Bolsonaro immer mehr als ein Fanboy Donald Trumps, dessen Berater Steve Bannon öffentlich empfahl, das globale Destabilisierungspotenzial von Lateinamerikas größter Demokratie nicht zu unterschätzen.

Die Ereignisse zeigen uns, dass wir im Internetzeitalter den Kampf um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte und der daraus folgenden Stabilität nur gemeinsam gewinnen können. Dazu müssen wir vor allem aufhören, auf den Rest der Welt als „Globalen Süden“ herabzuschauen.

Wir brauchen einen robusten Dialog auf Augenhöhe zwischen Demokratien über die Frage, wie wir das Internet als Forum für produktiven Diskurs zurückgewinnen. Gleichzeitig brauchen wir nachhaltige Lösungen, die der hybriden Natur von Online-Radikalisierung gerecht werden. Hassrede, Desinformation, Verschwörungsideologien, Extremismus und Terrorismus müssen endlich gemeinsam bekämpft werden – nicht als Einzelphänomene.

Materielle Interessen der Demokratiefeinde

Demokratien sind bedroht. Aber durch wen? Die Bilder der parallelen Aufstände in Brasilien und den USA legen einen Täter nahe: eine Vorhut rechtsextremer Fanatiker, die mit Gewehren und Bibeln herumfuchteln während sie Institutionen plündern. Doch diese Erklärung, die sich stark auf Werte, Glauben und Kultur stützt, lässt die materiellen Interessen, die dahinter stehen, außer Acht.

Cui bono? In Brasilien ist die Antwort klar. Die Demokratie hat die ärmsten Teile der Gesellschaft in die Lage versetzt, politische Maßnahmen wie Agrarreformen und Mindestlöhne einzufordern – eine existenzielle Bedrohung für die Geschäftsmodelle der Rohstoffindustrie des Landes. Diese Geschäftsinteressen leben vom Chaos: In einem unregierbaren Land verkommt das Positivsummenversprechen einer demokratischen Gesellschaft zum Nullsummenkalkül aller gegen alle: entweder ich beute dich aus oder du beutest mich aus. Es überrascht daher nicht, dass Präsident Lula die Landwirtschaftsbranche als Hauptfinanzquelle des Aufstands in Brasilia bezeichnete.

Um der Bedrohung der Demokratie – in Brasilien und in der ganzen Welt – zu begegnen, reicht es nicht aus, die Aufständischen zu inhaftieren. Es ist notwendig, gegen die etablierten Interessen vorzugehen, die vom Chaos profitieren und die ihren Angriff auf die demokratischen Institutionen ihres Landes fortsetzen werden, solange man sie lässt.

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