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Die Sache hat einen blauen Haken: Die Verifizierung soll auf Twitter demnächst Geld kosten.

© Foto: Dado Ruvic/REUTERS

Blauer Haken auf Twitter wird kostenpflichtig: Wer bezahlt, kann den Diskurs bestimmen

Twitter war einst Spiegelbild der gesellschaftlichen Debattenkultur. Doch jetzt lässt sich Relevanz erkaufen. Es ist das Ende der demokratischen Meinungsfreiheit im Kurznachrichtendienst.

Ein Essay von Marie von den Benken

Viele Geschichten fangen mit „Es war einmal“ an. So könnte auch diese Erzählung über den Kurznachrichtendienst Twitter beginnen. Obwohl man neue Probleme meist nicht dadurch löst, dass man ganz viel darüber erzählt, was mal besser war. Deutschland war einmal das Land der Dichter und Denker. Die Welt staunte, wie aus diesen übersichtlichen 357.588 Quadratkilometern bücherweise Weltliteratur kam – und gleichzeitig bahnbrechende technische Errungenschaften.

Wo früher Goethe, Schiller oder Thomas Mann für die „Dichter“ und Albert Einstein, Werner von Siemens oder Otto Lilienthal für die „Denker“ standen, haben wir heute Michael Wendler, Hans-Georg Maaßen und Mario Barth. Die Welt schaut nicht mehr ganz so fasziniert auf uns.

Das hat Gründe. Erst kam das Internet, dann eine Reihe geschichtsträchtiger Ereignisse, die über Jahre angestauten Frust entfesselten: Die sogenannte Flüchtlingskrise ab 2015, die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine etwa. Der Ton beim öffentlichen Gedankenaustausch wurde rauer.

Es ging nicht mehr um Argumente, sondern um das Vernichten von gegensätzlichen Meinungen. Plötzlich durfte jeder alles sagen und das dann Freiheit nennen. Unterrubrik Meinungsfreiheit. Begriffe wie Cancel Culture wurden etabliert, um sich nicht mehr eingestehen zu müssen, dass man für einen hirnrissigen Post via Social Media unmittelbares Feedback bekommt.

Klicks, Likes, Replys

Wie ein Echolot des Wahnsinns versinnbildlichte Twitter in dieser Zeit all das, was unserer Gemeinschaft abhandengekommen ist. Mit dem Klimawandel schmolzen nicht nur die Pole, sondern auch der Anstand. Besonders beliebt, um von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken: der absurde Vergleich.

Relevanz wird zu einem turbokapitalistischen Luxusgut.

Marie von den Benken

Da darf Wolfgang Kubicki Bundesminister Robert Habeck mit Putin vergleichen, Alexander Dobrindt Klimaaktivisten mit der RAF und Elon Musk den kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau mit – er darf natürlich nicht fehlen – Hitler. Empörungsstürme und Boykottaufrufe. Aber auch: Gigantische Reichweite und Aufmerksamkeit. Klicks, Likes, Replys sind die neue Währung im goldenen Zeitalter der Social-Media-Klowände.

Wo früher halbstarke Pseudo-Rebellen ihren Jeanne d´Arc Moment feierten, indem sie mit Edding männliche Geschlechtsorgane auf Schultoiletten oder Bushaltestellen kritzelten, besudelt der Internet-Troll heute Kommentarspalten mit Beleidigungen, Fake News, Drohungen und Unterstellungen.

Lange galt Twitter als eher progressives Umfeld. Protagonisten, die heute gerne als linksgrünversifft oder woke gebrandmarkt werden, schienen noch Reichweitenhoheit zu haben. Spätestens vergangenes Jahr kam dann die Rettung für die Egos all der missverstandenen und untergebutterten Kämpfer für die Rettung des Abendlandes, der ungeimpfte Körper und Verbrenner-Motoren. Ritter Elon Musk ritt auf seinem Milliardenschimmel herbei. Mr. Tesla kaufte Twitter.

Mr. Tesla kauft Twitter: Seit der Übernahme von Elon Musk hat das Unternehmen seinen Wert halbiert.

© AFP/JIM WATSON

Was genau Musk mit Twitter anstellen möchte, weiß niemand. Vermutlich nicht mal Musk selbst. Der Unternehmenswert hat sich innerhalb weniger Monate halbiert, das Image des Genies aufgelöst. Um im Kulturkampf der Ideologien dem zahlungswilligen Krawall-Usern die Deutungshoheit zurückzugeben, schafft Musk nun die blauen Haken für relevanzbasierte Verifikationen ab.

Orchestrierte und bezahlte Propaganda

Die im Digitalbereich durchaus sinnvolle und etablierte Verifikation-Methodik soll relevante Personen des öffentlichen Lebens – vor allem Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und andere Prominente – als authentisch klassifizieren. Eine wichtige Hilfe für die Bewertung von Meinungen und Aussagen. Doch ab Samstag ist bei Twitter Schluss damit.

Blau behakt ist dann jeder, der bereit ist, dafür acht Euro im Monat zu bezahlen. Über Nacht bekommt die Meinung derjenigen die größte Reputation, die am meisten Budget zu investieren bereit sind. Trollfarmen können tausende Accounts mit blauen Haken ausstatten, sich so die Hoheit über jeden Twitter-Diskurs erkaufen und großflächig Stimmung gegen Andersdenkende machen.

Relevanz wird zu einem turbokapitalistischen Luxusgut. Wer bezahlt, erhält mehr Zuspruch. In politischen Debatten schlägt orchestrierte und bezahlte Propaganda dann wohl die inhaltliche Abwägung. Wahlen werden nicht mehr über das bessere Programm entschieden, sondern über wirtschaftliche Potenz. Das dürfte dann wirklich das Ende der Meinungsfreiheit sein. Ausgerechnet vom selbsternannten Retter der Meinungsfreiheit eingeleitet.

Zu hoffen ist, dass Elon Musk am Ende zwar dafür gesorgt haben wird, dass Geld den Diskurshorizont bestimmt – dies jedoch ausschließlich auf seinen exklusiven Ego-Spielplatz beschränkt bleibt. Und so wird sie dann endgültig enden, die Phase, in der Twitter ein Abbild unserer Gesellschaft war.

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