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Douglas Santos von „Favela Brasil Xpress“ bei der Auslieferung.

© Kristin Bethge

Erfolgsgeschichte aus der Favela: Ein Paketdienst verbindet das Armenviertel mit der Welt

Internetbestellungen direkt nach Hause? Für Millionen Menschen in Brasiliens Armenvierteln war das bis vor Kurzem ein ferner Traum. Dann hatte ein junger Favela-Bewohner eine Idee.

Von Bianca Kopsch

Givanildo Pereira kommt aus einer Mega-Favela. Deren Probleme sind der Schlüssel zu seinem Erfolg. Wenn der 22-Jährige über die schiefen Ziegelhäuschen seines Armenviertels in São Paulo schaut, springen ihm nicht nur die offensichtlichen Schwierigkeiten ins Auge, sondern es erwacht sein Tatendrang. „Ich hatte schon immer diesen unternehmerischen Blick und den Willen, den Menschen zu helfen.“ Damit hat er es in kurzer Zeit weit gebracht.

Er entspricht so gar nicht dem Klischee eines Favela-Twens. Hornbrille, hellblaues Kragenhemd, gediegene Stoffhose. So könnte er ohne aufzufallen im angrenzenden Nobelbezirk Morumbi flanieren, dessen imposante Hochhäuser hinter den unverputzten Favela-Bungalows hervorragen.

Givanildo Pereira in einem der Lagerräume seiner Firma.

© Kristin Bethge

Tatsächlich steht er jedoch neben der holperigen Einfahrtstraße in die Favela Paraisópolis, vor dem Firmencontainer seines Startups: Favela Brasil Xpress. Ein Paketdienst fürs Armenviertel. Was im benachbarten Morumbi selbstverständlich ist, gleicht hier einer Revolution: Ein Lieferwagen eines großen Onlinekonzerns fährt direkt ins Viertel. Bis vor Kurzem für viele Händler eine gewagte Vorstellung: zu unübersichtlich – und zu gefährlich. In einem Land, wo Frachtraub an der Tagesordnung ist, eine naheliegende Angst.

Favelas ausgeschlossen: Keine Onlinelieferungen nach Hause

Millionen Favela-Bewohner in ganz Brasilien blieben so vom Onlinegeschäft weitgehend ausgeschlossen. Auch Givanildo Pereira. Wollte er etwas im Internet bestellen, gab er dafür oft die Anschrift eines Bekannten außerhalb von Paraisópolis an. Oder er musste seine Ware an einem vom Lieferanten festgelegten Ort abholen.

Es war wie eine unsichtbare Wand aus Vorurteilen.

Givanildo Pereira über die Weigerung vieler Online-Händler, in Favelas zu liefern

Manchmal ging selbst das nicht. „Wenn ich die Adresse in der Favela eingab, mit der Postleitzahl von Paraisópolis, hieß es plötzlich, das Produkt wäre vergriffen. Das hat mich sehr traurig gemacht.” Er zuckt mit den Schultern. „Es war wie eine unsichtbare Wand aus Vorurteilen. Ich habe mich nicht als Teil der Gesellschaft gefühlt. Ich hatte nicht das gleiche Recht wie jemand aus einem Nobelviertel, bei dem die Adresse stimmt. Jemand aus der Favela ist es scheinbar nicht Wert, etwas an die Haustür geliefert zu bekommen.“

Die Favela Paraisópolis grenzt direkt an den wohlhabenden Stadtteil Morumbi, dessen Hochhäuser hier im Hintergrund zu sehen sind.

© Kristin Bethge

Wer hier lebt, kann sich zwar keine Miete in einem Mittelklasseviertel leisten, auf Haushaltsgeräte oder ein Handy wollen die Menschen jedoch auch hier nicht verzichten. Und diese können viele auch bezahlen, denn ihre Fixkosten sind in der Regel minimal.

Selbst von einem Mindestlohn zwacken sie noch etwas für den Kauf einer Waschmaschine oder eines Fernsehers ab, wenn auch oft auf Ratenzahlung. Während der Pandemie verschärfte sich die Lage: Die Nachfrage nach Onlinebestellungen wuchs – und damit das Lieferproblem.

Einfache Lösung, schneller Erfolg

Givanildo Pereira wollte sich nicht länger damit abfinden. Es sei auch eine Frage der Anerkennung. Diese wolle er den Anwohnern zusammen mit den Paketen liefern. Mit Hilfe des Wirtschaftsbündnisses G 10 Favelas zur Entwicklung der Armenviertel gründete er 2021 seinen Paketdienst. Das Konzept ist einfach: Die Onlinehändler liefern an einen zentralen Punkt am Eingang der Favela, den Rest übernimmt seine Crew vor Ort.

Am frühen morgen kommt bei Favela Brasil Xpress der LKW mit den Paketen an, die im Anschluss nach Liefergebieten sortiert werden.

© Kristin Bethge

Es ist neun Uhr morgens und die Arbeit in vollem Gange. Der Unternehmensgründer verfolgt die eingespielte Routine: Junge Leute in blauen T-Shirts mit Firmenschriftzug laden den ersten von mehreren Lieferwagen aus, die hier täglich ankommen. Geschickt werfen sie sich die Päckchen zu, scannen deren Strichcode, ordnen sie in beschriftete Gitterregale, je nach Ziel innerhalb von Paraisópolis und Nachbar-Favelas.

Mehr als eine Million Sendungen insgesamt hat der Service inzwischen ausgeliefert: Mikrowellen, Ventilatoren, Mixer, Schnellkochtöpfe, Kinderwagen – im Wert von umgerechnet rund 100 Millionen Euro. Mit diesen Dimensionen, hatte der Jungunternehmer nicht gerechnet.

Die größte Herausforderung ist es, das Vertrauen der Firmen zu gewinnen.

Givanildo Pereira 

Denn er fing klein an. Ganz klein: Allein. In der allerersten Testphase gab es nur ihn und einen Hersteller, dessen Reinigungsmittel er ausfuhr. „Ich stand um drei Uhr morgens auf und holte die Päckchen ab, mit einem geliehenen Fahrrad. Dann habe ich hier alles sortiert und in mehreren Runden ausgefahren. Bis Mitternacht. Ein Wahnsinn!“ Nach drei schweißtreibenden Wochen hatte er Fieber. Aber auch Gewissheit: Es würde klappen.

Trotzdem hatte er es anfangs schwer Handelspartner zu finden. „Die größte Herausforderung ist es, das Vertrauen der Firmen zu gewinnen, damit sie diesen Markt erschließen“, erklärt Givanildo Pereira. Sein Hauptargument: „Wenn sie nicht umdenken, verpassen sie hier eine große Chance.“

Sein Zustelldienst reduziere das Sicherheitsrisiko für die Unternehmen, davon versuchte er sie in einer langwierigen Verhandlungsphase zu überzeugen. Das Bündnis G10 gab ihm dabei Rückendeckung. Außerdem gewann er einen Förderpreis und damit Mentoring, um seinen Businessplan weiterzuentwickeln. Es gelang ihm, den Fokus auf das Konsumpotential lenken und die erste Firma zu überzeugen, ihm ihre Ware anzuvertrauen.

Ein Mitarbeiter von Favela Brasil Xpress fährt mit einem Tuk Tuk die Pakete in der Favela Paraisópolis aus.

© Kristin Bethge

„Es ist ein riesiger Markt. Die Favelas haben eine große Kaufkraft. Sie sind eine ernstzunehmende Größe. Für uns ist es daher wichtig, diese Menschen in die Welt des E-Commerce zu holen“, sagt André Biselli, Geschäftsführer von Americanas S.A., einer der größten Onlinehändler in Brasilien. „Das ist ein grundlegendes Umdenken!“

Sein Konzern habe zwar ansatzweise von dem Bedarf gewusst, aber vor der logistischen Herausforderung gestanden, sich in der Favela zurecht zu finden. „Favela Brasil Xpress hat unsere Probleme gelöst. Etwa das Finden von Adressen ohne Postleitzahl. Ein innovatives Pionierprojekt!“

Schnell wollten auch andere Konzerne mit dem Start-up ins Geschäft kommen. Für jedes ausgelieferte Paket zahlen sie eine handelsübliche Gebühr. Lukrativ für beide Seiten. Denn seit der Onlinehandel weitgehend freigeschaltet ist, zeigt sich in der Praxis, wie groß der Markt tatsächlich ist.

Erfolgsgeheimnis: Einheimische Kuriere mit Favela-Know-How

Allein in Paraisópolis leben geschätzt 100.000 Menschen. Es ist eine der größten Favelas des Landes – im Herzen der Millionenmetropole São Paulo, wie eine Stadt in der Stadt. Die Einwohner verteilen sich auf unübersichtlich verschachtelte Ziegelhäuschen, viele davon errichtet ohne Genehmigung und ohne offizielle Anschrift.

Die Ortskenntnis ist das Erfolgsgeheimnis des Kurierdienstes, denn seine Boten rekrutiert der Firmenchef direkt aus der Favela. Zudem gibt es einen selbstangefertigten Favela-Plan und mittlerweile auch eine App, die die Zustelladressen anzeigt. Je nach Route wählen die Kuriere das passende Fahrzeug: Fahrrad, E-Bike, Motorrad, Auto.

Oder das Tucktuck. Douglas dos Santos, ein junger Mann mit kurzgeschorenen Haaren, belädt den Transportcontainer eines dieser motorisierten Dreiräder. Damit kommt er auch durch die zahlreichen engen Gassen. Angst überfallen zu werden, habe er nicht. Er sei schließlich kein Fremder. Und auch der Chef versichert: Noch nie sei einer seiner Boten hier ausgeraubt worden.

Wir sind jetzt Teil des Stadtplans.

Gabriel Brandão, Kunde

Nicht weit entfernt, aber für ein auswärtiges Auge dennoch schwer zu finden – ohne Beschilderung, neben einem düsteren Durchgang, am Ende einer verschlungenen Treppe – wartet Anwohner Gabriel Brandão schon auf die Päckchen: Medikamente für seine kranke Katze.

Mittlerweile bestelle er alles Mögliche übers Internet, eine große Alltagserleichterung. „Früher haben wir zum Beispiel eine Mikrowelle bestellt und mussten das schwere Gerät im Laden abholen und herbringen – mit dem Bus. Oder wir mussten einen Verwandten bitten, sie für uns abzuholen“, erinnert er sich. „Das war sehr anstrengend und man verlor viel Zeit. Heute hat sich unser Leben vereinfacht. Außerdem fühlen wir uns integriert: Wir sind jetzt Teil des Stadtplans!“

Douglas Santos übergibt ein Paket an einen Kunden in der Favela Paraisópolis.

© Kristin Bethge

Auch für den Boten Douglas Santos ist es mehr als praktisch: Ein Job direkt vor der Haustür ist in der Favela ein Luxus. Noch dazu bei einer Firma, die ihren Mitarbeitern mit Logistikfortbildungen eine Zusatzqualifikation bietet. Und mit ihrem jungen Chef ein Vorbild. Auch das ist nicht selbstverständlich an einem Ort, wo vor allem für junge Männer das Risiko allgegenwärtig ist, auf die schiefe Bahn zu geraten.

Ich musste nie kriminell werden.

Douglas Santos, Kurierfahrer

„Ich musste nie kriminell werden“, sagt der 19jährige Kurier. Bisher sei er gut durchgekommen und jetzt habe er eine Perspektive dank Favela Brasil Xpress: „Sie unterstützen mich, wenn ich etwas brauche.“ Für seine Arbeit bekommt er zwar lediglich einen Mindestlohn von umgerechnet weniger als 250 Euro, doch er sieht den Job als Sprungbrett. „Ich möchte im Leben vorankommen und mir an Giva ein Beispiel nehmen. Er ist sehr intelligent. Ich versuche jeden Tag, mehr von ihm zu lernen: mich auf das Ziel zu konzentrieren und nicht aufzugeben.“

Genau das ist es, was der Firmengründer seinen Leuten, die ihn vertraut Giva nennen, vermitteln will. Er gibt mehr als 300 festen und freien Mitarbeitern in rund einem halben Dutzend großer Favelas des Landes Arbeit – und Selbstbewusstsein. Er kommt aus den gleichen sozialschwachen Verhältnissen und weiß, dass Viele hier zuallererst einmal eine Chance brauchen.

Auf der Suche nach einem besseren Leben zog es seine Familie vor zehn Jahren aus dem armen Nordosten des Landes in die Finanzmetropole São Paulo. Die reichste Stadt Brasiliens. Sie landeten in einem Armenviertel mit 100-jähriger Tradition: Einst siedelten sich in Paraisópolis die Arbeiter an, die nebenan den Edelbezirk Morumbi aufbauten. Ein harter Kontrast zur Realität der Favela – beherrscht von Drogenhandel, Arbeitslosigkeit, Hunger und Gewalt. Selbst Krankenwagen, Taxis und auch die Polizei machen oft einen Bogen darum.

Wir können Brasilien aus der Krise helfen.

Gilson Rodrigues, Präsident des Wirtschaftsbündnisses G 10 Favelas

Givanildo Pereira war zwölf Jahre alt, als er hier mit seiner Familie einen einfachen Favela-Bungalow bezog: zu zehnt gedrängt in zwei Zimmer, in einer extrem armen Gegend. Jetzt sitzt er im Chefsessel seiner eigenen Firma und denkt zurück: Es sah so aus, als könnte ich nur scheitern. Es bedarf viel Willenskraft und vor allem auch Chancen, um etwas für sich selbst, die eigene Familie und die Favela-Gemeinschaft tun zu können.“

Sein Ausweg: Bildung. Er konzentrierte sich aufs Lernen, bekam ein Stipendium an einer Privatschule, konnte nach dem Abitur studieren und einen Abschluss als Systementwickler machen. Schon früh begann er, sich sozial und unternehmerisch zu engagieren, erhielt Förderung und Auszeichnungen. Einige davon liegen gerahmt vor ihm auf dem Schreibtisch. Zum Aufhängen war noch keine Zeit. Es öffneten sich immer neue Türen.

Auch zum Büro des Präsidenten von G 10 Favelas. Gilson Rodrigues kennt hier jeder. Lange war er so etwas wie der Bürgermeister von Paraisópolis: Als Präsident der Anwohnervereinigung sowie des lokalen Handels holte er Filialen von Banken und Warenhäusern hierher. 2019 schloss er sich mit Unternehmern und Führungspersonen aus zehn der finanzkräftigsten Favelas des Landes zum Aktionsbündnis G 10 Favelas zusammen, um die Armenviertel wirtschaftlich voranzubringen.

Das Nähatelier Costurando Sonhos befindet sich im gleichen Gebäude wie Favela Brasil Xpress, hier werden unter anderem die Taschen für den Versand der Pakete genäht.

© Kristin Bethge

Als Givanildo Pereira in das Büro des G 10-Präsidenten eintritt, begrüßt dieser ihn mit vertrautem Schulterklopfen. Gilson Rodrigues war von Anfang an sein Mentor. Mittlerweile sind sie Freunde. Sein Unternehmen liegt auf dem Gelände von G 10. Regelmäßig nimmt der Jungunternehmer auf dem auf dem großzügigen Ledersofa Platz, trinkt Kaffee aus edlen Porzellantassen und holt sich vom erfahrenen Geschäftsmann Rat.

Rodrigues macht folgende Rechnung auf: In Brasilien dem bevölkerungsmäßig siebtgrößten Land der Welt, leben geschätzt rund 17 Millionen Menschen in den Armenvierteln. Fast jeder Zehnte. Zusammen hätten sie eine Kaufkraft von umgerechnet rund 30 Milliarden Euro. Dabei beruft er sich auf Erhebungen sozialer Initiativen und Institute. „Wenn wir heute schon soviel Geld bewegen, muss man sich mal vorstellen, wie das aussieht, wenn man diese Wirtschaft ankurbelt! Wir können Brasilien aus der Krise helfen!“

Seine Botschaften sind plakativ. In den brasilianischen Medien ist er zum gefragten Favela-Experten avanciert. Im Projektpavillon von G 10 hat er ein Radio- und TV-Studio eingerichtet, um seine Botschaft auf eigenen Kanälen umfassender zu verbreiten. „Die Favela-Bevölkerung wird behandelt, als wäre sie unsichtbar. Als wären wir keine Brasilianer. Als ob unser Real weniger wert wäre als ein Real im Nobelbezirk Morumbi.“ Der selbstbewusste Businessman bezeichnet die Favelas als „reich“. Die beste Art, das Leben hier zu verbessern, sei es, den Markt anzukurbeln und den Menschen Geld in die Hand zu geben.

Win-Win-Situation: Alle Seiten profitieren

Mit der Förderbank von G 10 lieferte Gilson Rodrigues das nötige Startkapital für Favela Brasil Xpress. Dafür genügten umgerechnet weniger als Dreitausend Euro. „Giva hat versucht Lösungen zu schaffen, wo die Leute vorher nur Probleme sahen“, sagt er.

Der Wirtschaftsförderer glaubte von Anfang an an die Geschäftsidee: „Wir messen den Erfolg nicht am potenziellen Gewinn, den unser Kredit ermöglicht. Es geht uns um die Auswirkungen auf die Favela: Arbeitsplätze, Einkommen, Lieferungen, Integration in die Gesellschaft. Es ist eine einfache Lösung, die der gesamten Favela Wohlstand bringt.“ Die Kreditrückzahlung habe keine Eile. Schließlich säße hier mit Givanildo ein angehender Favela-Millionär auf dem Sofa. Er zwinkert seinem Schützling zu. Der lächelt verunsichert zurück.

Um das Wachstum des Startups zu beschleunigen und auch andere lokale Geschäftsideen zu finanzieren, gründete Gilson Rodrigues kurzerhand eine „Favela-Börse“. Eine Art Crowdfunding. Schon für umgerechnet weniger als zwei Euro können Unterstützer über eine Onlineplattform in die Firma investieren und bekommen, wenn es gut läuft, etwas von deren Gewinn ab.

Favela Brasil Xpress eröffnete als Zugpferd von anvisierten 400 Favela-Unternehmen. Gleich am ersten Tag seien umgerechnet rund 15.000 Euro zusammengekommen. „Mehr als erwartet!“ freut sich der Initiator. Wenige Monate später sei die Marke von knapp 100.000 Euro erreicht worden.

Startup-Gründer Pereira ist es wichtig, dass auch die Händler vor Ort von seinem Zustelldienst profitieren. Es gibt Tausende allein in Paraisópolis. Daher funktioniert der Service auch in umgekehrter Richtung.

Wir können mehr produzieren und schneller ausliefern.

Maria Nilde dos Santos, Nähatelier Costurando Sonhos

Für das benachbarte Nähatelier kam er wie gerufen, denn während der Pandemie gab es plötzlich eine große Nachfrage nach Masken: An die zwei Millionen davon anzufertigen war für die Näherinnen eine große Herausforderung.

Eine noch viel größere jedoch bestand für sie in der Auslieferung. Entweder sie mussten diese selbst zur Post bringen, zahlten Fahrtkosten, Porto und verloren Zeit oder sie mieteten für größere Mengen einen Lieferwagen.

„Seit Giva das übernommen hat, müssen wir uns um Nichts kümmern. Er erledigt das alles für uns“, sagt Maria Nilde dos Santos, Inhaberin von Costurando Sonhos („Träume nähen“). „Mit seinem Service sparen wir Zeit, Geld und Personal. Wir können mehr produzieren und schneller ausliefern.“ Auch die Onlineverkäufe hätten zugenommen, mittlerweile allerdings für andere Artikel als Masken.

Der gestiegene Umsatz belebt die lokale Wirtschaft. Eine klassische Win-Win-Situation: Die großen Onlinekonzerne, die kleinen Favela-Händler, die Käufer, die Boten und deren Familien – alle profitieren. „Ich verstehe mich als Sozialunternehmer, der ein Problem löst und Chancen gibt“, sagt Givanildo Pereira. „Trotzdem bleibt es eine Firma, die Gewinne macht, Geld erwirtschaftet.“

Sozialunternehmer und Identifikationsfigur

Nach dem ersten Geschäftsjahr hatte er umgerechnet schon fast seine erste Million Euro verdient. Sein Leben hat sich komplett verändert: Er kann sich plötzlich etwas leisten. Ein Haus. Ein Auto. Die erste Auslandsreise. Auch seine Familie kann er finanziell unterstützen.

Der strebsame junge Mann ist zum Vorbild geworden. Wenn er in der Mittagspause über das belebte Gelände von G 10 geht, will kaum einer darauf verzichten, ein paar Worte mit ihm zu wechseln oder ihm im Vorbeigehen anerkennend auf die Schulter zu klopfen.

„Je mehr mir die Verantwortung meiner Position bewusst wird, desto mehr verändere ich mich: die Art zu denken, die Art zu investieren, sogar die Art zu gehen und die Art, mich vor anderen Menschen zu benehmen,“ sagt Pereira.

Das Geschäftsgebaren habe er zunächst ausgiebig studiert, denn eigentlich sei er eher schüchtern. Wie ein Zwang sei das gewesen. Genauso wie der Businesslook. Heute sei das für ihn selbstverständlich. Ebenso das neue Selbstbewusstsein: „Davon brauche ich jetzt natürlich mehr, um diese Identifikationsfigur auszufüllen, in die ich mich verwandelt habe...“ Er lacht verlegen.

Jetzt geht er auf Expansionskurs im ganzen Land - und darüber hinaus. „Wir haben noch nicht einmal ansatzweise die Größe erreicht, die wir haben können. Es gibt dieses Problem weltweit. Die Lösung ist also für die ganze Welt interessant.“

Doch es gehe es ihm um viel mehr als die Pakete: „Meine Hauptmission ist es, andere junge Leute zu inspirieren, selbst große Dinge zu tun“, sagt er. Er wolle „ihre Lebenswelt verändern und so ein Netzwerk schaffen, um den Wandel in Brasiliens Favelas voranzutreiben.“

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