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Menübuch der Königin Elizabeth II. aus dem Jahr 1959.

© SLUB Dresden, Ramona Ahlers-Bergner

Gerichte mit Geschichte : In Dresden eröffnet das Deutsche Archiv der Kulinarik

Was aß Kaiser Wilhelm zu Mittag? Was strich die Queen vom Speiseplan? Wie feierte der Schah 2500 Jahre persische Monarchie? Die originalen Quellen kann man in der sächsischen Landeshauptstadt sehen.

Von Felix Denk

Die Quellenlage, so würden es Historiker vielleicht formulieren, ist eher heterogen. Da ist zum einen der abgegriffene Taschenkalender von Herbert Schönberner. Nie gehört? Das ist der erste Deutsche, der drei Michelin-Sterne erkochte, für den „Goldenen Pflug“ in Köln. Seine Rezepte notierte er mit Kugelschreiber, oft ohne überhaupt drüber zu schreiben, was das mal werden soll, wofür man 100 Gramm Schokolade, 50 Gramm Zucker, sechs Eiweiß, drei Eigelb sowie drei Blatt Gelatine braucht.

Diese Angaben stehen auf einem vollgeschriebenen Zettel eines Kellnerblocks (König-Pilsener) mit Fettspritzern, den Schönberner in seine Kladde geklebt hat. Ein Kochbuch? Hat Schönberner nie veröffentlicht.

Ganz anders der Koch, den nun wirklich alle kennen, Eckhardt Witzigmann, er war der Erste, der in Deutschland drei Sterne holte (allerdings gebürtiger Österreicher ist). Schon in seinen Lehr- und Wanderjahren in Frankreich und den USA dokumentierte er akribisch, was wo wie gekocht wurde. In Schönschrift und abgeheftet in einem A4-Ringordner kann man da Rezepte wie Langouste Thermidor nachlesen oder die Terrine aus dem Collonges au Mont d'Or, dem Restaurant von Paul Bocuse bei Lyon.

Schätze dieser Art sammeln sie schon seit bald 20 Jahren in Dresden. Jetzt hat die Sächsische Landesbibliothek und die TU Dresden das Deutsche Archiv der Kulinarik auch offiziell eröffnet, inklusive eines eigenen Lesesaals samt schicker Ausstellungsräumlichkeiten.

Was das wohl wird, wenn’s fertig ist? Herbert Schönberner, der erste deutsche Koch mit drei Michelinsternen, veröffentlichte nie ein Kochbuch. Seine Rezepte notierte er in einen abgegriffenen Taschenkalender - oft ohne den Namen des Gerichtes.

© Felix Denk

Was Umfang und Tiefe angeht, ist diese Sammlung natürlich selbst ein Schatz; in Deutschland jedenfalls gibt es nichts Vergleichbares. Über 50.000 Medien der Kulinarikgeschichte hat man hier zusammengetragen: Bücher, Zeitschriften, Einladungen, Menü- und Weinkarten und vieles mehr. Das meiste aus privaten Spenden.

Schwerpunkte sind die Europäischen Fürsten- und Königshäuser des 19. Jahrhunderts und das sogenannte Deutsche Küchenwunder, ein Wort, das Wolfram Siebeck prägte, elektrisiert von einem Besuch im „Tantris“ im März 1975 und angespornt, den Aufschwung der Kulinarik seinen sonst dem Thema eher wurstig gegenüberstehenden Landsleuten schmackhaft zu machen.

Ganz aus dem Nichts kam dieses Küchenwunder nicht. Das zeigt die kleine, feine Ausstellung, die Josef Matzerath zur Eröffnung des Archivs kuratiert hat, der Professor für sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden treibt den Aufbau der Sammlung mit viel Einsatz voran. Witzigmanns berühmtes Kalbsbries Rumohr, ein Strudel mit Trüffel, Lauch und der Wachstumsdrüse des Kalbs, ist nach Carl Friedrich von Rumohr benannt, dem ersten Gelehrten, der eine systematische Theorie der Kochkunst verfasste.

Eine historische Ausgabe besitzt natürlich auch die Sächsische Landesbibliothek, in einem Schaukasten kann man sie bewundern. Vieles, was Rumohr vor 200 Jahren schrieb, etwa über die Fokussierung aufs Produkt, liest sich heute wie die Gebrauchsanweisung für die Nouvelle cuisine. Pastetchen mit Kalbsbries zu füllen, empfahl Rumohr in seinem Werk „Geist der Kochkunst“ schon 1822.

Das Menübuch von Kaiser Wilhelm aus dem Jahr 1929 stammt aus der Sammlung Ernst Birsner. Der Maitre de cuisine im Kochstudio des Burda Verlages vermachte der SLUB Dresden seinen Nachlass, der zwei LKW Ladungen mit 700 Umzugskartons umfasste.

© SLUB Dresden, Ramona Ahlers-Bergner

In diesem Archiv des guten Geschmacks schlummern natürlich noch ganz andere Überraschungen. Darunter der königliche Speiseplan aus der Sammlung Ernst Birsner, dem Maitre de cuisine im Kochstudio des Burda-Verlags. Allein sein Nachlass umfasste zwei LKW-Ladungen mit 700 Umzugskartons, 4000 Büchern und 43.000 Menükarten. In dem ledergebundenen Büchlein erfährt man etwa, dass Queen Elizabeth am 7. Juli 1959 keine Spaghetti Bolognese essen wollte. Mit Bleistift ist der Vorschlag der Küche durchgestrichen und handschriftlich ergänzt: „Omlette aux Tomates“. Von der Queen höchstselbst geschrieben? Schon möglich.

Im Oktober 1971 feierte der Schah das 2500-jährige Bestehen der persischen Monarchie. 18 Tonnen Lebensmittel wurden eingeflogen. An eines hatte man nicht gedacht: Kaffeemaschinen für 500 Gäste. Deshalb gab es am Ende einfach Nescafé.

© Felix Denk

Deutlich opulenter sind die in einer mit Intarsien geschmückten Schatulle verpackten Menükarten des 2500-jährigen Jubiläums der persischen Monarchie in Persepolis, die Feier am 14. Oktober 1971 gilt als prunkvollstes Dinner aller Zeiten.

Gerade werden die Bestände gesichtet, verschlagwortet und digitalisiert, durchaus eine Herausforderung – inhaltlich wie beizeiten auch graphologisch. Denn nicht alle hatten eine so schön lesbare Handschrift wie Witzigmann, der in seiner Menükarte im „Aubergine“ vom 15. Juli 1987 die Rechtschreibreform von 1996 vorwegnahm („Rote Beete“).

In Zukunft sollen diese so unterschiedlichen Quellen der Geschichte des guten Geschmacks interdisziplinär erforscht werden. Also nicht nur von Forschenden der Kultur- und Geisteswissenschaften, sondern auch der Lebensmitteltechnik, Chemie, Medizin und Psychologie, und so auch die naturwissenschaftliche Seite der Kulinarik vertieft werden. Und natürlich sollen die Ergebnisse mit Ausstellungen und Veranstaltungen immer wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Start macht Hunger auf weitere Entdeckungen

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