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Wenn der Briefträger nicht mehr klingelt: Tagelanges Warten auf die Post – wie kann das sein?

Rechnungen, Urkunden, Mahnungen: Dass die Post kommt, erwarten die Menschen – und ist auch gesetzlich vorgeschrieben. Doch immer häufiger kommt sie nicht an. Warum?

Wenn sich Menschen ein Leben wie im Film wünschen, denken sie vermutlich nicht an solche wie „Wenn der Postmann gar nicht klingelt“ aus dem Jahr 1997. Da nämlich wirft der Briefträger Roy Amundsen die Post, die er austragen soll, einfach weg.

Weit entfernt von der Realität ist der Film nicht mehr. Der Juwelier Joachim Reck aus der Nähe von Ulm zum Beispiel hätte seine 1700 Briefe tatsächlich einfach selbst wegwerfen können, statt sie der Post zu geben: Für das 30-jährige Jubiläum seines Geschäfts im Oktober ließ Reck Werbematerial erstellen, um seine Stammkunden einzuladen.

Doch am Tag des Jubiläums kam niemand in sein Geschäft. Die Deutsche Post hatte die Briefe nicht zugestellt. „Wir wunderten uns schon“, erzählt Reck am Telefon. „Nach und nach riefen dann Leute an und fragten, warum sie Einladungen für einen Termin bekamen, der in der Vergangenheit lag.“

Zwei Monate, 17.000 Beschwerden

Im pfälzischen Otterberg, nördlich von Kaiserslautern, kam die Post im Juli und August sogar ganze drei Wochen überhaupt nicht, wie Ortsbürgermeisterin Martina Stein berichtet. Und auch in Berlin sieht es in manchen Bezirken kaum besser aus. „Wir bekommen sehr unregelmäßig unsere Briefpost“, schreibt Sabine Carstens-Braun aus Steglitz. „Wenn es gut funktioniert, erhalten wir eine Zustellung pro Woche.“ Unterlagen ihrer Steuerberaterin hole sie nur noch persönlich ab – um nicht mit Zahlungen in Verzug zu geraten.

Auch Claus-Peter Clostermeyer, ebenfalls aus Steglitz, bekommt oft tagelang keine Post. „Ich bin kurz davor, meine zwei Tageszeitungen abzubestellen“, sagt er am Telefon. Oft brächte ihm die Post, deren Zusteller zum Teil auch Zeitungen austragen, über Tage gar keine Exemplare – und danach einen Stapel auf einmal. „Die sind dann natürlich Altpapier.“

Mehr als 17.000 Beschwerden über die Post gingen allein im Oktober und November bei der Bundesnetzagentur ein – so viele wie im ganzen letzten Jahr zusammen. Der oberste Prüfer der Post, Klaus Müller, Chef der Agentur, nannte die Post daraufhin ein „Ärgernis“.

Viel Arbeit, zu wenig Personal. Zusteller Deutschen Post.

© Getty Images/Sean Gallup

Was ist passiert? Warum bricht die Post genau jetzt zusammen? Und wird sie nun marode und unzuverlässig, quasi: eine zweite Bahn?

Wenn man mit Kunden der Post, mit Gewerkschaftsvertretern, der Bundesnetzagentur, dem Wirtschaftsministerium, mit Bundestagsabgeordneten, vor allem aber mit den Mitarbeitern selbst spricht, verdichtet sich der Eindruck, dass es nicht nur an Corona und dem allgemeinen Personalmangel liegt, wenn der Postmann nicht mehr klingelt – wie es die Post selbst behauptet. Sondern daran, dass das Unternehmen tiefgehende, strukturelle Probleme hat. Probleme, die zum großen Teil selbstgemacht sind.

Zehntausende Deutsche beschweren sich über unpünktliche Postzustellung, davon betroffen sein dürften weitaus mehr. Den volkswirtschaftlichen Schaden vermag die Bundesnetzagentur nicht zu beziffern – aber der symbolische ist immens. Die Deutsche Post war einmal zuverlässig, sicher, schnell. Das uneingeschränkte Briefgeheimnis bildete eine der zentralen Errungenschaften des Grundgesetzes. Heute ist die Post ein Unsicherheitsfaktor, ein Problem. Aber warum?

Die Sendungen werden immer mehr und wir werden immer weniger.

Postzusteller, anonym

Ursache Nummer eins: Die Post verschleißt ihre Mitarbeiter. „Die Sendungen werden immer mehr und wir werden immer weniger“, beklagt ein Zusteller. Mit ihm und weiteren Post-Mitarbeitern aus verschiedenen Regionen Deutschlands hat der Tagesspiegel über ihre Arbeitsbedingungen gesprochen. Anonym – denn andernfalls droht ihnen womöglich, ihren Job zu verlieren. Auch den Ort, an dem sie arbeiten, möchten sie nicht veröffentlicht sehen. Die Post versuche mit allen Mitteln, solche Mitarbeiter ausfindig zu machen, sagt ein Gewerkschafter.

Die Sendungsmengen haben vor allem in einem Bereich massiv zugenommen, dem Paketmarkt. Laut Geschäftsbericht der Post ging die Menge transportierter Briefe von 7,8 Milliarden im Jahr 2011 auf 6,3 Milliarden im Jahr 2021 zurück. In derselben Zeit verdoppelte sich die Anzahl der Pakete, von 900 Millionen auf 1,8 Milliarden.

Seit mehreren Jahren stellt die Post deshalb auf die sogenannte „Verbundzustellung“ um. Das heißt: Die Zusteller müssen nun alles bringen. Briefe und Pakete. Werbepost, Infopost, Kataloge, Einschreiben, Nachnahmen, Büchersendungen. 55 Prozent der Pakete würden aktuell im Verbund zugestellt, erklärt die Post auf Anfrage.

Ich musste schon 30 Kilo schwere Pakete mit Katzenstreu bis unters Dach tragen.

Postmitarbeiter, anonym

Der Zuwachs im Paketmarkt wiegt buchstäblich schwer: Bis zu 31,5 Kilogramm wiegen die Pakete, die man mit der Post verschicken kann. Für die Zusteller bedeutet das zusätzliche Anstrengung und zusätzlichen Aufwand. Während Briefe einfach eingeworfen werden können, müssen die Verbundzusteller klingeln, um Pakete abzuliefern, müssen sie das Treppenhaus hochtragen, oder, wenn niemand da ist, wieder mitnehmen – und sie müssen jeden Schritt mit dem Scanner dokumentieren. Das macht die Arbeit aufwändiger, komplexer, pausenlos.

Der Zuwachs im Paketmarkt wiegt buchstäblich schwer.

© imago/Ralph Lueger

„Ich musste schon 30 Kilo schwere Pakete mit Katzenstreu bis unters Dach tragen“, berichtet ein weiterer Postmitarbeiter. „Bei so mancher älteren Kollegin wundere ich mich, wie sie die schweren Pakete überhaupt bewältigt.“ Eine andere sagt: „Ich schleppe pro Tag zusammengerechnet mehrere Tonnen.“

Bei der Kommunikationsgewerkschaft DPV, die Angestellte im Post-Gewerbe vertritt, kennt man die Folgen: An Problemen „an der Wirbelsäule, am Rücken, an der Schulter, an den Knien, an den Handgelenken“ litten Beschäftigte, berichtet DPV-Chefin Christina Dahlhaus. Im Barmer-Gesundheitsreport 2021 landen „Berufe für Post- und Zustelldienste“ auf Platz 2 von 109, was die Zahl der Krankentage pro Versicherten angeht.

Für die Arbeit ruinieren sich einige der rund 120.000 Zusteller ihre Gesundheit bisweilen auch nachhaltig, erzählt Thorsten Kühn von der Gewerkschaft Verdi. Wie alle größeren Unternehmen müsse die Post fünf Prozent Schwerbehinderte beschäftigen. Diese Quote übererfülle die Post, sagt Kühn. Aber nicht, weil sie so viele Schwerbehinderte einstelle – sondern weil so viele Post-Mitarbeiter im Lauf ihrer Karriere schwere Behinderungen erleiden.

Schmerzmittel statt Krankmeldung

Laut Geschäftsbericht 2021 beschäftigt die „Hauptgesellschaft in Deutschland, Deutsche Post AG“, die Vorgaben übertreffend, acht Prozent „Menschen mit Behinderungen“, etwa 15.000. „Die wenigsten davon kommen direkt vom Arbeitsmarkt“, sagt Kühn.

Kühn kritisiert auch die hohe Befristungsquote der Post. Rund 13 Prozent der Beschäftigten arbeiteten zur Zeit als Befristete. Diese Zahl beziehe sich auf Zustellung, Sendungsverteilung – nicht aber auf die Verwaltung, wo es keine Befristungen gebe. In der Regel haben sie Verträge über zwei Jahre, in dieser Zeit müssen sie sich beweisen. „Die Post missbraucht die Befristungen als verlängerte Probezeit”, kritisiert Kühn.

Auch hier drohen gesundheitliche Schäden. Innerhalb der zwei Jahre dürfen die Beschäftigten maximal 20 Tage krank sein. Sonst erhalten sie keinen dauerhaften Vertrag. Befristete nähmen mitunter Schmerzmittel, um sich nicht krankmelden zu müssen, berichtet DPV-Chefin Dahlhaus. „Ein Kollege hat neulich trotz starkem Husten gearbeitet und danach eine Lungenentzündung bekommen“, erzählt eine Post-Mitarbeiterin.

Bei einer Corona-Infektion kommt man um eine Krankmeldung allerdings oft nicht herum. Allein im Juli dieses Jahres meldeten sich laut Angaben der Post 6800 Zusteller wegen Corona krank, also ungefähr jeder Zwanzigste. Im Juli des Vorjahres seien es nur 100 gewesen.

Kein Moment des Tages bleibt ungenutzt

Die hohen Infektionszahlen trafen eine Belegschaft, die ohnehin überlastet war. Neben der Verbundzustellung gibt es dafür weitere Faktoren. Früher hatten die Austräger frei, sobald die Post für den Tag in ihrem Bezirk verteilt war. Das bedeutete: Es gab lange, auch überlange Tage, besonders in der Weihnachtszeit. Aber es gab auch kurze, im Sommer.

Um 2020 stellte die Post von den sogenannten Rahmen-Dienstplänen auf Ist-Zeit-Erfassung um. Kein Moment des Arbeitstages sollte mehr ungenutzt bleiben, Puffer fielen weg. „An manchen Tagen komme ich während der Tour nicht mal dazu, aufs Klo zu gehen“, berichtet ein Post-Mitarbeiter.

Probleme an der Wirbelsäule, am Rücken, an der Schulter, an den Knien, an den Handgelenken. Paketzusteller der Deutschen Post.

© imago images / Fleig / Eibner-Pressefoto

Im Sommer und Herbst 2022 folgte die Einführung eines „flexiblen“ Zustellungssystems. Der Name: „Flexi-Tool“. Die Zustellbezirke sollen nun täglich neu zugeschnitten werden, je nachdem, wie viele Briefe und Pakete wo anliegen – damit alle immer ausgelastet sind. So sollte die gleiche Fläche durch weniger Zusteller abgedeckt, die bestehende Menge an Sendungen mithilfe von weniger Zustellern ausgeliefert werden. Der schon bestehende Personalmangel sollte durch Effizienz besiegt werden.

Briefträger mit festen „Stammbezirken“, quasi als Teil der Nachbarschaft – ein Modell der Vergangenheit. „Bezirke sollen ‚atmen‘, das war der Plan“, sagt Gewerkschafter Kühn. Allerdings erhöhte sich der Aufwand für die Beschäftigten massiv: jeden Tag neue Straßen, neue Briefkästen, neue Ablageorte. Noch mehr Arbeit also.

Auch die Post selbst hat es inzwischen erkannt: Ihr Problem ist weniger ein falsches Zustellsystem, sondern dass sie zu wenige Mitarbeiter hat – Ursache Nummer zwei der großflächigen Verspätungen.

6000 neue Zusteller

Nach dem letzten Weihnachtsgeschäft habe die Post „reihenweise Befristungen auslaufen lassen“, erklärt Thorsten Kühn von Verdi. „Die Leute, die sie jetzt dringend sucht, sind in andere Bereiche abgewandert.“ Die DPV spricht von 8000 Befristeten, deren Anstellung seit Jahresanfang nicht verlängert worden sei.

Mittlerweile reagiert die Post: In den vergangenen Wochen holte sie laut eigenen Angaben 6000 neue Zusteller, seit Juli sind zudem 10.000 Verträge entfristet worden. Auch eine bundesweite Recruitingkampagne namens „Werde eine:r von uns“ soll helfen. Und für die Stoßzeiten plant die Post, das Zustellerteam mit ausländischen Arbeitskräften zu verstärken.

Die Post bietet immer noch die besten Arbeitsbedingungen in der Branche.

Thorsten Kühn, Gewerkschafter

Auch grundsätzlich will das Unternehmen den Vorwurf, es habe nicht genug Personal vorgehalten, nicht gelten lassen. Im Wintergeschäft sei das Brief- und Paketaufkommen nun mal deutlich höher als im Frühjahr. Im Frühjahr 2022 habe man 18 Prozent weniger Pakete transportiert als zur Vorweihnachtszeit, aber das Personal nur um fünf Prozent reduziert. „Zudem war Anfang letzten Jahres nicht absehbar, wie schwierig die Arbeitsmarktlage im weiteren Jahresverlauf werden würde“, sagt ein Unternehmenssprecher.

„Die Post bietet immer noch die besten Arbeitsbedingungen in der Branche“, sagt sogar der Gewerkschafter Thorsten Kühn. Aktuell würden Beschäftigte sogar direkt mit unbefristeten Verträgen eingestellt. Sie erhalten Tariflöhne zwischen 2400 und 3800 Euro brutto, heißt es von Seiten des Unternehmens, außerdem Zuschläge, Urlaubsgeld, ein 13. Monatsgehalt. Aber warum findet die Post trotz all dieser Dinge nicht genug Leute?

Seit Juli sind 10.000 Zusteller-Arbeitsverträge entfristet worden.

© Arnulf Hettrich/imago images

„Viele brechen zusammen, viele brechen ab“, sagt einer der Post-Mitarbeiter. Die Einweisungszeit betrage zwei Wochen, das reiche bei Weitem nicht aus. Ausbildungen, in denen Zeit für Einarbeitung bliebe? 2011 bot das Unternehmen laut einer Pressemitteilung noch rund 1400 Ausbildungsplätze zur Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen. In aktuellen Mitteilungen weist die Post diesen Bereich nicht mehr separat aus. Laut Verdi schlossen 2021 nur 590 Azubis in dem Bereich ihre Ausbildung ab.

Die meisten Kundenbeschwerden verzeichnet die Bundesnetzagentur, neben Berlin, in Bayern und der Bodensee-Region. „Das mag daran liegen, dass sich die Post dort sehr schwer tut, Personal zu finden“, vermutet André Meyer-Sebastian von der Bundesnetzagentur. Gerade im wirtschaftlich starken Süden und in den Grenzregionen zum Hochlohnland Schweiz ist die Post auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr konkurrenzfähig.

Dazu kommt – Ursache Nummer drei –, dass für die Deutsche Post das Brief-Business immer unwichtiger wird. „Wenn es eng wird, genießen bei der Post Pakete Priorität vor Briefen“, sagt Christoph Tripp, Professor für Distributions- und Handelslogistik in Nürnberg. „Die Post legt unheimlichen Wert auf Pakete“, bestätigt eine Beschäftigte. „Der Rest ist halb so wichtig.”

Mit ihrer Geschäftsstrategie reagiert die Post auf eine grundsätzliche Änderung der Konsumgewohnheiten der Kunden: Sie bestellen im Internet. Viel. Sehr viel.

Die Kunden können nichts tun

Verzeichnete der Bundesverband Paket & Expresslogistik 2011 noch rund 2,5 Milliarden Kurier- und Expresssendungen in Deutschland, waren es 2021 schon 4,5 Milliarden. Allein von 2020 auf 2021 steigerte sich die Sendungsmenge um gut 460 Millionen.

Aber all das ändert wenig an der vierten und zentralen Ursache für den Frust, den so viele Kunden der Post zurzeit hegen: Sie können im Kern überhaupt nichts tun, wenn die Post viel zu spät, unregelmäßig oder selten kommt.

Einerseits lassen sich Verspätungen bei der Briefpost kaum nachweisen, „weil Briefe in der Regel ohne Zeitstempel versendet werden“, wie Professor Tripp aus Nürnberg feststellt. Andererseits bestreitet die Post bis heute, dass sie ein Problem hat. Nur in knapp 100 von 55.000 Zustellbezirken sehe man „täglich Herausforderungen“, sagt ein Unternehmenssprecher. 49 Millionen Briefe stelle die Post täglich zu, da könne es immer sein, dass sich die Auslieferung einzelner Sendungen verzögert.

Statt zu klären, wie er die Probleme der Post zu beheben gedenke, stellt Post-Chef Frank Appel einfach die gesetzliche Zustellpflicht der Post in Frage: „Muss tatsächlich jeder Brief – oder mehr als 80 Prozent – am nächsten Tag zugestellt werden?”, fragte der Post-Chef bei der Vorstellung von Bilanzzahlen fürs dritte Quartal im November.

Die Kontrollorgane der Post – Bundesnetzagentur, Wirtschaftsministerium und Regierungskoalition – sehen das allerdings deutlich anders.

Der Bundesverband Paket & Expresslogistik verzeichnete 2011 noch rund 2,5 Milliarden Kurier- und Expresssendungen in Deutschland, waren es 2021 schon 4,5 Milliarden.

© Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

„Die Fälle, in denen Bürger tage- oder wochenlang auf Post warten, häufen sich nach unserer Wahrnehmung”, sagt etwa André Meyer-Sebastian von der Bundesnetzagentur.

Er ist bei der Bundesnetzagentur dafür zuständig, dass die Post ihre Pflichten als Universaldienstleisterin wahrnimmt. Universaldienstleistung bedeutet, dass die Post Briefe und Pakete in jeden Winkel Deutschlands bringen muss. Geregelt ist das in der Postuniversaldienstleistungsverordnung, kurz PudlV. Darin festgehalten ist auch, dass die Post pünktlich sein muss.

Der Wunsch nach Sanktionen

Sie ist verpflichtet, jene 80 Prozent der Briefsendungen am folgenden Werktag zuzustellen, 95 Prozent binnen zweier Werktage. Und sie muss an allen Werktagen Post auszutragen, und sei es am späten Nachmittag. Im Gegenzug für ihre Grundversorgung muss die Post für private Briefe und Karten – anders als für Geschäftsbriefe – keine Mehrwertsteuer zahlen.

Viele Menschen, die sich bei der Bundesnetzagentur beschweren, hofften darauf, dass ihnen die Behörde bei ihrem Problem auch hilft, sagt Meyer-Sebastian. Ein Irrtum. „Wir nehmen die Beschwerden als Grundlage, um zu überprüfen, ob die Post ihre Verpflichtungen erfüllt“, erklärt er. „Konkrete Einzelfallhilfe können wir nicht machen. Wenn die Menschen das erfahren, sind viele enttäuscht.“

Wir können Fälle sammeln und Verbrauchern eine Stimme geben. Aber mehr nicht.

Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur

Auch Meyer-Sebastians Chef, Klaus Müller, der seit diesem Jahr die Bundesnetzagentur leitet, ärgert der Mangel an Möglichkeiten, auf Probleme zu reagieren. „Wir können Fälle sammeln und Verbrauchern eine Stimme geben“, sagt er. „Aber mehr nicht. Das ist unbefriedigend.“ Die Politik müsse „sich überlegen, ob sie weiter darauf vertrauen will, dass die Post das Problem allein löst oder ob die Bundesnetzagentur mehr Befugnisse bekommt, um Verbraucher zu schützen“.

Die Behörde kann zwar Anlassprüfungen veranlassen, hat aber nach geltendem Recht überhaupt keine Mittel und Möglichkeiten, falls sie auf Qualitätsmängel der Post stößt. Müller wünscht sich daher von der Politik Mittel und Wege, um durchgreifen zu können: Sanktionen. „Wenn Qualitätsstandards verletzt werden, muss das finanzielle Konsequenzen für die Brief- und Paketunternehmen haben. Das ist in anderen Wirtschaftsbereichen doch auch so.“

Die Post ist verpflichtet, 80 Prozent der Briefsendungen am folgenden Werktag zuzustellen, 95 Prozent binnen zweier Werktage.

© dpa/Sebastian Kahnert

Möglicherweise wird der Wunsch des einstigen Grünen-Politikers demnächst tatsächlich erfüllt. Im Bundeswirtschaftsministerium wird derzeit an der Reform des 20 Jahre alten Postgesetzes gearbeitet.

„Fest steht: Die Versorgung der Menschen mit Briefen und Paketen muss überall in Deutschland gewährleistet sein“, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage. „Deshalb nehmen wir die Berichterstattung über Versorgungsunterbrechungen und die steigende Anzahl von Beschwerden, die derzeit bei der Bundesnetzagentur eingehen, sehr ernst.“ Man brauche „klare Regeln, wie auf Qualitätsmängel reagiert werden kann“.

Daseinsvorsorge und Wettbewerb

Auf eine Anfrage im Bundestag schrieb der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Udo Philipp im November: „Die Bundesregierung wird die weitere Entwicklung zur Lage des Universaldienstes aufmerksam beobachten.“

Eine Novelle des 1997 erlassenen Postgesetzes hatte schon der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Jahr 2019 angekündigt. Fertig ist sie immer noch nicht, auch aufgrund der Komplexität des Konstrukts Post. Der Bund ist an ihr zu einem Fünftel beteiligt, zugleich muss sie Gewinne erwirtschaften. Als Universaldienstleisterin muss sie alle Briefe befördern und genießt darum Steuerbefreiung, als privates Unternehmen priorisiert sie die Produkte, die mehr Gewinn versprechen. Spätestens mit dem Siegeszug der Verbundzustellung wird beides vermischt – zum Nachteil der Kunden.

„Die Post soll und muss Gewinn machen, auch um die Mitarbeiter weiterhin gut zu bezahlen und ihrem Versorgungsauftrag nachzukommen”, sagt etwa Sebastian Roloff, in der SPD-Fraktion zuständig für Postthemen. „Aber mir ist es wichtig, dass die Qualitätsstandards erhalten bleiben.“

Auch Sandra Detzer, Post-Expertin der Grünen-Bundestagsfraktion, sagt, dass Briefe wieder zuverlässig zugestellt werden und die Basisinfrastruktur erhalten bleiben müsse. „Die Post gehört zur Daseinsvorsorge wie die Bahn“, sagt Detzer. „Wir müssen im neuen Postgesetz einen Ausgleich finden zwischen einer funktionierenden Daseinsvorsorge, der Bezahlbarkeit der Dienste und dem Wettbewerb.“

Der Stuttgarter Anwalt Christof Blauß half sich gegen die Pünktlichkeitsprobleme der Post auf seine Art: mit juristischem Druck. „Eine Rechnung mit vierwöchiger Zahlungsfrist erreichte mich zwei Tage vor deren Ende, so lange war sie unterwegs.“ Das sei nur der Spitzenwert in einer dauernden Misere gewesen. Mehr als eine Woche hätten die Bewohner seiner Straße im November keine Post bekommen.

Also drohte Blauß der Post mit Klage – wegen der „Unterdrückung von Postsendungen“ nach Paragraf 206 des Strafgesetzbuches. „Ein Strafantrag gegen die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutsche Post AG bleibt vorbehalten“, schrieb er in seiner Beschwerdemail. Mit Erfolg. Blauß erhält seine Briefe nun pünktlich. Der Postmann klingelt wieder.

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