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156 Jahre war Hongkong britische Kolonie – nach seiner Übergabe an China begann die Kommunistische Partei, die Stadt mit Sonderstatus und Freiheitsrechten immer stärker einzuschränken.

© mauritius images/Johannes Heuckeroth

„Wie Tiananmen – nur ohne Panzer und Blut“: Der Tag, an dem Hongkong seine Freiheit verlor

Vor drei Jahren, am 30. Juni 2020, erließ Pekings kommunistische Führung in Hongkong das Gesetz für Nationale Sicherheit. Seitdem ist die Stadt nicht mehr frei, erklärt die Expertin Mareike Ohlberg im Interview.

Vor drei Jahren hat die Kommunistische Führung Chinas in Hongkong das Nationale Sicherheitsgesetz erlassen. Was ist damals passiert?
Der 30. Juni 2020 ist der Tag, an dem Hongkong seine Freiheit verlor. Das Gesetz wurde nur vier Wochen, bevor es in Kraft trat, angekündigt – niemand konnte sich darauf vorbereiten oder dagegen Protest einlegen. Der Gesetzestext war vor der Implementierung auch praktisch unbekannt, aber alle wussten: Da kommt nichts Gutes.

Und so kam es?
Ja. Mit dem Nationale Sicherheitsgesetz wurden viererlei unter Strafe gestellt: Sezession, Subversion, Terrorismus und Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften.

Was ist daran problematisch?
Unabhängig von der Entstehung des Gesetzes gibt es zwei Probleme: Das eine ist, dass die genannten Straftaten extrem breit ausgelegt werden können. Es gibt die Möglichkeit, so gut wie alles unter Strafe zu stellen. Wie das praktiziert wird, haben wir in der Volksrepublik China in der Vergangenheit immer wieder gesehen: Fotos von einem angeblich verdächtigen Ort sind Spionage, der Kontakt zu Ausländern – und seien es Freunde – kann als Kollaboration mit dem Feind ausgelegt werden. Die Kommunistische Partei (KP) ist einerseits tatsächlich paranoid, andererseits schafft sie Vorwände, um kritische Stimmen auf diese Weise zum Schweigen zu bringen. Das andere Problem ist, dass das Gesetz das Ende von ‘Ein Land, zwei Systeme’ war.“

Regenschirme gegen das Tränengas der Polizei: 2014 gab es pro-demokratische Massendemonstrationen in Hongkong.

© picture alliance / dpa/Alex Hofford

Was heißt das?
Nachdem die Briten ihre frühere Kolonie Hongkong am 1. Juli 1997 an China zurückgegeben haben, gab es die Vereinbarung, dass die Stadt mindestens 50 Jahre einen Sonderstatus behält. Damit blieb es in weiten Teilen demokratisch, hatte eine freie Presse und eine unabhängige Justiz. Die Hoffnung war, dass sich China bis 2047 zum Positiven verändern würde – aber das Gegenteil ist der Fall. Seit dem Aufstieg von Xi Jinping ab 2012 wird das Land immer restriktiver, verschlossener, nationalistischer.

Er hat es vorgezogen, Hongkong früher als versprochen in sein eigenes System einzugliedern.
Ja, der Sonderstatus wurde aufgelöst, Hongkongs unabhängige Justiz praktisch über Nacht entmachtet. Wenn es jetzt Fälle gibt, die angeblich die nationale Sicherheit gefährden, droht den Betroffenen ein Scheinprozess, ganz im Sinne des kommunistischen Regimes.

Der Gründer der großen Hongkonger Zeitung „Apple Daily“ Jimmy Lai (Mitte) wird von der Polizei bei einem Protest festgenommen (Archivbild).

© picture alliance/dpa/EPA

Warum wurde das Gesetz eingeführt?
Letztlich war es eine Reaktion darauf, dass 2014 und 2019 Zehntausende Menschen gegen den wachsenden Einfluss des kommunistischen Regimes auf die Straßen gegangen waren. Es war die Niederschlagung der pro-demokratischen Proteste, wie 1989 Tiananmen – nur ohne Panzer und Blut, sondern so, dass das Ausland möglichst wenig aufschreckte. Ganz leise und innerhalb kürzester Zeit haben sie mit einem neuen Gesetz Demonstrationen in dieser Größe unmöglich gemacht und kritische Stimmen zum Schweigen gebracht.

Was heißt das für die Menschen in Hongkong?
Es ist für die Hongkonger Zivilgesellschaft extrem schwierig oder quasi unmöglich geworden, sich weiterhin zu organisieren, gegen den Einfluss der Kommunisten zu demonstrieren und für ihre Freiheit einzustehen, wie sie das in den weitgehend friedlichen Massenprotesten getan haben.

Wie hat sich das Gesetz auf den Alltag ausgewirkt?
Es gibt praktisch keine freie Presse mehr. Etliche Journalisten wurden festgenommen. Jimmy Lai, einer der wichtigsten Medienunternehmer der Stadt und Herausgeber der inzwischen verbotenen Zeitung „Apple Daily“, wurde verhaftet. Ihm soll der Prozess auf Basis des Nationalen Sicherheitsgesetzes gemacht werden – die KP will an ihm ein Exempel statuieren. Aber auch andere kritische Verleger wurden in die Volksrepublik verschleppt. Viele Journalisten haben die Stadt verlassen, leben im Ausland, haben ihre Arbeit aufgegeben oder betreiben Selbstzensur. In den Schulen werden Lehrpläne im Sinne der patriotischen Erziehung der KP angepasst.

Gilt das Gesetz nur in Hongkong?
Man muss auch aufpassen, was man im Ausland sagt. Eine Studentin aus Hongkong, die sich in Japan in Sozialen Netzwerken zur Lage in der Stadt geäußert hatte, wurde nach der Rückkehr in ihre Heimat verhaftet. Auch Sie und ich könnten deshalb dort angeklagt werden, weil wir gerade dieses kritische Interview führen.

Als Reaktion auf das Gesetz haben Aktivisten mit einem Orchester ein Lied aufgenommen: „Glory to Hongkong“. Vor einigen Tagen hat der Komponist auf verschiedenen Musik-Plattformen, wie Spotify oder Apple Music, sein Lied löschen lassen. Beobachter gehen davon aus, dass er unter Druck gesetzt worden ist. Inzwischen ist es wieder verfügbar – warum hat Chinas Regime Angst davor?
Dieses Lied wird als Gefahr verstanden, weil es identitätsstiftend ist, jenseits der KP, ihrer Ideologie, ihrer Propaganda. Es ist das Symbol eines stolzen, aber friedlichen Widerstandes und steht für alles, was Hongkong ausmacht, warum seine Bewohner es lieben und welche Werte sie vertreten. Und das ist an oberster Stelle Freiheit.

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