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Strippenzieher: Panzeri in seiner Zeit als EU-Abgeordneter und der marokkanische Diplomat Abderrahim Atmoun

© EU-EP/Christian CREUTZ/REA/laif

EU-Korruptionsskandal weitet sich aus: Katars Bestechung verdeckt, wie stark Marokko Einfluss nahm

Ein EU-Abgeordneter arbeitete offenbar seit Jahren für Marokko. Involviert war sogar der Geheimdienst. Es geht um lukrative Fischereirechte und die Haltung zur besetzten Westsahara.

Im EU-Korruptionsskandal rückt Marokko immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Bisher stand vor allem Katar am Pranger, das zur Verbesserung seines Images vor der Fußballweltmeisterschaft das Wohlwollen von Abgeordneten gekauft haben soll.

Aber der belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne hatte bereits vor Weihnachten im Parlament erklärt, ein zweiter Staat sei involviert, bei dem es unter anderem um Fischereirechte gegangen sei – womit klar war, dass es sich um Marokko handelt, dass 2019 ein vorteilhaftes Abkommen mit der EU schließen konnte.

Auch im Haftbefehl gegen die Ehefrau und Tochter des ehemaligen italienischen EU-Abgeordneten Pier Antonio Panzeri, dem Hauptbeschuldigten in dem Korruptionsskandal, wird auf Marokko verwiesen: Unter Berufung auf die Ermittlungen der belgischen Staatssicherheit wird dort der Vorwurf erhoben, Panzeri habe „gegen Bezahlung“ politischen Einfluss auf EU-Abgeordnete „zum Vorteil Marokkos und Katars“ genommen. Das berichten die belgischen Tageszeitungen „Le Soir“ und „Knack“. Insgesamt wurden bei Hausdurchsuchungen der Beschuldigten 1,5 Millionen Euro in bar gefunden.

Europäische Linke hatte sich an Katar die Zähne ausgebissen

Auch die Co-Vorsitzende der Linken im EU-Parlament, Manon Aubry, fürchtet, dass es sich bei „Katargate“ nur um die „Spitze eines Eisbergs“ handelt. Marokko habe offensichtlich besonders enge Beziehungen zu den gleichen korrupten Netzwerken mit ähnlichen Methoden gepflegt, sagt die 34-Jährige im Gespräch mit dem Tagesspiegel. 

Der marokkanische Kontaktmann des Netzwerkes um Panzeri soll der heute in Polen tätige Diplomat Abderrahim Atmoun sein – aber die Kontakte Panzeris sollen bis zum Chef des marokkanischen Auslandsgeheimdienstchefs DGED gereicht haben.

Bereits 2013, als Panzeri noch EU-Abgeordneter und Leiter der Maghreb-Delegation des Parlaments war, sollten laut abgefangener marokkanischer Kommunikation alle Pläne zur Beeinflussung des Parlaments mit diesem „Freund Marokkos abgestimmt werden“. Damit ginge die politische Einflussnahme und spätere mögliche Bestechung durch Marokko sehr viel weiter zurück als bisher bekannt. 

Während es Katar um Imagepflege vor der Fußballweltmeisterschaft gegangen sein soll und laut belgischen Medienberichten die Nutzung von Kreditkarten und Reisen als Gegenleistung im Spiel waren, geht es bei den Interessen Marokkos gegenüber der EU um viel Geld in Form von Hilfen und Handelsabkommen sowie immer wieder um die Anerkennung der marokkanischen Herrschaft über die besetzte Westsahara.

Das Fischereiabkommen war sehr umstritten

2019 hat die EU ein Fischereiabkommen mit Marokko geschlossen, das die von Marokko seit 1975 besetzte Westsahara einschloss – obwohl der Europäische Gerichtshof Marokkos Recht zu Verhandlungen über das Gebiet, das so groß ist wie die Bundesrepublik, bereits zuvor und 2021 erneut als „illegal“ verworfen hatte. Europäische Linke und Grüne hatten das Abkommen aus diesem Grund abgelehnt.

Seit dem Bekanntwerden des Korruptionsskandals wird auch die Vergabe des renommiertes Sacharow-Menschenrechtspreis im Jahr 2021 genauer unter die Lupe genommen. Eine der Kandidatinnen für den „EU-Friedensnobelpreis“ war damals Sultana Khaya. Die Aktivistin setzt sich für die Rechte der Menschen in der besetzten Westsahara ein.

Saharaui demonstrieren im Exil in Algerien für die Freiheit der Westsahara.

© REUTERS

Damals unterstützte die EU-Parlamentsfraktion Die Linke diesen Vorschlag und glaubte sich der Unterstützung des sozialistischen Lagers sicher zu sein, zu dem auch die der Korruption verdächtigte und inzwischen abgesetzte Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili gehörte.  

Dann aber geschah Überraschendes. „Es wurde eine neue Abstimmung beschlossen, die sich aus unerklärlichen Gründen um eine Stunde verzögert hat“, sagte damals der Europaabgeordnete Miguel Urban (Die Linke, Podemos).

Ein obskurer Mailverkehr, der nie aufgeklärt wurde

Nach dieser Unterbrechung stimmte die sozialistische S&D-Fraktion plötzlich für die Bolivianerin Jeanine Áñez, die Kandidatin der Fraktion der extremen Rechten im Parlament. Der Aufschrei war laut, von einem obskuren Mailverkehr war die Rede, dessen Verlauf nie aufgeklärt wurde. Die S&D-Fraktion bestätigte danach „taktische Gründe“ für den politischen Winkelzug, ohne jedoch Details zu nennen. 

Die Co-Vorsitzende der Europäischen Linken, Aubry, fordert als Reaktion auf den sich ausweitenden Korruptionsskandal ein „Aufräumen vom Keller bis zum Dachboden“ der europäischen Institutionen. „Die Durchlässigkeit des politischen europäischen Systems für Einflussnahme von außen ist zu groß“, sagte die französische Abgeordnete.

Sie selbst hatte ein Jahr lang vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft vergeblich versucht, die Zustimmung der anderen Fraktionsvorsitzenden zu bekommen, um eine Resolution zu den Menschenrechtsverletzungen in Katar auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen. 

Nach Ansicht der Politikerin muss die EU Hand anlegen an die Grundfesten der Arbeitsweisen ihrer Institutionen: „Verhandlungen sind geheim, werden nicht gefilmt, Journalisten sind nicht zugelassen“ beklagt Aubry. Diese „Undurchsichtigkeit“ sei ein „konstitutives Merkmal“ der Arbeit der europäischen Institutionen. Aber damit entfernten sie sich von der demokratischen Kontrolle und erlaubten erst eine Einflussnahme wie man sie aufdecke.

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