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Der russische Präsident Wladimir Putin

© action press/Mikhail Klimentyev

Fenstersturz, Schüsse, Gift: Wer sich gegen den Kreml stellt, lebt gefährlich

In Putins Russland haben politische Morde seit mehr als zwei Jahrzehnten Tradition. Die Opfer sind Journalistinnen, Politiker, Ex-Geheimdienstler. Ein Rückblick.

In den mehr als zwei Jahrzehnten, in denen Wladimir Putin in Russland regiert, hat es eine lange Reihe verdächtiger Morde gegeben – an Journalistinnen, Politikern, Ex-Geheimdienstlern, Geschäftsleuten. Gemeinsam ist diesen Fällen, dass sich die Opfer zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben gegen den Kreml gestellt haben.

Manche dieser Taten schienen auf den ersten Blick Selbstmorde zu sein, bis sich größere Ungereimtheiten zeigten. Andere Morde dagegen wurden mit spektakulären Mitteln ausgeführt, zum Beispiel einem seltenen Gift, oder vor aller Augen, wie 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin. Hier eine Auswahl einiger Fälle – die Liste ist noch deutlich länger:


17. April 2003, Moskau

Sergej Juschenkow ist ein liberaler Politiker, der in den 90er Jahren für kurze Zeit Informationsminister war. In der Duma, dem russischen Parlament, gehört er dem Geheimdienstausschuss an. Juschenkow gilt als einer der lautstärksten Kritiker des Tschetschenienkrieges.

Außerdem hat er sich intensiv mit den Bombenanschlägen auf Wohnhäuser in Russland im Jahr 1999 beschäftigt. Die russische Führung um Putin gab Tschetschenen die Schuld an den Anschlägen und rechtfertigte damit den Krieg in der Nordkaukasusrepublik.

In einem Film, den Juschenkow gemeinsam mit seiner Partei veröffentlichte, wird der russische Inlandsgeheimdienst FSB für die Anschläge verantwortlich gemacht. Als der Politiker am 17. April 2003 nach Hause kommt, wartet dort offenbar ein Attentäter auf ihn. Juschenkow wird durch mehrere Schüsse in die Brust getötet.


7. Oktober 2006, Moskau

Die russische Journalistin Anna Politkowskaja
Die russische Journalistin Anna Politkowskaja

© dpa/Peter Endig

Der Krieg in Tschetschenien ist ihr großes Thema. Wieder und wieder fährt die russische Journalistin Anna Politkowskaja in die Teilrepublik im Nordkaukasus. In ihren Reportagen für die angesehene Zeitung „Nowaja Gaseta“ dokumentiert sie schonungslos die Verbrechen der russischen Truppen und gibt tschetschenischen Zivilistinnen und Zivilisten eine Stimme.

Sie erhält Morddrohungen, einmal wird sie in Tschetschenien von russischen Soldaten festgenommen und stundenlang verhört. Während eines Fluges wird sie möglicherweise Opfer einer Vergiftung, nachdem sie an Bord Tee getrunken hat, doch sie erholt sich davon. Die Verbrechen in Tschetschenien lastet die Journalistin immer wieder Putin persönlich an. So schonungslos schreibt zu dieser Zeit kaum jemand über Putins Russland.

Am 7. Oktober 2006 wird Politkowskaja im Fahrstuhl ihres Wohnhauses in Moskau erschossen. An diesem Tag hat der russische Präsident Geburtstag.


23. November 2006, London

Ein Bild erinnert an den russischen Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko.
Ein Bild erinnert an den russischen Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko.

© AFP/NATALIA KOLESNIKOVA

Mit Geheimdienstoperationen kannte sich Alexander Litwinenko aus. Mehrere Jahre hat er für den sowjetischen Geheimdienst KGB gearbeitet. Später ist er für dessen Nachfolgeorganisation FSB tätig, den russischen Inlandsgeheimdienst. Weil er sich unter anderem mit organisierter Kriminalität befasst, stößt er auf Verbindungen zwischen dem FSB und russischen Mafiagruppen. Er berichtet sogar dem damaligen FSB-Chef Wladimir Putin persönlich von seinen Erkenntnissen, doch der reagiert nicht. Später macht Litwinenko Anschlagspläne des FSB gegen Politiker und Geschäftsleute öffentlich und wird entlassen.

Litwinenko geht ins Londoner Exil und berichtet britischen Nachrichtendiensten, was er über die Verbindungen russischer Politiker zum organisierten Verbrechen weiß. Am 1. November 2006 trifft er in der Bar des Millennium-Hotels in London zwei Russen, sie trinken grünen Tee. Danach wird er schlagartig sehr krank, drei Wochen später stirbt er.

Der Tee enthielt radioaktives Polonium. Zehn Jahre später kommt eine offizielle Untersuchung in Großbritannien zu dem Ergebnis, die Tat sei wahrscheinlich von Putin persönlich gebilligt worden.


23. März 2013, Ascot, Großbritannien

Er galt lange Zeit als Russlands Staatsfeind Nummer 1: Boris Beresowski.
Er galt lange Zeit als Russlands Staatsfeind Nummer 1: Boris Beresowski.

© dpa

Der russische Oligarch Boris Beresowski galt einst als Förderer Putins. Er zählte zum engeren Zirkel um Präsident Boris Jelzin und will nach eigenen Angaben dazu beigetragen haben, dass der weithin unbekannte Putin 1999 Ministerpräsident wurde. Doch als dieser kurz darauf Präsident wird, kommt es zwischen beiden offenbar zum Bruch.

Der neue Staatschef will die Macht der Oligarchen einhegen, Beresowski verfügt inzwischen über ein Medienimperium. Beresowski geht ins britische Exil und erhält dort Asyl. Von London aus macht er weiter Front gegen Putin, er unterstützt beispielsweise den Ex-Spion Litwinenko und ruft zum Sturz Putins auf.

Am 23. März 2013 wird Beresowski tot in einem Badezimmer seines Hauses in Ascot aufgefunden. Er hat einen schwarzen Kaschmir-Schal um den Hals, die andere Hälfte hängt an der Duschstange. Doch an der Selbstmord-Theorie gibt es schnell Zweifel. Am Ende der gerichtsmedizinischen Untersuchung wird die genaue Todesursache offen gelassen. Im Jahr 2017 enthüllt Buzzfeed News in Großbritannien, dass US-Geheimdienste insgesamt 13 verdächtige Todesfälle in Großbritannien mit Russland in Verbindung bringen. Einer von ihnen ist der Fall Beresowski.


27. Februar 2015, Moskau

Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow.
Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow.

© dpa/Sergei Chirikov

Boris Nemzow zählt bis heute zu den bekanntesten Oppositionspolitikern Russlands. Unter Jelzin war er Vize-Ministerpräsident. In Putins Russland gehört er zu den Gründern und Anführern einer liberalen Partei. Schon 2004 veröffentlicht er mit seinem Weggefährten Wladimir Kara-Mursa einen Artikel über die „Gefahren des Putinismus“.

Er nimmt immer wieder an Demonstrationen gegen das russische Regime teil, auch bei den Massenkundgebungen nach Putins Wiederwahl Ende 2011 ist Nemzow dabei. Mehrfach wird er festgenommen. Als Russland 2014 die Krim annektiert und einen Krieg in der Ostukraine anzettelt, gehört Nemzow zu den schärfsten Kritikern. Er warnt, dass Putin nach der Krim auch Kiew einnehmen wolle. Im Jahr 2015 kündigt Nemzow Enthüllungen über den Ukraine-Krieg an.

Doch dazu kommt es nicht mehr: Der Oppositionsführer wird am 27. Februar 2015 auf einer Brücke in Moskau erschossen, der Tatort liegt in Sichtweite des Kremls. Der Mord ist ein Schock für viele in Russland, weil ein ehemaliger Vize-Premier bisher als unangreifbar galt.


1. September 2022, Moskau

Rawil Maganow hat fast drei Jahrzehnte für den russischen Ölkonzern Lukoil gearbeitet, im Jahr 2020 wird er dessen Chef. In eine solche Position kommt in Putins Russland nur, wer sich mit dem Kreml gut stellt. Es gibt Fotos, die Maganow mit Putin zeigen, als dieser ihm gerade einen Orden verleiht.

Doch im März 2022 macht der Firmenchef etwas, was in seinen Kreisen mehr als ungewöhnlich ist: Er äußert sich nicht nur zur aktuellen Politik, sondern kritisiert sie indirekt. In einem offiziellen Statement von Lukoil wird ein schnellstmögliches Ende des Krieges in der Ukraine gefordert.

Am 1. September fällt Maganow aus dem Fenster im sechsten Stock eines Krankenhauses in Moskau. Dort ist er wegen Herzproblemen in Behandlung. Russische Staatsmedien sprechen von Selbstmord. Doch Überwachungskameras in der Nähe des Krankenhauses waren ausgerechnet zu dem Zeitpunkt außer Betrieb. Der Vorfall zählt zu einer ganzen Reihe mysteriöser Todesfälle durch Sturz aus dem Fenster.

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