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Die EU-Staaten verurteilen die Gewaltspirale im Nahen Osten. Doch da hören die Gemeinsamkeiten schon auf.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Kostrzynski

Gespaltene Staaten von Europa: Die EU ringt um ihren Kurs in der Nahost-Politik

In der EU herrscht vor dem Gipfel Uneinigkeit über die gemeinsame Erklärung des Spitzentreffens. Sollen die Mitgliedstaaten eine „humanitäre Feuerpause“ im Gazastreifen fordern?

Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel ist ein Streit über die Nahost-Politik entbrannt. Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten wollen in der Abschlusserklärung des Gipfels eine Formulierung verhindern, welche die Solidarität mit Israel im Krieg gegen die Hamas untergraben würde.

Unklar blieb am Dienstag, ob der EU-Gipfel angesichts der militärischen Eskalation zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas eine „humanitäre Feuerpause“ fordern wird. Mit einer solchen Feuerpause, die Israel ablehnt, könnten Hilfslieferungen in den Gazastreifen ermöglicht werden.

Außenministerin Annalena Baerbock wählte am Dienstag vor einer Sitzung des UN-Weltsicherheitsrates eine abgewandelte Formulierung, die auch für die EU zur Blaupause werden könnte. In den vergangenen Tagen sei deutlich geworden, dass „humanitäre Pausen“ – wohlgemerkt im Plural – für die humanitäre Versorgung der Palästinenser im Gazastreifen extrem wichtig seien, sagte die Ministerin. Dies sei auch Konsens innerhalb der Bundesregierung, hieß es am Dienstag aus Regierungskreisen in Berlin.

Der Streit um den Passus in der Gipfel-Erklärung zum Nahost-Krieg ist Ausdruck der mangelnden Geschlossenheit, welche die 27 EU-Staaten und ihre Institutionen in Brüssel bereits seit dem Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober an den Tag legen: Während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch im Kibbuz Kfar Aza erklärt hatte, es sei jetzt an der Zeit, „sich mit Israel und seinem Volk zu solidarisieren“, setzten die beiden EU-Vertreter Charles Michel und Josep Borrell einen anderen Akzent.

Der EU-Ratschef und der europäische Außenbeauftragte forderten Israel auf, sich bei dem militärischen Vorgehen im Gazastreifen an das humanitäre Völkerrecht zu halten.

Jeder Staat hat die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Olaf Scholz, Bundeskanzler, über Israel

Der Krieg offenbart die schon lange bestehenden Differenzen in der Nahost-Politik der einzelnen EU-Länder. Für Deutschland gehört die Sicherheit Israels zur Staatsräson. Auch Staaten wie Österreich und Tschechien betonen das Selbstverteidigungsrecht des jüdischen Staates.

Andere Länder wie Spanien, Irland und Luxemburg mahnen hingegen, angesichts der Eskalation die Belange der palästinensischen Bevölkerung nicht zu vergessen. Nach Meinung spanischer Regierungspolitiker ist schon die Aufforderung des israelischen Militärs an die palästinensische Bevölkerung, den Norden des Gazastreifens zu verlassen, ein Bruch des Völkerrechts.

Auch zwischen Deutschland und Frankreich tun sich Unterschiede auf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gehörte in der vergangenen Woche zu den ersten Regierungschefs in der EU, die dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach dem Angriff der Hamas einen Besuch abstatteten.

Es sei völlig klar, dass Israel das „völkerrechtlich verbriefte Recht“ habe, sich gegen den Terror zu wehren, sagte Scholz. „Ein Staat, jeder Staat hat die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen“, so der Kanzler.

Die Bundesregierung setzt auf eine schnelle Beilegung des Streits

Emmanuel Macron gehört hingegen zu den Befürwortern einer „humanitären Feuerpause“. Frankreichs Staatschef reiste erst mehr als zwei Wochen nach der Attacke der Terrororganisation nach Israel. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Netanjahu richtete sich Macron zwar am Dienstag an Netanjahu mit den Worten: „Frankreich steht an Ihrer Seite im Kampf gegen den Terrorismus.“ Er erklärte aber auch, dass die Palästinenser das Recht auf ein eigenes Territorium und einen eigenen Staat hätten.

In der Bundesregierung setzt man derweil darauf, dass der Zwist um die gemeinsame Gipfel-Erklärung zum Nahostkrieg möglichst schnell abgeräumt wird. Wenn die EU an einer Forderung nach einer „humanitären Feuerpause“ festhalten sollte, drohe ein Streit, hieß es in Regierungskreisen in Berlin. Zudem werde auch ein Treffen zwischen Scholz und Macron unmittelbar vor dem Gipfel in Brüssel angestrebt.

Macron reiste am Dienstag nach seiner Pressekonferenz mit Netanjahu nach Ramallah im Westjordanland weiter. Dort war ein Treffen mit dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas geplant, bei dem Macron die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung bekräftigen wollte.

Luxemburgs Außenminister Asselborn und seine deutsche Amtskollegin Baerbock vertreten in der Nahost-Politik unterschiedliche Standpunkte.
Luxemburgs Außenminister Asselborn und seine deutsche Amtskollegin Baerbock vertreten in der Nahost-Politik unterschiedliche Standpunkte.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Allerdings gibt es Zweifel, ob Macron als französischer Staatschef oder die EU als Ganzes als Vermittler in dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern taugt. Besonders bitter äußerte sich Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn am Montag beim Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen über die begrenzten Möglichkeiten der EU. Die Gemeinschaft werde bei den Vermittlungsbemühungen kein entscheidendes Wort mitreden können, sagte Asselborn.

Einziger relevanter Ansprechpartner für alle Seiten seien die USA, urteilte der dienstälteste Außenminister der EU. US-Präsident Joe Biden hatte bei seinem Besuch im Nahen Osten in der vergangenen Woche zwischen Israel und den Palästinensern vermitteln wollen. Allerdings sagte Abbas ein Treffen mit dem Gast aus Washington nach der Explosion an einem Krankenhaus im Gazastreifen ab.

Asselborn sieht derweil als Grund für die vergleichsweise geringe diplomatische Bedeutung der EU in der Region, dass sich Europa zu den Lösungsvorschlägen für den Nahost-Konflikt – etwa die Gründung eines eigenen Palästinenserstaates auf der Basis der Grenzen von 1967 – nie wirklich positioniert habe.

„Wir waren in den letzten Jahren nicht mehr imstande, das auf ein Blatt Papier zu schreiben. Wir hatten keine Position mehr in der Europäischen Union dazu“, kritisierte Asselborn. Man sei deswegen nicht „Player“ (Spieler), sondern „Payer“ (Zahlender).

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