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Protest: Die spanische Flüchtingshilfsorganisation „Open Arms“ hat die Überreste eines Schiffswracks am Strand ausgebreitet.

© picture alliance / NurPhoto/Marc Asensio

Globales Flüchtlingsforum: Zu wenig und vergebens

Die Zahl der Flüchtlinge weltweit hat sich in nur zehn Jahren verdoppelt. Es ist Zeit einzusehen, dass die Mauern und Abwehr der reichen Länder das Problem nur vergrößern. Auch im Norden selbst.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Die Daten sind niederschmetternd. Vor wenigen Jahren erst überstieg die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, erstmals die des Zweiten Weltkriegs. Aber sie kletterte weiter: Auf 114 Millionen Vertriebene schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk ihre Zahl jetzt. Unfassbarerweise eine Verdopplung der Zahl von 2013.

Insofern ist es eine gute Nachricht, wenn sich in Genf jetzt zum zweiten Mal das Globale Flüchtlingsforum trifft, um nachhaltige Hilfe für diese ungeheure Zahl entwurzelter, traumatisierter Frauen, Männer und Kinder zu verabreden. Es geht sehr konkret um Unterstützung für die Nachbarländer, in denen das Gros der Vertriebenen landet, auch oft bleiben will, in der Hoffnung, dass sie zu Hause irgendwann wieder leben können.

Die meisten dieser Aufnahmeländer sind selbst arm und brauchen daher Hilfe reichen Länder, um sie zu unterstützen. Es sind, man muss es immer und immer wiederholen, die Armen, die die Hauptlast der Ärmsten tragen – mehr als zwei Drittel der Aufnahmestaaten sind Entwicklungsländer –, nicht der reiche Norden, der laut lamentiert, das eigene Boot sei voll.

UNHCR-Chef Filippo Grandi (Mitte) in Genf mit Jordaniens König Abdullah und der Schweizer Staatssekretärin für Migration, Christine Schraner.

© dpa/JEAN-GUY PYTHON

Geflüchtete brauchen mehr als ein warmes Essen und ein Dach überm Kopf, sie brauchen Gesundheitsversorgung, und ihre Kinder brauchen Unterricht, damit sie, wo auch immer, später eine Chance auf mehr als das nackte Leben haben. Es braucht Geld, um die Folgen von Klimakatastrophen, Dürren, Überschwemmungen zu mildern, um Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen.

Darauf hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze in Genf zurecht hingewiesen. Das sei auch eine Investition im Sinne Europas und anderer reicher Weltgegenden. Was sie nicht sagte: Eine Investition, die, ökonomisch gesprochen, nicht wirklich profitabel wird, weil die Politik der Geberländer selbst sie verschleudert.

Unsere Mauern, unser Stacheldraht zur Abwehr von Flüchtlingen werden immer öfter im Süden selbst gebaut und verlegt. Sie schneiden dort alte Handelswege und Migrationsrouten ab, von denen etwa die lokale Wirtschaft in afrikanischen Staaten abhängt.

Wie EU-Migrationspolitik Afrika destabilisiert

In Niger in Westafrika, das bisher als Fels politischer Stabilität galt, wurde im Sommer geputscht. Die Generäle hoben wenig später jenes Migrationsgesetz auf, das – von französischen Jurist:innen verfasst – seit 2015 die Durchquerung der Wüste verbot und unter anderem die vergleichsweise wohlhabende Stadt Agadez ins Elend stürzte.

Sie wurde in der Folge zur Falle für dort gestrandete Migranten, das Bürgertum vom Agadez, das über Generationen vom Transit, Transport, Hotelbetrieb lebte, verarmte. Not und die plötzliche Überbevölkerung ließen Kriminalität und Drogensucht nach oben schießen.

114
Millionen Menschen sind nach UNHCR-Schätzung aktuell auf der Flucht.

Ein Beispiel von unendlich vielen. Wir geben Millionen, Milliarden aus, die nie genügen werden, die Katastrophen auch nur zu mildern, die wir anderswo anrichten. Eine wirklich gute Investition wäre es, bereits das Geld, das dafür an korrupte Eliten und Gewaltherrscher fließt, einzusparen und es jenen edleren Zwecken zuzuführen, über die man in Genf jetzt verhandelt. Auch dieses Geld nämlich finanziert Fluchtursachen: Umweltzerstörung, Unterdrückung, Kriege.

Trotz Brexit steigen die britischen Flüchtlingszahlen

Ein Teil davon ließe sich in Aufklärungskampagnen im Norden selbst stecken. Dessen Abwehrpolitik ist krachend gescheitert, das britische Beispiel lehrt es. Trotz Brexit, trotz der womöglich menschenverachtendsten Migrationspolitik einer westlichen Demokratie steigt die Zahl der Migrant:innen, statt zu fallen. Der Zustand der Welt nämlich wird schlimmer statt besser.

Wenn dies ausreichend viele Bürgerinnen und Bürger verstünden, wäre auch unseren kriselnden Demokratien geholfen. Es braucht nicht noch mehr Magazin-Titel, auf denen ein staatsmännisch dreinschauender Bundeskanzler konsequenteres Abschieben fordert, sondern solche, auf denen Vorschläge zur Bewältigung von Migration stehen – die nötig ist und zweifellos möglich.

Jahrzehnte von Propaganda der politischen Rechten sollten bewiesen haben: Ihr nachzugeben, radikalisiert nur deren Menschenhass und Rassismus. Mit demokratischen Mitteln ist dieser Wettlauf nicht zu gewinnen. Am Ende stirbt vielmehr alles, was Demokratien ausmacht.

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