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Jewgeni Prigoschin nimmt an der Beerdigung eines seiner Kämpfer teil.

© Foto: dpa/AP/Uncredited

„Intrigen stören beim Kämpfen“: Warum der Chef der Wagner-Söldner besorgt auf den Kriegsverlauf blickt

Jewgeni Prigoschin scheint den Höhepunkt seines Einflusses im Kreml überschritten zu haben. Dennoch wird der Chef der Wagner-Söldner von Wladimir Putin noch benötigt.

Der berüchtigte Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, gibt sich höchst besorgt. Die russischen Perspektiven im Krieg gegen die Ukraine seien „neblig“, ließ er dieser Tage über das Online-Netzwerk „WKontakte“ verlauten. Den russischen Truppen würden wohl „nur noch wenige Wochen“ verbleiben, bis der ukrainische Gegenangriff beginne. Man müsse sich jetzt darauf konzentrieren, „die Frontline zu halten“ und „alle Streitigkeiten, Beleidigungen und alles andere vergessen“. Die Intrigen „stören beim Kämpfen“.

Der Appell zur Versöhnung ist neu. Bisher hat Prigoschin seine Rolle als Provokateur sichtlich genossen. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges kritisiert er die Moskauer Armeeführung in aller Öffentlichkeit. Prigoschin blieb unbehelligt, obwohl ein Gesetz langjährige Lagerhaft für die „Verunglimpfung der Streitkräfte“ vorsieht.

In diesem Jahr mehrten sich jedoch die Anzeichen, dass das Verteidigungsministerium am längeren Hebel sitzt. Der Söldnerchef scheint den Höhepunkt seines Einflusses im Kreml überschritten zu haben.

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Das Wort „Verrat“ steht im Raum

Wiederholt klagte Prigoschin in jüngster Zeit, er und seine Kämpfer würden im ukrainischen Donbas im Stich gelassen: die russische Armee liefere zu wenig Munition, zu viele seiner Männer müssten sterben, er habe die Anwerbung von Kämpfern in den Straflagern beenden müssen, den Massenmedien sei es verboten, seine Kritik am Verteidigungsministerium zu veröffentlichen. Die Armeeführung habe sogar den über geheime Kanäle laufenden direkten Kontakt zu ihm abgebrochen. Sogar das Wort „Verrat“ steht im Raum.

Prigoschin hat sehr viel Geld in die Operationen seiner Truppe in der Ukraine investiert. Manche meinen, der Geschäftsmann - der er auch ist - habe darauf spekuliert, nach dem siegreichen Krieg Zugriff auf die Kohlegruben und Stahlwerke des Donbas zu erhalten. Das jedenfalls ist sein Geschäftsmodell, es ist die Gegenleistung, wenn er Autokraten beispielsweise in rohstoffreichen Ländern Afrikas Wagner-„Hilfe“ gewährt. Andere wiederum schrieben Prigoschin bislang Ambitionen auf politische Macht in Moskau zu. Er wolle eine Partei gründen, wurde vorübergehend kolportiert. Wie dem auch sei: für ihn steht derzeit viel, vielleicht alles, auf dem Spiel, wenn Russland in der Ukraine scheitert.

Das Verhältnis Putins zu Prigoschin war immer ambivalent. Der russische Präsident braucht den Söldnerführer und gewährt ihm deshalb immer wieder Privilegien. So beschloss das russische Parlament, die Duma, kürzlich, dass das Gesetz gegen die Verunglimpfung der Armee auch für Prigoschins irreguläre Truppe gilt. Dabei war es den Abgeordneten völlig egal, dass Gesetze die Aktivität von Söldnern bei hohen Strafen verbieten.

Niemand schert sich um das Sterben der Söldner

Die Söldner bieten im Vergleich mit der regulären Armee im Krieg einige Vorteile. Sie sind das bessere Kanonenfutter, weil sie faktisch außerhalb der russischen Gesellschaft stehen und sich deshalb niemand um ihr Sterben schert. Zudem werden sie, wie sich inzwischen herausgestellt hat, von ihren Kommandeurer flexibler und intelligenter geführt. Weil es die Wagner-Söldner gibt, konnte es der Kreml bisher auch vermeiden, eine zweite Welle der Mobilisierung auszurufen. Die erste im vergangenen Herbst hatte dazu geführt, dass Zehntausende junger Männer ihr Heil in der Flucht ins Ausland suchten. Unter ihnen viele Kinder der Nomenklatura, wie Prigoschin anprangerte.

Als problematisch könnte sich jetzt jedoch das Versprechen erweisen, das er den für den Krieg angeworbenen Schwerverbrechern gab. Die Angeworbenen hatten sich im Herbst vergangenen Jahres verpflichtet, ein halbes Jahr zu kämpfen, wofür ihnen von Putin die Strafe erlassen würde. Für viele ist das halbe Jahr jetzt rum.

Britische Geheimdienste meinen, es könne kaum gelingen, die notorischen Kriminellen in die russische Gesellschaft tatsächlich zu integrieren. Möglicherweise setze der Kreml auch deshalb darauf, dass sich die Wagner-Truppe in der Ukraine aufreibe. Mehr als die Hälfte der Angeworbenen soll inzwischen gefallen oder verwundet worden sein, heißt es. Überprüfen lässt sich das nicht.

Das Wichtigste für Putin ist jedenfalls, die Ambitionen Prigoschins unter Kontrolle zu halten. Aus der Sicht des Präsidenten ist Prigoschin Werkzeug, nicht Herausforderer der Machtelite. Deshalb wird er jetzt offenbar immer öfter auf seine Position verwiesen.

Bei einem seiner Online-Auftritte hat Prigoschin dieser Tage angekündigt, er werde die Stärke seiner Truppen in der Ukraine bis zum Mai auf 40.000 Mann erhöhen. Bisher hätten die Wagner-Söldner „nicht einen Meter ukrainischen Territoriums verloren“, tönte er. Da war er wieder der Provokateur, mit einer direkten Attacke auf die Armeeführung. Prigoschin ist sicher, Putin wird seine Söldner brauchen, wenn die von vielen erwartete Frühjahrsoffensive der ukrainischen Truppen tatsächlich beginnt.

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