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Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, ist Vorsitzender der radikalen Partei „Jüdische Stärke“.

© Reuters/Nir Elias

Update

Rechtsextremer Minister sollte sprechen: EU sagt Feierlichkeiten in Israel ab

Ausgerechnet der radikale Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, sollte zum „Europa-Tag“ der EU sprechen. Nun sagte die EU den Empfang ab.

In normalen Zeiten wäre der „Europa-Tag“, mit dem die Europäische Union am 9. Mai ihr eigenes Bestehen feiert, in Israel keine Zeitungszeile wert gewesen. Doch wenig ist normal im jüdischen Staat, seitdem die rechteste Regierung seiner Geschichte Ende letzten Jahres eingeschworen wurde. Im Vorfeld der Feierlichkeiten, die am Dienstag in Tel Aviv stattfinden sollen, bahnt sich eine diplomatische Krise an: Denn als Repräsentant der israelischen Regierung sollte ausgerechnet der rechtsextreme Itamar Ben-Gvir teilnehmen. Nun meidet die Europäische Union demonstrativ Kontakte mit extremistischen Mitgliedern der rechtsgerichteten Regierung in Israel. Eine EU-Delegation sagte am Montag den diplomatischen Empfang wegen der geplanten Teilnahme des rechtsextremen israelischen Ministers ab.

„Bedauerlicherweise haben wir dieses Jahr beschlossen, den diplomatischen Empfang abzusagen, da wir niemandem eine Plattform bieten wollen, dessen Ansichten den Werten, für die die EU steht, widersprechen“, twitterte ein Mitglied der EU-Delegation mit Blick auf den Minister.

Der 47-jährige Ben-Gvir galt noch vor einigen Monaten selbst in der israelischen Parteienlandschaft als Paria, so radikal sind seine Ansichten. Als junger Mann war er ein sogenannter Kahanist, ein Anhänger des US-Rabbiners Meir Kahane, der Israel in eine jüdische Theokratie verwandeln und die arabische Minderheit ausweisen wollte. Wegen araberfeindlicher Hetze und Mitgliedschaft in einer jüdischen Terrororganisation wurde er mehrfach verurteilt; bis 2020 hing ein Foto Baruch Goldsteins in seinem Wohnzimmer, der 1994 in Hebron 29 Palästinenser beim Gebet erschoss.

Noch im letzten Wahlkampf vermied der damalige Oppositionsführer und heutige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, sich gemeinsam mit Ben-Gvir fotografieren zu lassen. Am Ende stellte Netanjahu jedoch Macht vor Moral: Weil er nur so eine Koalition bilden konnte, holte er Ben-Gvirs Partei „Jüdische Stärke“ aus der politischen Schmuddelecke und machte ihn zum Minister für nationale Sicherheit.

Die neue Verantwortung hat Ben-Gvir und seine Parteifreunde mitnichten moderater werden lassen. Vor einigen Tagen boykottierte seine Partei eine parlamentarische Sitzung aus Protest gegen die Reaktion der Regierung auf Raketen aus Gaza: Die Vergeltungsschläge der Luftwaffe auf militärische Einrichtungen der Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, seien zu „schwach“ gewesen.

Wir unterstützen weder die politischen Ansichten von Minister Ben-Gvir noch die seiner Partei.

Mitteilung der EU-Vertretung in Tel Aviv

Die Ankündigung, dass Ben-Gvir Minister dem Europa-Tag beiwohnen soll, hat unter EU-Diplomaten für Unmut gesorgt, zumal Ben-Gvir bei den Feierlichkeiten auch sprechen sollte. Israelischen Medienberichten zufolge habe die EU-Vertretung in Tel Aviv die Regierung gebeten, eine andere Person zu schicken. „Wir unterstützen weder die politischen Ansichten von Minister Ben-Gvir noch die seiner Partei. Tatsächlich widersprechen viele seiner bisherigen Äußerungen und Ansichten den Werten, für die die Europäische Union steht“, teilte die Vertretung mit.

Ben-Gvir schien sich davon jedoch nicht beeindrucken zu lassen. Am Sonntag bestätigte sein Büro, dass dieser weiterhin plane, auf dem Europa-Tag zu erscheinen. „Der Minister glaubt, dass verschiedene Ansichten in einer Demokratie gehört werden können und müssen.“

Israelische Kommentatoren und Oppositionspolitiker kritisierten die Entscheidung heftig. „Von all den verrückten Dingen, die diese Regierung tat und tut, ist das Entsenden eines vorbestraften Kahanisten zu einer wichtigen Zeremonie der Europäischen Union unter den Top Ten“, schrieb Nadav Eyal, Kolumnist der Zeitung Yedioth Ahronoth. Der Oppositionsführer und frühere Regierungschef Yair Lapid sprach von einem „ernsten professionellen Fehler“, der Israels Außenbeziehungen „Schaden zufügen“ werde.

Gespalten sind viele Beobachter lediglich in der Frage, was zu dieser Personalentscheidung führte: blanke Unprofessionalität oder politisches Kalkül? Einiges spricht für Ersteres: Die Koalition aus konservativen, ultrareligiösen und rechtsextremen Kräften ist in vielen Fragen uneins und hat schon öfters erratisch gehandelt.

Auch bei der Bundesregierung stößt das Vorgehen der Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zunehmend auf Kritik. Am Montag meldete das Auswärtige Amt Gesprächsbedarf wegen einer zerstörten palästinensischen Schule an. Diese Vorgänge unterminierten den Friedensprozess, hieß es. Am Sonntag hatten israelische Behörden ein Schulgebäude im besetzten Westjordanland abgerissen. Das israelische Militär begründete die Maßnahme damit, das Gebäude in zwei Kilometer Entfernung von Bethlehem sei illegal errichtet worden. Es habe eine Gefahr für Schüler und Besucher dargestellt.

Manche Kommentatoren indes sahen in der Angelegenheit eine gezielte Provokation, um unter rechten Wählern, von denen viele die EU für israelfeindlich halten, verlorene Sympathien wiederzugewinnen, nachdem die Koalition in Umfragen abgestürzt ist – und sei es zu einem diplomatischen Preis. Die Entscheidung, Ben-Gvir zum Europa-Tag zu schicken, schrieb die bekannte Reporterin Noa Landau in der linken Haaretz, „ist nicht nur ein Finger im Auge Europas, das ist ein Mittelfinger“. (mit Reuters)

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