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Private Rettungsschiffe müssen künftig einen weiten Weg zu den zugewiesenen Häfen zurücklegen. 

© dpa/sea-eye mission/Johannes Gaevert

Migrationsdekret in Italien: Flüchtlinge müssen ab in den Norden

Die Rechtsregierung in Rom leitet private Seenotrettungsschiffe jetzt in weiter entfernte Hafenstädte um. Den Hilfsorganisationen wird so ihre Arbeit erschwert.

In Ancona sind in den vergangenen Tagen gleich zwei Schiffe von privaten Hilfsorganisationen eingelaufen, um die von ihnen aus Seenot geretteten Flüchtlinge an Land zu bringen. Zuerst legte die „Ocean Viking“ der Nichtregierungsorganisation SOS Mediterranée mit 37 Migranten an Bord an, am Tag danach die „Geo Barents“ der Organisation Ärzte ohne Grenzen mit 73 Bootsflüchtlingen.

Es war das erste Mal überhaupt, dass Ancona den privaten Rettungsschiffen vom Innenministerium als sicherer Hafen zugewiesen wurde. Die gleiche Premiere erlebten in den ersten Wochen des neuen Jahres auch die Hafenstädte Ravenna, Livorno und mehrere andere.

Den neuen „sicheren Häfen“ in Nord- und Mittelitalien ist gemein, dass sie alle von Bürgermeistern des Mitte-Links-Lagers regiert werden – und dass sie sich sehr weit weg befinden von dem Punkt, an welchem die in Seenot geratenen Flüchtlinge gerettet wurden.

Die Zuweisung von derart weit entfernten Häfen verfolgt das einzige Ziel, unsere Schiffe so lange wie möglich vom zentralen Mittelmeer fernzuhalten und die Kosten unserer Einsätze zu erhöhen.

Juan Matias Gil, Missionschef von Ärzte ohne Grenzen

Sowohl die „Ocean Viking“ als auch die „Geo Barents“ mussten mehr als 1500 Kilometer auf zum Teil rauer See zurücklegen, um die Geretteten an Land zu bringen – das entspricht einer vier- bis fünftägigen Reise. „Die Zuweisung von derart weit entfernten Häfen verfolgt das einzige Ziel, unsere Schiffe so lange wie möglich vom zentralen Mittelmeer fernzuhalten und die Kosten unserer Einsätze zu erhöhen“, kritisiert Juan Matias Giles, Missionschef von Ärzte ohne Grenzen.

Hilfsschiffe dürfen nur noch einmal retten

Erschwerend für die Hilfsorganisationen kommt hinzu, dass sie neuerdings nur noch eine Rettungsaktion durchführen dürfen und dann sofort den ihnen zugewiesenen Hafen ansteuern müssen.

So lautet eine der zentralen Bestimmungen des neuen „Verhaltenskodex“ für die privaten Rettungsschiffe, der von der Rechtsregierung von Giorgia Meloni zwischen Weihnachten und Neujahr beschlossen wurde.

Die Vorschrift erklärt auch die vergleichsweise kleine Anzahl von Migranten, die sich an Bord der „Ocean Viking“ und der „Geo Barents“ befanden. Bisher hatten die NGO-Schiffe oft mehrere Rettungsaktionen durchgeführt, ehe sie in der Regel mit Hunderten von Migranten einen Hafen in Süditalien anliefen.

Eine weitere Bestimmung des Verhaltenskodex sieht vor, dass die Migranten umgehend nach ihrer Rettung angeben müssen, in welchem Land sie einen Asylantrag stellen wollen. Damit versucht die italienische Regierung, das Abkommen von Dublin zu unterlaufen, welches vorsieht, dass dasjenige Land für das Asylverfahren zuständig ist, in welchem sie erstmals EU-Boden betreten.

Crews, die sich nicht an den Kodex halten, droht ein Bußgeld von 50.000 Euro; im Wiederholungsfall kann das Schiff beschlagnahmt werden. Für Giorgia Meloni und ihre ultrarechte Regierungskoalition sind die privaten Retter ein „Pullfaktor“, das heißt, ihre Präsenz ermutige Migranten, die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer anzutreten.

Auch die Küstenwache rettet Menschen – ohne Hürden

Diese Theorie hat sich schon früher als wackelig erwiesen, und sie wird auch von den Flüchtlingszahlen in den ersten zwei Wochen dieses Jahres widerlegt. Trotz der massiven Schikanen gegen die NGOs hat die Zahl der in Italien angekommenen Bootsflüchtlinge sprunghaft zugenommen.

Bis zum 12. Januar sind bereits mehr als 3000 Migranten in Italien gelandet, was einer Verzehnfachung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Rund 90 Prozent von ihnen schafften die Überfahrt aus eigener Kraft, viele wurden von der italienischen Küstenwache und der Marine gerettet. Deren Schiffe dürfen nach den Rettungsaktionen die nahen Häfen der süditalienischen Regionen Sizilien, Kalabrien und Apulien anlaufen.

Die sozialdemokratischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Ancona, Ravenna und Livorno machen gute Miene zum bösen Spiel: „Wir nehmen zur Kenntnis, dass Ancona nun ein sicherer Hafen für Flüchtlinge ist – wir beklagen uns nicht und werden unseren Teil zur Versorgung der Geflüchteten beitragen“, erklärte Valeria Mancinelli, die Bürgermeisterin von Ancona.

Es erscheine ihr aber als etwas unlogisch, dass man die Migranten, die nach ihrer Landung ohnehin auf das ganze Land verteilt würden, erst zu einer 1500 Kilometer langen Seereise zwinge.

Livornos Bürgermeister Luca Salvetti meinte ironisch, dass es sicher ein „Zufall“ sei, dass alle neuen sicheren Häfen von links regiert würden. Er warte jetzt darauf, dass auf dieser Liste auch La Spezia, Genua, Venedig und Triest erschienen, die eine Rechtsregierung haben. Bisher wartet Salvetti vergeblich.

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