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Demonstration queere Eltern mit Kindern am 19. März 2023 in Mailand

© Matteo Colella

Schwule und lesbische Eltern: Rom stoppt Anerkennung von Regenbogenkindern

Eltern gleichen Geschlechts dürfen in Italien nicht mehr beide amtlich eingetragen werden. Der Versuch einiger Städte, ihre Kinder denen von Hetero-Eltern gleichzustellen, ist damit vorerst gescheitert.

Nach einem halben Jahr ist das Experiment von Beppe Sala zu Ende. Mailands sozialdemokratischer Bürgermeister ließ seit vergangenem Sommer bei der Anmeldung Neugeborener auch zwei Mütter oder zwei Väter als Eltern von den Standesämtern eintragen. Ein Rundbrief des italienischen Innenministeriums hat ihm das jetzt untersagt: Eltern müssten zwingend Vater und Mutter sein.

Sala war nicht der erste, der kommunale Vollmachten nutzte, um die Lücke zu schließen, die Kindern von Regenbogenfamilien in Italien juristisch nur einen Elternteil zugesteht. Vor ihm hatte 2018 die Fünf-Sterne-Politikerin und Bürgermeisterin von Turin, Chiara Appendino, die Eintragung gleichgeschlechtlicher Eltern erlaubt.

Was aussieht wie ein neues identitätspolitisches Projekt der rechten Regierung Meloni, setzt tatsächlich ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von Ende Dezember um. Dort hatten zwei Männer geklagt, deren Kind in Kanada geboren und dort auch als ihres anerkannt wurde. Der Kassationsgerichtshof - vergleichbar dem Bundesgerichtshof - entschied, dass nur der Samenspender als Vater eingetragen werden dürfe. Die Rechtslage lasse nichts anderes zu.

Das Gericht forderte allerdings zugleich ausdrücklich den Gesetzgeber auf zu handeln. Der sei „bisher tatenlos geblieben“. Ein Thema, so die höchsten Richter:innen weiter, das „noch vor den juristischen Fragen so viele ethische, anthropologische, soziale Fragen berührt“, könne nicht von der Rechtsprechung gelöst werden, sondern „von der Politik und in demokratischer Auseinandersetzung“.

Italiens beide höchsten Gerichte mahnen

Er anerkannte dabei ausdrücklich, dass Kinder aus Regenbogenfamilien aktuell weniger Rechte haben, weil man ihnen zwei Eltern versagt: Die Rechte der Kinder von Eltern gleichen Geschlechts könnten „nicht auf unabsehbare Zeit ausgesetzt“ bleiben. Einstweilen bleibe Müttern und Vätern, die ihr Kind nicht gezeugt oder geboren hätten, nur, es nachträglich zu adoptieren.

Die Rechte von Minderjährigen sind unverkürzbar. Der Gesetzgeber muss so schnell wie möglich die Schutzlücke der Kinder gleichgeschlechtlicher Eltern schließen.

Aus einer Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichts, Januar 2021

Zu Jahresbeginn 2021 war Italiens Verfassungsgericht noch deutlicher geworden: Er forderte das Parlament auf, soziale Elternschaft anzuerkennen. Die Rechte Minderjähriger seien „unverkürzbar“, deswegen müsse es „so schnell wie möglich die Schutzlücke zu schließen“, die die Kinder von Regenbogeneltern von denen heterosexueller Partnerschaften trennt und ihnen das Recht auf zwei Eltern nimmt.

Diese Lücke ist in Italien aus mehreren Gründen groß. Italien und Griechenland sind mittlerweile die einzigen westeuropäischen Länder ohne die Ehe für alle. Hinzu kommt ein Verbot der Leihmutterschaft, das auch für Hetero-Paare gilt. Insofern ist die Lage lesbischer Paare etwas leichter als die von zwei Vätern, weil sie ihr Kind selbst empfangen und gebären können. Aber auch für zwei Mütter gilt: Die madre intenzionale, die nicht Gebärende, muss adoptieren.

Keine Anerkennung, ein Leben lang Scherereien

Dieser Weg, die Stiefkindadoption, kann in Italiens chronisch überlasteter Justiz allerdings sehr lang und teuer werden. Und führt auch nicht zur vollen Elternschaft, wie sie Hetero-Eltern mit einem schlichten Gang zum Standesamt haben. So hat der adoptierende Elternteil kein Erbrecht dem Kind gegenüber, in bestimmten Fällen kann er oder sie die Adoption widerrufen.

Wenn eine Mutter, die bei der Geburt stirbt, nicht mehr ihre Einwilligung zur Stiefkindadoption geben konnte, hat die Partnerin keinerlei Recht. Und die Bürokratie macht das Leben von Regenbogeneltern und -kindern auf Dauer schwer: Auch nach der Adoption sind nicht beide auf allen wesentlichen Dokumenten des Kindes eingetragen.

So anerkennt Italiens Sozialversicherung Inps auf ihren Internetformularen nur Eltern zweierlei Geschlechts. Zwei Väter und zwei Mütter müssen für jeden Behördengang im wahrsten Sinne des Wortes einen altmodischen und zeitraubenden Papierkrieg führen.

Das Verbot, das der Präfekt von Mailand - die Präfekten sind Roms Statthalter im ganzen Land - jetzt gegen Bürgermeister Sala ausgesprochen hat, bedeutet eine weitere Verschärfung, unter einer Regierung, die sich die Nichtanerkennung anderer als heterosexueller Familien ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hat. Sie ist aber das Ergebnis jahrelanger Versäumnisse und jener Tatenlosigkeit der Politik, die die Verfassungs- und Kassationsgericht tadelten.

Daran hat auch die heutige Opposition ihren Anteil. Der sozialdemokratische PD wird seit wenigen Wochen allerdings von Elly Schlein geführt, der ersten Frau in diesem Amt und einer bekennenden Bisexuellen.

Familienministerin setzt auf Abschreckung

Das macht es der Regierung Meloni leichter mit ihrer aktuellen Linie: Keine Schritte zurück, kein Gesetz gegen Frauen- und queere Rechte, aber auch nichts tun, was sie gleichstellt. Die Premierministerin selbst betont bei jeder Gelegenheit, man habe gar nichts gegen Nicht-Hetero-Lebensgemeinschaften.

Auch Familienministerin Eugenia Roccella, eine Ultrakatholikin, deren Ministerium seit dem Wahlsieg der Rechten im Herbst „für Familie und Geburtenrate“ heißt, verteidigte so die unterschiedliche Praxis am Donnerstag im Corriere della sera. Es gehe ja gar nicht um die sexuelle Orientierung der Eltern. Sie sei auch für Heteros gegen Leihmutterschaft, „die gemietete Gebärmutter, einen regelrechten Markt“, auf dem „Elternschaft ver- und gekauft“ werde.

Selbst „L’avvenire“, das Zentralorgan von Italiens katholischer Kirche, hatte eine „Gerechtigkeit für den Tag danach“ gefordert. Gemeint war: Auch dann, wenn man gegen die Umstände der Zeugung sei, dürfe man die Kinder nicht darunter leiden lassen, die so zur Welt kämen.

Roccella setzt dagegen auf Abschreckung: „Wenn wir das alles anerkennen, verstärken wir diese Praxis noch.“ Natürlich könne ein schwuler Mann, eine lesbische Frau „ausgezeichneter Vater oder eine ausgezeichnete Mutter“ sein. „Aber man muss auch an das größere Interesse des Kindes denken.“ Das Recht, seine Eltern zu kennen, bleibe diesen Kindern versagt, „weil sie nur einen biologischen Elternteil kennen“, so Rocella.

Die Mahnung der beiden höchsten Gerichte dürfte bis auf weiteres weiter folgenlos bleiben.

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