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Rotkreuzmitarbeiter in einem Hafen auf Sizilien.

© action press/Splash News

Statt Mauern und Zäunen: Wir sollten alle Fluchthelfer werden

Steigende Zahlen trotz harter Politik beweisen: In einer Welt, die brennt, ist es aussichtslos, Flucht verhindern zu wollen. Ein Kommentar.

Man könnte dem türkischen Staatspräsidenten in einem Wahlkampf vieles vorwerfen: die Unterdrückung demokratischen Protests und abweichender Meinungen bis an die Universitäten, die Rückschritte, die die türkischen Frauen erleben müssen, das Versagen seiner autokratischen Herrschaft angesichts des Erdbebens.

Auch über die Korruption und das Kungeln mit der Bauwirtschaft, das die Katastrophe wohl erst so groß werden ließ, wäre dringend zu reden. Aber nein: Ausgerechnet die großzügige Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus Syrien – mehr als dreieinhalb Millionen seit 2011 – entdeckt die Opposition in der Türkei als etwas, was sich perfekt gegen den Sultan verwenden lässt.

Und nimmt sich dabei ein trauriges Beispiel an unseren perfekten Demokratien, die ebenfalls nur einen Weg kennen: Weg mit denen.

Auch Italiens Rechte kann nichts tun

Es wird nichts helfen. Selbst Italiens Regierung, in der Flüchtlingspolitik von humanen Skrupeln so wenig geplagt wie entschlossen, möglichst jedem und jeder Flüchtenden den Weg abzuschneiden, musste das einsehen: Die Zahl der Ankömmlinge dort hat sich seit Jahresbeginn mehr als verdreifacht.

Der womöglich schlagendste Beweis, dass Verhindern keine Option ist. Jedenfalls nicht auf einem Planeten, dessen südlicher Teil mit hoher Geschwindigkeit unbewohnbar wird. Armut, Kriege und die Klimakatastrophe verwüsten ihn. Die Zahl der Vertriebenen kennt seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Und wir im Norden sind daran nicht unschuldig, um es vorsichtig auszudrücken.

Die Wirklichkeit anerkennen

Die Menschen fliehen nicht, weil sie es ein bisschen besser haben wollen. Der Löwenanteil rennt ums nackte Leben. Aber wir im glücklicheren Teil der Welt verschwenden Ideen, Zeit und Geld – von dem wir viel mehr haben – weiter darauf, sie daran zu hindern. Statt endlich der Realität ins Auge zu sehen und ihnen (und uns!) zu helfen, indem wir sie aufnehmen, arbeiten lassen, ihren Kindern in unseren Schulen alle Möglichkeiten bieten, die sie brauchen. Sie könnten die Zukunft unserer rasch alternden Gesellschaften werden.

„Wir helfen ihnen da, wo sie herkommen”, der fromme Vorsatz lässt sich umsetzen, wenn wir bereit sind, Handelsbedingungen zu ändern, Waffenexporte einzustellen und zum Wohl der Erde auf ein bisschen von dem zu verzichten, was wir für Wohlstand halten.

Aber das wird Generationen dauern. Wer nur ein Leben hat, braucht jetzt Hilfe. In wessen Heimat die Erde bebt, es brennt und das Dach überm Kopf weggebombt wird, kann einen solchen Satz nur für zynisch halten.

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