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Ukrainische Soldaten beim Training.

© REUTERS/Valentyn Ogirenko

Ukraine-Invasion Tag 658: Trotz allem – drei Gründe für Optimismus in der Ukraine

Schwerer Raketenangriff auf Kiew, Scholz sagt weitere Ukrainehilfen zu, Selenskyj überraschend in Oslo, Debatte um EU-Beitritt der Ukraine vor dem EU-Gipfel. Der Überblick am Abend.

Es sind die außenpolitisch wichtigsten Tage des Jahres für die Ukraine. Und vielleicht gibt es mehr Grund zur Hoffnung für Kiew als Gründe für Pessimismus. 

Starten wir in den USA. Dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf seinem US-Besuch in nur zwei Tagen den politischen Grabenkampf in den USA schlichtet, hat niemand erwartet. Und auf Joe Biden musste er ohnehin keinen Eindruck machen; der US-Präsident steht hinter der Ukraine, das kann man ihm abnehmen.

Wichtiger waren Selenskyjs Besuche bei anderen, vor allem republikanischen Politikern, wie dem Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson. Der versicherte nach dem Treffen mit Selenskyj: „Wir stehen mit Selenskyj gegen Putins brutale Invasion“ (Quelle hier). Und weiter: „Die Amerikaner stehen auf der Seite der Freiheit und sind auf der richtigen Seite in diesem Krieg.“ Das ist weit weg von Donalds Trumps dumpfen Realitätsverdrehungen.

Um weitere Ukraine-Hilfen freizugeben, stellte Johnson zwei Bedingungen, die weder neu sind noch unüberwindbar: Er verlangt von Kiew und dem Weißen Haus eine Strategie und einen Plan, wie die Hilfen eingesetzt werden und, man höre und staune, „wie die Ukraine gewinnen kann“. Dem deutschen Kanzler Olaf Scholz kam noch nicht über die Lippen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen soll. Für Johnson aber noch wichtiger: Er will Maßnahmen und Mittel sehen, die das „katastrophale Problem an unserer eigenen Grenze“ lösen. Er meint damit die illegale Einwanderung. Biden hatte Johnson schon signalisiert, dass er in dem Fall zu Kompromissen, wohl auch schmerzhaften, bereit ist. 

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Dabei wissen die Republikaner sehr wohl, dass sie Biden mit ihrem Kurs erpressen. Ein republikanisches Senatsmitglied sagte laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ im Hinblick auf die Debatte um die Sicherung der US-Grenze gegenüber Selenskyj: „Du bist nicht der Auslöser dieses Problems, aber es hat Auswirkungen auf dich, es hat Auswirkungen auf die ganze Welt.“

Sprich: Die Republikaner sind nicht so sehr gegen die Ukraine-Hilfen als vielmehr für Maßnahmen an ihrer eigenen Grenze. Die Hilfen sind ein Mittel zum Zweck. Zumindest der „New York Times“-Reporter Julian Barnes, der für Geheimdienste und internationale Sicherheit zuständig ist, glaubt deshalb, dass es eine Einigung gibt und spätestens im Januar oder Februar neue Hilfen fließen. 

Grund zwei für Hoffnung in Kiew: Ausgerechnet Olaf Scholz. Nachdem sich die Ampelkoalition auf einen Haushalt geeinigt hat, verwandte er einen beträchtlichen Teil seiner Regierungserklärung, um über die Ukraine zu sprechen. Er warnte davor, dass Putins Kalkül aufgeht. Nämlich, dass der Westen in seiner Unterstützung nachlässt. Wichtig: Scholz sieht das Problem. Und er adressiert es: Die versprochenen Waffenhilfen im Wert von acht Milliarden Euro werden fließen. Falls mehr Geld gebraucht wird, kann das mit einem „Überschreitungsbeschluss“ im Bundestag genehmigt werden (mehr zur Haushaltseinigung lesen Sie von meinem Kollegen Albert Funk hier). 

Grund drei für Hoffnung in Kiew: Laut einem Bericht des US-Geheimdienstes, über den der oben angesprochene „New York Times“-Reporter Julian Barnes schreibt (Quelle hier), hat Russland bisher mehr als 300.000 Soldaten in der Ukraine verloren. Das sind 90 Prozent der Soldaten, mit denen Moskau den Krieg begonnen hat. Außerdem sind Zweidrittel der russischen Panzer beschädigt oder zerstört. Die aktuelle russische Offensive in der Ukraine habe das Ziel, den Westen von weiteren Hilfen abzubringen, heißt es in dem Bericht. Ob das gelingt, ist tatsächlich noch offen. Aber: Zu sicher sollte sich Putin seiner Sache auch nicht sein.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick

  • Mehr als 50 Verletzte nach heftigem russischen Angriff auf Kiew: Russland beschoss die ukrainische Hauptstadt Kiew in der Nacht auf Mittwoch so heftig wie seit über einem Jahr nicht mehr. Selenskyj kündigte eine Verstärkung der Flugabwehr an. Mehr hier.
  • In der Ukraine ist das Mobilfunknetz des größten Anbieters Kyivstar auch mehr als 24 Stunden nach einem beispiellosen Hackerangriff weiter außer Betrieb. Der Geheimdienst SBU teilte am Mittwoch mit, dass inzwischen Cyberexperten der Behörde dem Unternehmen bei der Behebung der Schäden helfen. Die Wiederaufnahme der Dienste werde im Laufe des Mittwochs erwartet. Der SBU teilte mit, dass russische Hacker die Verantwortung für den Sabotageakt übernommen hätten. Der Geheimdienst sprach abfällig von einer „Pseudohackergruppe“, ordnete sie aber dem russischen Militärgeheimdienst GRU zu. Mehr in unserem Newsblog.
  • Dänemark will die Ukraine mit weiterer umfassender Militärhilfe unterstützen. Ihre Regierung werde dem dänischen Parlament am Donnerstag ein neues militärisches Spendenpaket im Umfang von fast einer Milliarde Euro vorlegen, kündigte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Oslo an. Anwesend war neben weiteren nordischen Staats- und Regierungschefs auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Werde das Paket vom Parlament angenommen, beinhalte es Dinge, die die Ukraine derzeit brauche, sagte Frederiksen weiter. „Darunter Munition, Panzer, Drohnen und andere Ausrüstung, die für die laufenden Kämpfe wichtig ist.“ 
  • FDP-Vize Johannes Vogel sieht die Hilfe aus der Europäischen Union für die Ukraine ungleich verteilt. „Wir müssen die Ukraine entschlossen unterstützen. Und wir als Freie Demokraten sind auch der festen Überzeugung, dass wir das als Europäische Union gemeinsam machen müssen“, sagte Vogel, der auch Erster Parlamentarischer Geschäftsführer ist, am Mittwoch im Bundestag. Dazu gehöre „mit Blick auf die Tatsache, dass Deutschland alleine 50 Prozent der finanziellen Hilfen der Europäischen Union für die Ukraine heute liefert, dass dann die europäischen Partner ihren Anteil vielleicht auch noch stärker tragen müssen“, forderte er. 
  • Russland hat die Gespräche des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in den USA als inhaltsleer abgetan. Selenskyjs Reise sei ohne Erfolg verlaufen, sagte der russische Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, am Mittwoch. „Alle haben den Bettler aus Kiew satt.“ Es sei Selenskyj nicht gelungen, Washington davon zu überzeugen, dass die Ukraine wichtiger sei als die Sicherheit der USA. Die neuen US-Sanktionen gegen Russland und die Militärhilfe seien „nicht mehr als der Versuch, gute Miene zu schlechtem Spiel zu machen“, sagte Antonow. Russland werde sich davon nicht abhalten lassen, seine außenpolitischen Interessen weiter durchzusetzen. 
  • EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor nachlassendem Engagement bei der Unterstützung für die Ukraine gewarnt. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin seine Kriegsziele in dem Land bislang nicht erreicht habe, bedeute nicht automatisch, dass die Ukraine siegen werde, sagte die Deutsche am Mittwoch in einer Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
  • Die russische Armee hat in der Nacht zum Mittwoch erneut die südukrainische Region Odessa an der Schwarzmeerküste mit sogenannten Kamikaze-Drohnen angegriffen. Obwohl alle Drohnen abgeschossen wurden, lösten deren Trümmer nach Angaben der Kommandostelle Süd der ukrainischen Streitkräfte einen Brand in einer Autowerkstatt aus. Zwei Mitarbeiter der Werkstatt erlitten dabei Verletzungen. Auch ein Hafengebäude soll durch herabstürzende Drohnenteile beschädigt worden sein. Insgesamt will das Militär in der Nacht alle neun russischen Drohnen vom iranischen Bautyp Shahed abgeschossen haben. 
  • Russland erschwert nach Ansicht britischer Militärexperten die Abwehr von Kamikaze-Drohnen durch die Ukraine, indem es zusätzliche Startplätze nutzt. Das geht aus dem täglichen Geheimdienstbericht zum Krieg in der Ukraine des Verteidigungsministeriums in London am Mittwoch hervor. Demnach sind inzwischen fünf Startplätze für russische Kamikaze-Drohnen gegen die Ukraine bekannt.

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