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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu

© dpa/Atef Safadi

Umkämpfte Justizreform in Israel: Netanjahu will Oberstes Gericht doch nicht schwächen

Seit Wochen protestieren Tausende Israelis gegen die geplanten Reformen der rechts-religiösen Regierung. Nun scheint Ministerpräsident Netanjahu auf die Demonstranten zuzugehen – und seine Koalition rebelliert.

Die massiven Proteste gegen die geplante Justizreform der israelischen Regierung zeigen nach über sechs Monaten offenbar Wirkung: Wie am Donnerstag bekannt wurde, ist Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu offenbar bereit, das umstrittenste Element der geplanten Reform – die Schwächung des Obersten Gerichtshofes – aufzugeben. „Ich achte auf die öffentliche Stimmung“, sagte er in einem Interview mit dem „Wall Street Journal“, das dieses am Donnerstag veröffentlichte.

Die geplante Reform, die die rechts-religiöse Regierung kurz nach ihrer Amtsübernahme Anfang des Jahres vorgestellt hatte, sieht eine umfassende Neuordnung der drei Gewalten vor, weshalb viele Kritiker in Israel nicht von „Reform“, sondern „Revolution“ sprechen. Bislang kann der Oberste Gerichtshof Gesetzesentwürfe, die im Widerspruch zu den israelischen Grundgesetzen stehen, für rechtswidrig erklären.

Die Reform in ihrer ursprünglichen Fassung sollte dem Parlament die Macht einräumen, eine solche Gerichtsentscheidung mit einer einfachen Mehrheit aufzuheben. Da Israel weder eine zweite Kammer im Parlament noch ein föderales System mit regionalen Machtzentren hat, fürchten Kritiker, dass eine solche Reform der Regierung unbeschränkte Macht einräumen würde. Befürworter der Pläne argumentieren dagegen, der Oberste Gerichtshof habe in den vergangenen Jahren eigenmächtig in zu viele politische Entscheidungen eingegriffen und müsse daher in die Schranken gewiesen werden.

Gegen die Pläne hat sich eine beispiellos breite Protestbewegung gebildet, die weite Teile der israelischen Gesellschaft umfasst. Am vergangenen Samstag protestieren in der 25. Woche in Folge Zehntausende Menschen in Tel Aviv und anderen Städten gegen die Reform. Zu ihren Hochzeiten zogen die Proteste mehrere Hunderttausend Menschen an. Israels Staatspräsident Yitzhak Herzog warnte zwischenzeitlich vor einem Bürgerkrieg.

Monatelang wurde nach einem Kompromiss gesucht

Mehrere Monate lang hatten Vertreter von Regierung und Opposition unter der Schirmherrschaft des Präsidenten versucht, eine Kompromisslösung zu finden; Mitte Juni waren beide Seiten jedoch ergebnislos auseinandergegangen. Er wolle einen modifizierten Reformplan daher nun selbst vorantreiben, sagte Netanjahu dem „Wall Street Journal“. So sei er entschlossen, die Zusammensetzung des Komitees, welches für die Auswahl von Richtern zuständig ist, zu verändern, wenn auch noch nicht feststehe, in welcher Form. Die ursprüngliche Reform sieht vor, Vertretern der Regierung eine Mehrheit in dem Komitee zu geben.

Mit der Ankündigung Netanjahus, die Schwächung des Obersten Gerichtshofs aus den Plänen zu streichen, ist der Konflikt also längst nicht beigelegt: Auch der Plan, die Zusammensetzung des Komitees zu ändern, ist äußerst umstritten, ebenso wie weitere Elemente der Reform.

Ich denke, wir alle verstehen, dass wir die Reformen vorantreiben müssen, damit diese Regierung weiter bestehen kann.

Kultur- und Sportminister Miki Zohar

Zudem hat Netanjahu mit seinem Interview seine eigene Koalition in Aufruhr versetzt. „Ich denke, wir alle verstehen, dass wir die Reformen vorantreiben müssen, damit diese Regierung weiter bestehen kann“, sagte Kultur- und Sportminister Miki Zohar am Donnerstag gegenüber einem israelischen Radiosender. Zohar gehört Netanjahus Likudpartei an und gilt als enger Vertrauter des Justizministers Yariv Levin, ebenfalls Likudpolitiker, der wiederum zu den treibenden Kräften hinter der Reform zählt.

Itamar Ben-Gvir, Minister für nationale Sicherheit und Vorsitzender der rechtsextremen Partei „Jüdische Stärke“, warf Netanjahu gar vor, gegenüber der Protestbewegung zu „kapitulieren“. Die Justizreform sei ein „Grundstein“ der Versprechen, die seine Partei ihren Wählern gemacht habe, schrieb er auf Twitter. Sämtliche Elemente der geplanten Reform seien „notwendig“.

Tatsächlich haben Ben-Gvir und seine Partei ebenso wie Justizminister Levin ihr politisches Schicksal eng mit der Reform in ihrer ursprünglichen Fassung verknüpft. Levin soll Netanjahu israelischen Medienberichten zufolge in der Vergangenheit bereits mit Rücktritt gedroht haben, sollte dieser die Reform kippen. Mit seinen neuesten Äußerungen könnte Netanjahu nun gegenüber seinen eigenen Koalitionspartnern in Schwierigkeiten geraten.

Und sollte er gehofft haben, auf diese Weise zumindest die Protestbewegung ein wenig zu besänftigen, hat er sich verrechnet. Organisatoren der Bewegung haben bereits klargemacht, dass sie Netanjahu und seinen Versprechungen nicht trauen. „Sie versuchen, uns einzuschläfern“, hieß es am Donnerstag in einer Verlautbarung, die über soziale Medien verbreitet wurde. Der nächste Protest am kommenden Samstag werde wie geplant stattfinden.

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