zum Hauptinhalt
General Sergej Surowikin (l), Oberster russische Militärbefehlshaber in der Ukraine, und Sergej Schoigu, Verteidigungsminister von Russland, bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin während seines Besuchs russicher Truppen an einem unbekannten Ort in der Ukraine.

© dpa/Gavriil Grigorov

Verteidigungsminister Schoigu als Geisel?: General „Armageddon“ und die Frage nach Prigoschins heimlichen Helfern

Laut westlichen Geheimdiensten wussten ranghohe russische Militärs von Prigoschins Meuterei-Plänen. Wollten sie dem Wagner-Chef helfen oder Putin schützen?

Fünf Tage nach den teilweise surrealen Vorgängen am Wochenende in Russland werden die Fragen um den Aufstand der Wagner-Söldner nicht weniger, sondern mehr. Es geht um die Mitwisser und vielleicht die heimlichen Unterstützer des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin, der einen Sturz der russischen Militärführung plante.

Laut einem Bericht der „New York Times“ soll unter anderem der stellvertretende Oberbefehlshaber der russischen Invasionstruppen in der Ukraine und Kommandeur der russischen Luftwaffe, Sergej Surowikin, früh von dem geplanten Wagner-Aufstand gewusst haben. Die Reporter berufen sich dabei auf US-Offizielle mit Zugang zu entsprechenden Geheimdienstinformationen.

Die derzeit noch offene Frage: Ob Surowikin Wagner-Chef Prigoschin bei der Planung der Rebellion sogar unterstützt habe. Das versuchten die US-Geheimdienste derzeit noch herauszufinden, schreibt die „NYT“.

Zudem gebe es laut US-Geheimdienstinformationen Anzeichen dafür, dass weitere russische Generäle Prigoschin unterstützt haben könnten, die Führung des russischen Verteidigungsministeriums zu stürzen. Ohne Unterstützung hätte Prigoschin sich wohl kaum zu so einer gefährlichen Mission hinreißen lassen, mutmaßen die US-Geheimdienste – und seine Söldner wären wohl kaum so weit auf Moskau vorgerückt.

Der Verteidigungsminister und der Generalstabschef sollten wohl verhaftet werden

Der Sprecher des Kreml, Dmitri Peskow, nannte den Bericht der „New York Times“ reine Spekulation. „Es gibt viele verschiedene Spekulationen über diese Ereignisse, Klatsch und Tratsch und so weiter. Ich denke, dies ist ein solches Beispiel“, sagte er.

Derweil berichtet das „Wall Street Journal“ am Mittwoch über Pläne Prigoschins, die russische Militärführung gefangenzunehmen. Nachdem der russische Geheimdienst FSB von den Plänen erfahren habe, sei Prigoschin gezwungen gewesen, schnell zu handeln. Das „WSJ“ stützt sich bei seinem Bericht auf Informationen von „westlichen Offiziellen“.

Laut den Informationen wollte Prigoschin den russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und den Generalstabschef Waleri Gerassimow bei einem Truppenbesuch im Süden Russlands, nahe der Grenze zur Ukraine, gefangennehmen. Der FSB erfuhr zwei Tage vor der geplanten Aktion von dem Vorhaben.

Dass mehrere russische Offizielle, die auf der Seite des russischen Präsidenten Wladimir Putin standen, von den Plänen vorab wussten, wurde am Dienstag von den russischen Sicherheitsbehörden bekannt gegeben.

Laut den Informationen des „WSJ“ räumten die westlichen Geheimdienste Prigoschins Vorhaben sogar gute Erfolgschancen ein – bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Putin-loyalen Sicherheitsorgane davon erfuhren.

Surowikin war bei russischen Hardlinern beliebt

Dabei hätte Surowikin durchaus Gründe, Prigoschins Vorhaben zu unterstützen. Der Luftwaffengeneral war im Oktober 2022 zum Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine ernannt worden, ehe er nach Kritik wegen militärischer Rückschläge im Januar von Generalstabschef Waleri Gerassimow abgelöst und zu dessen Stellvertreter degradiert wurde.

Der damalige Kommandeur der russischen Streitkräfte in Syrien, Generaloberst Sergej Surowikin, spricht 2017 bei einem Briefing im Verteidigungsministerium in Moskau (Archivbild).

© Foto: düa/AP/Pavel Golovkin

Surowikin hatte im vergangenen Jahr den Rückzug der russischen Truppen vom rechten Ufer des Dnipro befohlen und eine defensivere Taktik verfolgt. Nach ihm ist eine der Verteidigungslinien in der Ostukraine benannt. Unter seinem Chef und Nachfolger Gerassimow ging Russland, auf Putins Wunsch, in eine verlustreiche Winteroffensive, die kaum Geländegewinne einbrachte.

Unter Experten wurde damals gemutmaßt, dass Surowikin als Befehlshaber in der Ukraine auch zu viel Einfluss gewonnen haben könnte. 

Surowikin gilt als beliebt bei russischen Hardlinern, zu denen auch Unterstützer der Wagner-Gruppe gehören, weil er als kompetenter Militär gesehen wird, der sich an der Front bei den Soldaten sehen lässt – im Gegensatz zur russischen Militärführung.

Surowikin trägt den Spitznamen „General Armageddon“ wegen seines brutalen Vorgehens im syrischen Bürgerkrieg. Die Hardliner-Fraktion, zu der unter anderem viele reichweitenstarke russische Militärblogger gehören, wirft dem russischen Verteidigungsministerium Fehler in der Ukraine vor.

Prigoschin wiederum hatte sich über Monate einen öffentlichen Machtkampf mit Gerassimow und Schoigu geliefert. Er hatte sie wegen militärischer Misserfolge scharf kritisiert und ihnen Inkompetenz vorgeworfen. Dagegen hatte er sich über Surowikin lobend geäußert.

Dass Prigoschin Unterstützung im russischen Militärapparat hatte, darauf deuten Berichte von russischen Bloggern vom Mittwoch hin. Demnach sollen zahlreiche Militärs verhaftet und verhört worden sein – unter den Verhörten sei auch Surowikin. Zuständig für die Säuberungen sei Putins Schutzgarde, der „Föderale Dienst für die Bewachung des Präsidenten“. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Informationen nicht.

Was die These vom Verschwörer Surowikin allerdings nicht mehr ganz so wahrscheinlich erscheinen lässt: Der General hatte die Wagner-Söldner bereits kurz nach Beginn ihres Aufstands am Freitag öffentlich aufgefordert, ihre Rebellion und den schließlich am Samstag abgebrochenen Marsch auf Moskau aufzugeben.

Außerdem bombardierte die unter seinem Kommando stehende Luftwaffe die Wagner-Söldner auf ihrem Weg nach Moskau. Wagner tötete in den Gefechten mindestens 13 Soldaten der Luftwaffe und schoss zahlreiche Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug ab.

Das lässt eine weitere Möglichkeit wahrscheinlich werden: Surowikin wusste von den Meutereiplänen – und gab sie an den russischen Geheimdienst weiter, der den Aufstand vereiteln sollte. Auf welcher Seite „General Armageddon“ stand, wird wohl erst klar, wenn sicher ist, ob er den Säuberungen im russischen Militärapparat zum Opfer fällt. (mit Agenturen)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false