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Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, führt nicht nur gegen die Ukraine Krieg, sondern auch gegen die russische Militärführung

© dpa/Prigozhin Press Service/Uncredited

Wagner-Chef hat kaum Grund zum Jubeln: Das Bachmut-Dilemma des Jewgeni Prigoschin

Bereits neun Monate wird um Bachmut gekämpft. Sollte die Stadt fallen, wäre das kein Sieg für den Wagner-Chef. Vielmehr könnte das zu einem Problem für ihn werden.

Söldnerchef Jewgeni Prigoschin hat erklärt, seine Wagner-Truppe habe die ostukrainische Stadt Bachmut eingenommen. Noch jedoch ringen die russische und die ukrainische Seite verbal und militärisch weiter um die Deutungshoheit in der Schlacht.

Dies kann allerdings kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Kontrolle über ein Ruinenfeld nach neun Monaten heftiger Kämpfe um die Stadt im Donbass nur noch ein symbolischer, kein militärstrategischer Erfolg in diesem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sein kann. Für Prigoschin ist es sogar kein Sieg, sondern vielleicht bald schon ein Problem.

In fast flehentlichem Ton hatte Prigoschin am vergangenen Freitag einen Bittbrief an seine Intimfeinde, Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow, geschrieben. „Bitte geben Sie die Flanken nicht her“, schrieb Prigoschin. „Leisten Sie noch ein paar Tage so gut es geht Widerstand, damit die Flanken nicht bröckeln.“

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Die Bitte bleibt weiter aktuell, denn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte nach zunächst verwirrenden Aussagen den Verlust der Stadt an die russischen Truppen negiert. Darüber hinaus geben seine Militärführer die Schlacht um die Region keineswegs verloren.

An den Flanken, die Prigoschin Sorgen machen, sind die ukrainischen Streitkräfte in den letzten Tagen erfolgreich zu Attacken auf die regulären russischen Streitkräfte übergegangen.

Prigoschins Söldner könnten in der Falle sitzen

Wenn dort die Front nicht hält, sitzen die Söldner in der Falle. Ihnen droht die Einkreisung. Das dürfte der Grund sein, warum Prigoschin seinen Kreuzzug gegen das Verteidigungsministerium zumindest vorübergehend aussetzt und sich sein Jubel am Wochenende in Grenzen hielt.

Auf Luftbildern wird die Zerstörung Bachmuts sichtbar.

© dpa/Satellite image

Anfang Mai hatte er noch ganz anders geklungen. Mit öffentlichen Attacken auf die russische Armeeführung hatte er sich auch vorher nicht zurückgehalten. Doch am Vorabend der Feiern zum Tag des Sieges am 9. Mai übertraf er sich selbst.

In einem 27-minütigen Video beklagte er zum wiederholten Male, seine Leute erhielten zu wenig Munition. Die russischen Truppen um Bachmut beschuldigte er der feigen „Flucht vor dem Feind“.

Damit nicht genug. Den Höhepunkt seiner Tirade bildete eine Wendung, die man als Attacke auf Putin selbst deuten konnte. In finsterem Sarkasmus beklagte sich Prigoschin, über einen „glücklichen Opa“, der glaube, alles laufe gut und schloss die Frage an: was, wenn sich herausstelle, „dass dieser Opa ein völliges Arschloch ist“.

Einen Tag später stellte Prigoschin klar, dass er damit nicht Putin gemeint habe. Aber „die höchste Führung des Landes in beunruhigt“, will die Online-Plattform aus zwei nicht namentlich genannten Quellen aus dem Kreml erfahren haben.

Angriffe aus der Duma gegen Prigoschin

Aus dem Verteidigungsausschuss der Duma meldete sich der Abgeordnete Viktor Sobolew, Dienstrang Generalleutnant, mit einer indirekten, aber unmissverständlichen Drohung. „Ich bin und bleibe überzeugt, dass der Staat ein absolutes Monopol auf die Schaffung, die Entwicklung und den Einsatz bewaffneter Kräfte haben muss“, wird Sobolew zitiert.

Wer dem Dienst in der Armee einen Vertrag als Wagner-Söldner vorziehe, solle mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden. Schließlich sei Wagner eine „illegale militärische Formation“.

Tatsächlich ist nach Paragraf 359 des Strafgesetzbuches russischen Bürgern verboten, sich als Söldner an bewaffneten Konflikten im Ausland zu beteiligen. Darauf stehen bis zu sieben Jahren Haft - auf dem Papier.

Sogar 15 Jahre Haft drohen demjenigen, der Söldner anwirbt, sie ausbildet und ihren Einsatz finanziert. Dass die russische Staatsanwaltschaft noch in keinem Fall - auch nicht vor der Aggression gegen die Ukraine - tätig wurde, ist ein klares Indiz dafür, wie eng die „Wagner“-Söldner und ihr Chef Prigoschin mit den Machtstrukturen in Russland verwoben sind.

Mehrmals hatte es Vorstöße gegeben, Söldnerverbände in Russland zu legalisieren. Bereits 2012 hatte Putin in einer Rede erklärt, private Sicherheitskräfte könnten durchaus den nationalen Interessen Russlands dienen. Und das taten sie auch bereits, beispielsweise in Syrien. 2014 und 2016 scheiterten jedoch entsprechende Gesetzesinitiativen - offensichtlich an den Bedenken der Sicherheitsministerien.

Putin hält sich aus dem Streit heraus

Noch halten nach den Recherchen von „Meduza“ zwei Personen aus dem engsten Umfeld Putins ihre schützende Hand über Prigoschin: der Chef der Nationalgarde Viktor Solotow und Alexej Djumin, der für die Planung und Organisation der Krim-Annexion vor sechs Jahren mit dem Posten des Gouverneurs von Tula belohnt wurde.

Und Putin? Der hält sich aus dem Streit zwischen Prigoschin und der Armeeführung auffällig heraus. Das Video vom „glücklichen Onkel“ habe man im Kreml nicht gesehen, erklärte Sprecher Dmitri Peskow.

Die Politologien Tatjana Stanowaja sieht dennoch eine Gefahr für den Präsidenten heraufziehen. Dem Regime drohe keine Gefahr, solange die Ratings für Putin stabil seien, meint sie. Aber es schwäche die Position seiner Umgebung, wenn ihr Dienstherr sich nicht klar zu ihnen bekenne.

Nur wenige Stunden nach seiner Erfolgsmeldung wagte Prigoschin einen neuen Angriff auf Schoigu. Erneut lud er den Verteidigungsminister zu einem Frontbesuch ein. Es ist die Frage, wie lange der sich die ständigen Provokationen gefallen lässt.

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