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Demonstranten in Tel Aviv mit einem Bild von Israels Premier Benjamin Netanyahu.

© Imago/Zuma Wire/Eyal Warshavsky

Entscheidende Beratungen in Israel: Die wichtigsten Fragen und Antworten zur umstrittenen Justizreform

Seit Monaten protestieren Hunderttausende Israelis gegen den geplanten Umbau der Justiz. Am Dienstag beraten nun die obersten 15 Richter des Landes über einen Teil der Reform. Was steht auf dem Spiel?

Es ist ein ganz besonderer Gerichtstermin. An diesem Dienstag kommen erstmals alle 15 höchsten Richter Israels zusammen, um über den ersten verabschiedeten Teil der höchst umstrittenen Justizreform zu beraten.

Kein Projekt der rechts-religiösen Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu hat so viel Unmut hervorgerufen, wie der Plan, die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs drastisch einzuschränken.

Noch am Wochenende hatten wieder mehr als Hunderttausend Israelinnen und Israelis gegen den Umbau der Justiz protestiert. Auf Plakaten war zum Beispiel zu lesen: „Ohne das Oberste Gericht gibt es keine Demokratie.“

Die israelische Polizei setzt einen Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, die gegen die Justizreform protestieren.

© dpa/Ilia Yefimovich

Die Regierung wiederum argumentiert, das höchste Gericht des Landes sei zu mächtig und mische sich zu stark in politische Fragen ein. Jetzt befassen sich die Richter mit dem ersten Element der Justizreform. Es sind schicksalsträchtige Beratungen.

1 Worüber beraten die Richter am 12. September?

Das neue Gesetz untersagt dem Gericht, Entscheidungen des Kabinetts oder einzelner Minister mit Verweis auf die sogenannte Angemessenheitsdoktrin für ungültig zu erklären. Zuvor konnte das Gericht solche Entscheidungen auf ihre Angemessenheit prüfen. Oft ging es dabei die Besetzung öffentlicher Ämter.

Bei dem neuen Gesetz handelt es sich formal um eine Ergänzung zu einem der Grundgesetze, die in Israel stellvertretend für eine Verfassung behandelt werden. Weil die Ausgangslage so heikel ist, werden erstmals in der Geschichte alle 15 Richter des Gerichts an den Besprechungen teilnehmen.

2 Welche Möglichkeiten hat das Gericht?

Es gibt zwei Rechtsdoktrinen, auf deren Grundlage das Gericht das Gesetz für ungültig erklären könnte. Vereinfacht zusammengefasst, verletzt das Gesetz aus Sicht seiner Gegner zum einen das Prinzip der Gewaltenteilung, weil es eine Kontrollmöglichkeit der ohnehin mächtigen Exekutive beseitige.

Zum anderen sei es zu eng gefasst und auf die Wünsche der Regierung zugeschnitten, während Grundgesetze allgemeiner gehalten sein müssten.

Bislang hat Israels Oberstes Gericht noch nie ein Grundgesetz für ungültig erklärt, und viele Experten in Israel halten es für unwahrscheinlich, dass es diesen drastischen Schritt gehen wird. Andere dagegen vermuten, dass die Präsidentin des Gerichts, Esther Hayut, das volle Richterquorum einberufen hat, um einer solchen Entscheidung mehr Gewicht zu verleihen.

Esther Hayut, Präsidentin des Obersten Gerichtes Israels.

© Getty Images/Anadolu Agency/Uncredited

Alternativ könnte das Gericht einzelne Aspekte des Gesetzes kritisieren, ohne es für ungültig zu erklären. Dies hat es in der Vergangenheit bereits nach der Prüfung anderer Grundgesetze getan.

3 Warum ist der Tag ein besonderes Datum für Israel Demokratie?

Zusammengenommen zielen die geplanten Reformen darauf ab, die Kontrollfunktion des Obersten Gerichts gegenüber Regierung und Parlament erheblich einzuschränken. Die Abschaffung der Angemessenheitsdoktrin bei der Überprüfung von Ministerentscheidungen bedeutet noch nicht das Ende der israelischen Demokratie; es gibt weitere Doktrinen, auf deren Grundlage das Gericht Ministerentscheidungen prüfen kann.

Doch das Gesetz ist ein erster Schritt zur Entmachtung des Gerichts – und damit zur Schwächung des demokratischen Prinzips der Gewaltenteilung. Ob es durchkommt oder annulliert wird, könnte deshalb wegweisend sein für den weiteren Verlauf des Konflikts.

4 Wie wird die Regierung Netanjahu reagieren, wenn das Gericht die Grundgesetzänderung für nichtig erklärt?

Dass diese Frage überhaupt aufkommt, zeigt, wie sehr die Dinge bereits aus dem Ruder gelaufen sind. Schließlich sollte in einer Demokratie selbstverständlich sein, dass die Regierung Urteile des Obersten Gerichts akzeptiert. Netanjahu will sich darauf jedoch öffentlich nicht festlegen – und heizt damit die Angst vor einer Staatskrise an.

140.000
Menschen haben nach Angaben der Organisatoren am jüngsten Protest gegen die Justizreform teilgenommen.

Denn würde die Regierung gegen das Gericht rebellieren, müsste jede Institution des Staates, Polizei und Armee eingeschlossen, entscheiden, wem ihre Loyalität gilt. Dass es tatsächlich so weit kommt, gilt allerdings als unwahrscheinlich.

5 Was plant die Protestbewegung, wenn die Richter dem ersten Element der Justizreform zustimmen?

Der Bewegung würde eine solche Entscheidung einen kräftigen Schub verschaffen. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass der bisherige Höhepunkt der Proteste – die spontanen Demonstrationen im März, nachdem Netanjahu Verteidigungsminister Yoav Gallant gefeuert hatte – übertroffen wird.

Schließlich richtet der Zorn der Demonstranten sich gegen die rechts-religiöse Regierung, nicht gegen das Gericht.

Die Anführer der Protestbewegung würden aber gewiss nach Wegen suchen, die Proteste auszuweiten, allein schon, um die Verabschiedung weiterer Gesetze zu verhindern.

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