zum Hauptinhalt
Archimedes - hier ein mittelalterliches Idealporträt - starb 212 v. Chr. bei der Eroberung von Syrakus durch die Römer.

© Wikimedia

Kolumne „Fundstücke“: Spaziergänge in Syrakus

Spätestens seit Johann Gottfried Seume ist Syrakus ein Traumziel der deutschen Südenssehnsucht. Nun beschreibt Joachim Sartorius die Schönheit der Stadt.

Mit dem Klimawandel scheint zwar auch der Süden immer weiter in die nördlichen Sphären zu wachsen, aber noch kann kein heimischer Hitzesommer die deutsche Südenssehnsucht ganz stillen. Ob Mallorca oder Kreta, Hauptsache Italien, das bleibt mit allen lokalen Abwandlungen die Botschaft unseres Fußballphilosophen Matthäus. Der sanfte Kuss des Südens schwingt dabei auch im Namen von Syrakus.

Auch wenn der Goethe-Zeitgenosse Johann Gottfried Seume vor gut zweihundert Jahren seinen berühmten „Spaziergang nach Syrakus“ gemacht hat (guter Titel bei zweitausend Kilometern von Leipzig her), so sind viele Dichter zwar bis Sizilien gelangt.

Doch eher nach Palermo oder zum Ätna, seltener an den Südostzipfel der wilden, weiten Insel. Obwohl Syrakus zur Zeit seiner griechischen Kolonisation einmal eine Königin des Mittelmeers war, eine Hauptstadt mit über zweihunderttausend Einwohnern, doppelt so groß wie heute, dazu mächtiger und prächtiger.

Trotzdem ist Syrakus nach Jahrhunderten des Niedergangs und Zerfalls heute wieder – dank ökonomischer Aufschwünge und allerhand architektonischer Restaurierung – ein magischer Ort. Seinem Zauber ist auch Joachim Sartorius erlegen, freilich auf hellwache Weise.

Der frühere Intendant der Berliner Festspiele, Literaturgelehrte und Lyriker hat vor Jahren dort eine Wohnung erworben. Nicht am Strand, sondern mitten in der Altstadt, die als Halbinsel ins Meer ragt und Ortigia heißt. Sartorius‘ Blick reicht von einer kleinen Terrasse über die schiefen Dächer, die Kirchtürme hinaus zum mediterranen Horizont.

Vor allem aber lockt seine „Versuchung von Syrakus“ (mare Verlag, Hamburg 2023, 175 Seiten, 20,- €) mit alltäglichen Gängen durch die Gassen und über die Piazzen, bisweilen auch hinein in einen Palazzo, in ein Museum, eine Werkstatt oder ein Atelier. Sartorius beschreibt die Besuche in seinen Cafés, beim Barbier oder einem wunderlichen Baron, bei Sammlern, Privatgelehrten, Künstlern und Literaten, bei den hierhin Verschlagenen oder Alteingesessenen. Bei Zeugen versunkener wie erträumter Zeiten.

Dabei verspinnt sich dieser in eleganter Flaneursprache à la Hessel und Benjamin geschriebene Essay immer wieder mit Assoziationen und schönen Lesefrüchten. In Syrakus hat Platon gelehrt, haben Aischylos, Pindar und Theokrit gedichtet, Archimedes Kriegsmaschinen erfunden, Caravaggio gemalt, und Schiller (nie in Italien) hat dort seine „Bürgschaft“ angesiedelt. Viel Hauch der Vergangenheit, doch bei Sartorius weht dazu die Brise der Gegenwart.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false