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Der Journalist Mohamed Amjahid

© Antoine Midant/Piper Verlag

1000 und eine Nacht: „Let´s Talk About Sex, Habibi“ von Mohamed Amjahid

In seinem dritten Buch beschäftigt sich der Berliner Journalist und Autor mit der Liebe und dem Begehren zwischen Kairo und Casablanca

Let's talk about sex, baby / let's talk about you and me“, heißt es im Song von Salt-N-Pepa aus dem Jahr 1990. Genauso heißt es im Pop: „Love is a battlefield“. Oder eben auch: Sex. In diese Kampfzone hat sich der Journalist Mohamed Amjahid mit seinem neuen Buch „Let's Talk About Sex, Habibi" begeben , das dem alten Hit der Rap-Girlgroup ein nordafrikanisches Update gibt.

Ich will den Menschen in Nordafrika eine Stimme geben

Mohamed Amjahid

„Ich habe in meinen ersten beiden Büchern aus kritisch dekolonialer Sicht die sogenannte Mehrheitsgesellschaft in Europa betrachtet, vor allem in Deutschland. In meinem dritten Buch wollte ich das jetzt einmal umdrehen“, erzählt der Autor im Gespräch, „und den Menschen in Nordafrika eine Stimme verleihen – und das in einem Projekt, das vielleicht nicht sehr naheliegend ist, aber dafür viele Menschen interessiert.“

Und wen interessieren Sexualität und Liebe nicht? Nicht umsonst gilt: Sex sells. In rund vierzig kleinen Vignetten, die mal aus seinen Reportertagebüchern stammen, mal zutiefst persönliche Erzählungen aus seiner Kindheit und seinem Familienleben zwischen Deutschland und Marokko sind, nähert sich Amjahid den verschiedensten Aspekten von Körperlichkeit und Begehren.

Über die Bande der Sexualität

Die locker wirkenden, bisweilen schreiend komischen und dann wieder erschreckend düsteren Texte begnügen sich dabei nicht nur mit schlüpfrigen Witzen: „Ich interessiere mich für Sexualität, um über andere Dinge sprechen zu können“, so Amjahid.

Das sind in „Let's Talk About Sex, Habibi“ zum Beispiel Feminismus im Islam, die Macht des Patriarchats, gelebte Queerness und Homofeindlichkeit. Oder postkoloniale Machtstrukturen, die sich beispielsweise in Sextourismus, Machtgefällen und Ausbeutung zeigen.

Sexualität in der muslimischen Welt, insbesondere die von Nordafrikaner*innen, ist seit jeher zugleich Projektionsfläche, Obsession und Chiffre für den globalen Norden: Fetischisierung und (feuchte) Träume von „Tausendundeiner Nacht“, Hass und Hetze auf Basis der Silvesternacht 2015 in Köln, Narrative von hypersexuellen nordafrikanischen Migrant:innen, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen.

Andere Kulturen auf Basis ihrer (zugeschriebenen) Sexualität als „fremd“ zu markieren, das hat lange Tradition, etwa bei der Versklavung Schwarzer Menschen in den USA und den Lynchmorden nach ihrer Abschaffung.

Oder die Fetischisierung der algerischen Frau zur französischen Kolonialzeit, die von den Kolonialherren einerseits „befreit“, andererseits mittels Unterdrückung und Gewalt kontrolliert werden sollte. Die Kontrolle der Sexualität anderer ist schließlich einer der Grundpfeiler von Biopolitik. Und sie war, wie Amjahid erklärt, fester Bestandteil jeglicher kolonialer Herrschaft.

Neben diesen starken, teilweise seit Jahrhunderten kulturell manifesten Bildern gibt es kaum Raum, um im anderen Gegenüber, in Amjahids Fall, dem nordafrikanischen, noch die gleichen menschlichen Bedürfnisse nach Liebe, Zuneigung und Geborgenheit zu sehen, die man selbst empfindet. Diese Entmenschlichung ist Kern rassistischer Ideologie, die sich ebenso in brennenden Geflüchtetenunterkünften äußern kann, wie in Sextourismus und Armutsprostitution in der marokkanischen Küstenstadt Agadir, bei dem nordafrikanische Menschen von Kund*innen aus Europa oder der europäischen Halbinsel als Konsumobjekt gesehen werden.

„Wir können diese Andersmachung von Menschen abbauen, in dem wir ihre Lebensrealität anderswo evidenzbasiert darstellen“, erzählt Amjahid. Die Idee für das Buch entwickelte er unter anderem während seiner Recherchen zur sogenannten Kölner Silvesternacht: „Da merkte ich, wie viele Missverständnisse und Vorurteile kursieren. Ich als Sachbuchautor kann dazu einen Beitrag leisten.“

Genau darin liegt vielleicht eine der größten Stärken von Amjahids Berichten: Sie geben den handelnden Subjekten ihre Menschlichkeit und schrecken vor Komplexität nicht zurück.

Ich habe eine sehr interessante Beziehung zu meiner Mutter

Mohamed Amjahid

Ob es nun der orthodoxe Apotheker ist, der sich als begeisterter Kondomverkäufer entpuppt. Oder die Kairoer Nachbarinnen, die dem jungen Reporter Avancen machen. Oder der brutale Polizeichef, der selbst queeren Sex hat und danach seine Partner festnehmen lässt. Oder Sonia, ein Dienstmädchen, das in der Familie ihrer Arbeitgeberin missbraucht und schwanger wird.

Aber vor allem sind es Amjahids persönliche Geschichten, die auf intime Art und Weise das Private mit dem Politischen verbinden: „Ich glaube stark an Positionierung, und ich muss auch etwas über mich selbst preisgeben, um authentisch über ein Thema sprechen zu können“. Eine weitere zentrale Rolle spielt Amjahids Mutter, als Protagonistin der Erzählungen und als Interviewpartnerin: „Ich habe eine sehr interessante Beziehung zu meiner Mutter“, sagt er und lacht.

Über Sex kann man auch auf Arabisch reden

Drei Tage am Stück habe er im Rahmen seiner Recherche mit ihr gesprochen. Erst, um seinen Erinnerungen eine zweite Quelle zu geben. Aber bald erzählte sie eigene Geschichten, die seine Beschreibungen um die Erfahrungen einer ganz anderen Generation, eines anderen Geschlechts und einer anderen Lebensrealität ergänzen.

„Es liegt auf der Hand“, schreibt Mohamed Amjahid im ersten Satz von „Let's Talk About Sex, Habibi“, „dass Völkerverständigung am besten über Liebe betrieben werden kann“. Aber sein Buch ist nicht nur für die sogenannte Mehrheitsgesellschaft geschrieben, auf dass sie einen von Projektionen und Vorurteilen befreiten Einblick in die Schlafzimmer Nordafrikas erhalte. Sondern auch für Marginalisierte, die in diesen Geschichten ihre eigenen Erfahrungen und Lebensrealitäten gespiegelt sehen können. Migrantisierte Jugendliche, von Queerfeindlichkeit oder Ausbeutung betroffene Menschen.

„Über Sex kann man nur auf Englisch singen“, hieß es einst bei Tocotronic. Auf Arabisch darüber reden, beweist Mohamed Amjahid, geht auch sehr gut.

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