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Protest-Kunst aus Indonesien bei der Documenta 15. Welche Wirkung hat die documenta fifteen in der Kunst, in der  Politik und in der Öffentlichkeit entfaltet? Diese Frage stellte ein Symposium in Kassel.

© imago/IPON / imago/IPON

Diskussion bei der Documenta in Kassel: „Wir teilen nicht mehr dieselben Werte“

Die Kunstszene ist im Nahostkonflikt tief gespalten. Das zerreißt auch die Documenta. Ein Symposium analysiert die deutschen Deutungskämpfe.

Gut ist ja, dass überhaupt gesprochen wird. Das Documenta-Institut unter Leitung des Soziologen Heinz Bude hat an diesem Wochenende zum Symposium nach Kassel eingeladen. „Kunst, Politik, Öffentlichkeit – Die documenta fifteen als Zäsur?“ lautete der Titel der Veranstaltung, die bis Samstagnachmittag läuft. Hintergrund ist eine Untersuchung, die Bude mit Meron Mendel, dem Leiter der Bildungsstätte Anne Frank und Ex-Documenta-Berater, durchgeführt hat, um die Wirkung der von vielen als antisemitisch bezeichneten Documenta 15 zu beleuchten.

Wem gehört die Documenta? Mit dieser Frage beginnt Bude das Gespräch am Freitagabend. Und auch wenn Nicole Deitelhoff, Konflikforscherin und fachwissenschaftliche Beraterin der Documenta 15, sowie Meron Mendel diese dann gar nicht beantworten, zeigt Bude mit seiner Ausgangsfrage doch deutlich die Gemengelage auf, in der sich die Documenta mit ihrer letzten Ausgabe verheddert hat.

Deutsche Deutungskämpfe

Wem gehört sie also, die größte Ausstellung der Welt? Die Documenta ist Kasseler Stolz, das weltoffene Großevent ist identitätsbildend für die Bürger der Stadt, viel hessisches Geld fließt hinein. Die Documenta gehört auch der Bundesrepublik, sie findet in dem Land statt, das die massenweise Ermordung der europäischen Juden zu verantworten hat. Gegründet wurde sie mit dem Ziel, die in der Nazizeit diffamierten Künstler zu rehabilitieren (was nicht ganz klappen konnte, weil in den Anfangsjahren mit Werner Haftmann ein ehemaliger Nazi die Kunstauswahl prägte).

Die Documenta gehört auch der Kunstszene, die sich global definiert, postkolonial denkt und bemerkte, dass der Fokus auf Europa für eine Weltausstellung zu eng ist. Kuratoren wie Catherine David oder Okwui Enwezor haben den Blick geweitet. Zuletzt kam die indonesische Kuratorengruppe ruangrupa, die zwar gerne anerkannte, dass die Documenta den Kasselern gehört, aber nicht Deutschland oder Europa. Sie fokussierten auf bisher ignorierte Positionen aus dem globalen Süden. Und brachten damit auch Künstler, für die der Holocaust nicht dasselbe bedeutet wie für die Deutschen. Antisemitische Bilder tauchten auf. Komplette Überforderung.

Toxisches Diskursklima

Dass die neue Findungskommission, die die Kuratoren für 2027 aussuchen sollte, in dieser Woche zurückgetreten ist, ließ die Documenta erneut nicht gut aussehen. Es sei falsch, die Debatte jetzt wieder über Antisemitismus zu führen, meint Mendel. Dass der zurückgetretene indische Kurator Ranjit Hoskoté nicht angegeben habe, dass er 2019 etwas BDS-Nahes unterschrieben hat, sei eine Frage der „Compliance“.

Auch das Verschweigen jeder anderen relevanten Information wäre ein Grund zum Rücktritt gewesen, so Mendel. Die israelische Künstlerin Bracha Lichtenberg Ettinger bat um Aufschub ob der Situation in ihrer Heimat, in der Raketen fliegen – ein Aufschub, der ihr nicht gewährt wurde. Warum eigentlich nicht? Die restlichen vier Mitglieder schrieben in ihrer Rücktrittsbegründung, ein offener Diskurs sei im aktuellen Klima nicht möglich.

Deitelhoff und Mendel zeigen sich beide überrascht von ihrer eigenen Peergroup in Kunst und Wissenschaft, die im Nahostkonflikt tief gespalten ist. Entweder man steht auf der Seite der Juden und des Staates Israel oder auf der Seite der Palästinenser. Man habe sich beim kritischen Blick auf Israels Politik immer irgendwie verständigen können.

Ab dem 7. Oktober sei klar geworden, dass man nicht dieselben Werte teile. Mitgefühl für Verletzte und unschuldig Getötete gelte bei einem Teil der Linken nur, solange sie zu den Kolonisierten gehörten. „Diese zwei Weltanschauungen werden uns auch bei der Documenta begleiten“, so Mendel. Austausch zwischen Kollegen sei nicht mehr möglich, bestätigt auch Deitelhoff. Jede Community setze als absolut, was sie für richtig halte.

Vertrauen von israelischer Seite

Zum Auftakt der Konferenz sprach unter anderem die israelische Chefkuratorin des Museums of Israeli Art in Ramat Gan, Sari Golan. Sie geht sehr freundlich mit der Documenta um. Es gebe Antisemitismus, in der Welt, in Deutschland. Sie habe Vertrauen in die Documenta und deren Verantwortliche, glaube, dass man über die Kunst ins Gespräch kommen kann. Bei Trauma und Mangel an Vertrauen, schwierigen Themen, helfe Reden und Austausch. Es sei nicht das Ende der Documenta, sondern ein Neubeginn. Golan lädt das Publikum zu einem Schweigemoment für ihre von der Hamas getöteten Familienmitglieder ein. Meron Mendel kritisiert sie später dafür, dass sie die palästinensischen Opfer aus dem Gedenken ausgeschlossen hat.

Kann die Documenta ein Raum sein, in dem beide Lager wieder ins Gespräch kommen? So wie sie jetzt aufgestellt ist, kann sie es sicher nicht. Wie die organisatorische, strukturelle Neuorganisation aussehen soll, wann sie erfolgen soll – auch Bürgerbeteiligung war wohl versprochen –, ist offen. Nicht einmal die Organisationsevaluation, die die Documenta gGmbH durchläuft, ist zum jetzigen Zeitpunkt abgeschlossen, das kann man einer Seitenbemerkungen Deitelhoffs entnehmen. Danach müssen die abgeleiteten Änderungsvorschläge durch den Aufsichtsrat. Den Zeitplan dafür kennt niemand so genau.

Die Irrwege der Linken

Bude als Soziologe schaut im zweiten Gespräch der Konferenz mit dem Antisemitismusforscher Klaus Holz sehr selbstkritisch auf die „globale Linke“, die es als einheitliche Gruppe natürlich nicht gibt. Holz legt die antiimperialistischen, antifaschistischen Ursprünge linker Bewegungen dar und zeigt auf, auf welcher Basis sich ein latenter, oft nicht offen ausgesprochener israelbezogener Antisemitismus entwickeln konnte. Die Juden als Repräsentation des unterdrückerischen Westens. In den gegenseitigen Antisemitismusworwürfen aller Gruppen von rechts bis links seien Verhärtungen, Moral und Interessen verborgen, die auch die Documenta 15 durchzogen. Wie eine Linke in der Gegenwart wieder produktiv werden könnte, darauf hat auch Holz keine Antwort. Viel Hoffnung hat er nicht.

Der Auswertungsband zu Budes und Mendels Untersuchung zur Documenta 15 wird erst 2024 publiziert. Bis dahin kann viel passieren, der Riss in der Kunstwelt, der Documenta, der Welt kann noch tiefer werden.

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