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Symbol des Holocaust. Felix Nussbaums Gemälde „Triumph des Todes (Die Gerippe spielen zum Tanz)“ von 1944.

© Felix-Nussbaum-Haus im Museumsquartier Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung

Neue Ausstellung „Roads not Taken“: Was, wenn Hitler getötet worden wäre?

„Es hätte auch anders kommen können“, lautet der Untertitel der neuen Ausstellung im DHM Berlin. Gezeigt werden Alternativen in der Geschichte.

Geschichte vom Ende her zu denken ist grundfalsch. Weil historische Ereignisse von Menschen geprägt wurden, die immer auch anders hätten entscheiden können. Geschichte vom Ende her anzuschauen kann hingegen den Geist beflügeln.

Genau das versucht das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin mit der Ausstellung „Roads not Taken“, deren Untertitel lautet: „Es hätte auch anders kommen können“. Im umgedrehten Zeitstrahl führt ein Zickzack-Parcours durch Schlüsselmomente der deutschen Geschichte von 1989 bis 1848. Jeder Zacken steht für einen möglichen Richtungswechsel, der dann nicht eingeschlagen wurde.

Markant tritt diese Doppelgesichtigkeit im wandgroßen Foto hervor, das die Besucher:innen am Eingang begrüßt. Es zeigt Menschen, die am 9. November 1989 dichtgedrängt auf der Mauer vor dem Brandenburger Tor stehen. Die deutsche Teilung endet friedlich, ein Glücksknäuel.

Doch geht man einen Schritt zur Seite, dann wechselt die Ansicht, und der Tank Man ist zu sehen, der sich am 5. Juni 1989 auf dem Tian’anmen-Platz in Peking den Panzern entgegenstellt, die den Studentenprotest niederwalzen. Auch in Leipzig oder Ost-Berlin hätte geschossen werden können, die Pläne lagen in der Schublade. Glück gehabt.

Das Kurator:innenteam unter Leitung von Fritz Backhaus hat auf 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche rund 500 Objekte aus den Museumsbeständen versammelt, darunter auch Film- und Tonaufnahmen, und begleitet von interaktiven Stationen. Während die Dokumente der realen Geschichte in nüchterner Schwarzweiß-Umgebung präsentiert werden, sind die Exponate, die für nicht eingetretene Wendungen stehen, mit satten Farben hinterlegt.

Deutsche Euphorie. Feiernde Menschen auf der Berliner Mauer am 10. November 1989.

© Bundesarchiv/Foto: Klaus Lehnartz

Im Raum zur Revolution von 1989 nehmen die greisen Mitglieder des Politbüros auf einem Pressefoto die Militärparade zum 40. Jahrestag der DDR ab, daneben hängen Außenaufnahmen von Wohnungen, die von der Stasi überwacht wurden, weil dort „Systemgegner“ gegen die Staatsfeier protestieren könnten. „Achtung! Krenz das ist der himmlische Frieden“, steht auf einem Schild, das bei der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November hochgehalten wurde.

Honeckers Kronprinz hatte bei einem Besuch in Peking die „chinesische Lösung“ der Proteste gelobt. Wie eine solche Lösung bei den Leipziger Großdemos hätte aussehen können, symbolisiert eine Tafel mit dem Gelöbnis der NVA-Soldaten. Sie sollten sozialistische Errungenschaft „jederzeit mit der Waffe in der Hand schützen“. Aber die Kasernentore blieben zu.

Die Idee zur Ausstellung stammt von Dan Diner. Der Historiker, der an den Universitäten von Jerusalem und Leipzig gelehrt hat, betonte bei der Pressekonferenz, dass es um die „Wiedergewinnung des Politischen in der Geschichte“ gehe, damit auch um Kategorien wie Verantwortung und Schuld. Gezeigt werden solle nicht die „Abfolge, die als zwingend erscheint“, sondern auch die „Anhäufung von Unerwartetem, gleichsam Zufällen“.

Die „chinesische Lösung“. Der Platz des Himmlischen Friedens in Peking nach dem Massaker am 7. Juni 1989.

© picture-alliance / dpa / AP

DHM-Chef Raphael Gross nannte die Ausstellung ein „Experiment“, weil sie sich auch auf Spekulationen einlässt, Optionen darstellt, die nicht verwirklicht wurden. Aber alles beruht streng auf zeitgenössischen Quellen, „alternative Fakten“ waren nicht zugelassen. Für die Inszenierung ist eine nie eingetretene Zukunft allerdings ein Problem, weil sie sich selten in Objekten materialisiert. Zu den Ausnahmen zählt eine Rede, die Bundespräsident Lübke halten sollte, wenn die Sowjetunion die Bundesrepublik angreift.

Die deutsche Geschichte gilt als katastrophisch. Fünf der 14 Zäsuren, die „Roads not Taken“ behandelt, hängen mit dem Zivilisationsbruch durch den Nationalsozialismus zusammen. Die Weimarer Republik hätte nicht enden müssen, als „Hungerkanzler“ Brüning 1932 vom Reichspräsidenten Hindenburg entlassen wurde, war die Weltwirtschaftskrise abgeflaut, er wähnte sich „100 Meter vor dem Ziel“.

Weimar musste nicht scheitern

Auf einer raumgreifenden, weitwinkelartig verzerrten Fotomontage im Stil von John Heartfield zeigen sich zufrieden lachende Straßenarbeiter, ein wohlstandsdicker Mann präsentiert frisch geprägte Münzen.

Als Hitler dann am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, sprachen die Nazis von einem „Wunder“, da sie bei den Wahlen zuvor zwei Millionen Stimmen verloren hatten. Auch danach hätten sie noch gestoppt werden können, etwa 1936 beim Einmarsch der Wehrmacht ins entmilitarisierte Rheinland.

Bei einer militärischen Reaktion der stärksten Kontinentalmacht Frankreich „wären wir gezwungen gewesen, uns zurückzuziehen“, gestand Hitler später. Eine Schlachtsimulation verdeutlicht die Verhältnisse: Frankreich hätte 650000 Soldaten ins Feld schicken können, Deutschland nur 350000.

Die Sprengladung im Hauptquartier

Der geplante Staatsstreich vom 20. Juli 1944, der an einer Kette von Zufällen scheiterte, verleitet zu kontrafaktischen Geschichtsfantasien. Wahrscheinlich hätte damit der Krieg in Europa geendet. Attentäter Stauffenberg hatte in Hitlers Hauptquartier einen zweiten Sprengsatz nicht scharfmachen können. Aber selbst der Tod des Diktators hätte die jüdische Bevölkerung Europas nicht mehr retten können. Ein Großteil war bereits ermordet worden.

Den Holocaust exemplifiziert die Schau am Schicksal des Malers Felix Nussbaum, der untergetaucht war und im Juni 1944 denunziert, nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht wurde. Sein Gemälde „Triumph des Todes“, ausgeliehen aus Osnabrück, zählt zu den eindrücklichsten Exponaten. Skelette bewegen sich wie in einem mittelalterlichen Totentanz im Ringelreigen über ein Ruinenfeld.

Die Signatur des Kalten Kriegs war der Atompilz. Ein Foto von einem Nuklearbombentest in Nevada hängt mahnend im der Ausstellung. Immer wieder gelingen den Szenografen vom Berliner Gestaltungsbüro chezweitz suggestive Rauminszenierungen. Für die Katastrophe eines heiß werdenden Kriegs steht eine plüschrote Sitzgruppe mit spaciger Halbkugellampe.

Sie stammt aus dem Regierungsbunker, der ab 1960 in der Nähe von Bonn gebaut wurde. Hinterfangen ist sie mit fahlgrüner, wellenförmig strahlender Farbe. Ein atomares SOS. Ein Foto zeigt, wie sich ein bombensicherer Vorratsschrank einrichten lässt.

Auch in unserer Kriegs-und Krisenzeit wächst die Nachfrage nach ähnlichen Survivel-Hamsterpaketen. Aus der Vergangenheit von „Roads not Taken“ führen viele Pfade in die Gegenwart.

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