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In „Steglitz, wir haben ein Problem!“ fliegen die Stachelschweine zum Mars.

© Dirk Dehmel

Berlin im Weltall: Die Stachelschweine fliegen zum Mars

In „Steglitz, wir haben ein Problem!“ treten die Polit-Kabarettisten eine ambitionierte Mission an. Was wohl Richard David Precht dazu sagen würde?

Der aufmerksame Humorbeobachter Richard David Precht hat kürzlich in seinem Podcast mit Markus Lanz beklagt, dass die Satire heute ihrer Kernaufgabe nur ungenügend nachkäme. Nämlich, sich gegen den Mainstream und somit die Macht zu wenden, dem herrschenden Zeitgeist zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wobei Precht natürlich die linksgrüne Meinungsführerschaft im Visier hat, logo.

Ob vor diesem Hintergrund die Premiere „Steglitz, wir haben ein Problem!“ im Kabarett-Theater Die Stachelschweine Gefallen in den Philosophenaugen gefunden hätte? Schwer zu sagen. Übermäßige Wokeness lässt sich dem Abend jedenfalls nicht unterstellen, dafür bürgen als verlässlichster Indikator Scherze übers Gendern („Fernsehgerät:innen“). Komplett gegen den Mainstream geht das von Frank Lüdecke und Sören Sieg geschriebene Programm aber auch nicht. Denn was könnte mehrheitsfähiger sein als gepflegtes Berlin-Bashing, noch dazu in Oktoberfestzeiten?

Der Länderfinanzausgleich wirds schon richten

Wobei zur Wahrheit gehört, dass die Stadt den Spott erstens massiv herausfordert. Und dass die Stachelschweine-Schreiber ihn zweitens höchst professionell abliefern. Im Keller des Europa-Centers – wo sich zwischen Bierausschank und einigen verbliebenen Geschäften „eintauchen lässt in die Erlebniswelt der 80er-Jahre“ (so der künstlerische Leiter Frank Lüdecke in seiner Begrüßungsansprache) – entwirft „Steglitz, wir haben ein Problem!“ ein gar nicht mal unrealistisches Szenario.

Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey will Berlin endlich an die verdiente Weltspitze, ach was, die Weltall-Spitze katapultieren. Zu diesem Zweck wird eine Mars-Mission anberaumt, mit der die Chinesen, die Russen und Jeff Bezos obendrein überflügelt werden sollen. Berlin kolonisiert den roten Planeten – und die Milliarden-Kosten lassen sich bestimmt über den Länderfinanzausgleich wieder reinholen.

Nicht schlecht für eine Stadt, in der als „große Vision“ schon fließend Wasser in allen Grundschultoiletten durchgehen würde. Oder, in den Worten von Autor Lüdecke: „Berlin in seinem Lauf halten weder Scholz noch Söder auf“. Klingt jedenfalls alles nach einem klassischen Big-City-Plan. „Was wir brauchen ist nicht Geld, sondern Fantasie“, das lässt sich von Hertha BSC lernen. Und dazu passt, dass die Missionsdetails ausgerechnet in Steglitz ausgearbeitet werden sollen, irgendwo im Bermuda-Dreieck aus Kreisel, Bierpinsel und Leckerback.

Countdown zur Spargelernte

Mit Heike Ostendorp, Santina Maria Schrader und Robert F. Martin bricht in der Regie von Marcus Kaloff ein sehr energetisches, auch gesanglich talentiertes Spieler:innen-Team zur Mars-Eroberung auf, die in verschiedenen Zünd-, beziehungsweise Eskalationsstufen erfolgt. Denn, Stichwort Fachkräftemangel: Es ist nicht leicht, in Berlin geeignetes Astronaut:innen-Personal zu finden. Was (sehr schöne Szene) auch in Kreisen der lokalen Politik Debatten aufwirft und von grüner Seite den Einwurf provoziert: „Nur weil jemand nicht geeignet ist, sollen ihm berufliche Chancen verwehrt bleiben? Das ist Diskriminierung!“. Während die FDP die Debatte leicht verlagert und darauf drängt, das Apotheken-Privileg müsse auch auf dem Mars gelten.

Was hilft? Na klar, der salomonische Losentscheid. Die „Berlinonauten“ werden per Zufall bestimmt. Wobei die Wahl auf einen Soziologen, eine Künstlerin und eine „Einzelhandels-Experten“ (aka Lidl-Kassiererin) fällt, also einen ziemlich repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt. Fehlt nur noch die Sondergenehmigung vom Grünflächenamt für den Raketenstart, der verwaltungstechnisch zum Feuerwerk gezählt wird. Dass der große Countdown schließlich wegen technischer Probleme eines lokalen Fernsehsenders nicht übertragen, sondern von einer Reportage über Spargelanbau unterbrochen wird, sollte den Stolz der Stadt nicht trüben.

Mit Franziska auf dem Mars

„Steglitz, wir haben ein Problem!“ ist eine rollen- und voltenreiche Revue über menschliche Hybris und ihr notwendiges Scheitern, die munter zwischen dem Amazon-Hauptquartier in Seattle, dem Gorki-Park in Moskau (wo ein oberkörperfreier Angler-Putin nach Verschwörungstheorien fischt) und dem Fernsehset von Markus Lanz switcht. Und natürlich dem Mars, wo sich die tapferen Berlinonauten allerdings von einer Roboterin namens Franziska den Schneid abkaufen lassen müssen.

Wie die Zukunft unter KI-Herrschaft aussehen könnte, ist überhaupt eine Frage, die an diesem Abend eine gewisse Dringlichkeit gewinnt. An Entscheidungsschläue sind uns die meisten Rasenmähroboter ja bereits voraus. Ob die Maschinen dann bald auch den Humor-Mainstream vorgeben, ob sie Satire überhaupt noch dulden? Mit diesen bangen Fragen steht man nach stürmischem Premieren-Applaus allein im weitgehend menschenleeren Europa-Center.

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