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In einer neuen Familienkonstellation hat man plötzlich viele Onkel, Tanten und Cousinen. Und manche leben ganz weit weg.

© Sylvia Weve/Rieder Verlag

Bilderbuch über Trennungen: „Auseinander“: Jeder Abschied ist ein Aufbruch

Das herausragende Kinderbuch „Auseinander“ erzählt von Trennungen und Neuanfängen. Es zeigt: Glück gibt es auch in Patchworkfamilien.

Manchmal sind es die Dinge, die am zuverlässigsten von einer Zäsur erzählen. Vor allem jene Dinge, die dann nicht mehr da sind. Ungefähr in der Mitte des Jugendbuchs „Auseinander“ der niederländischen Schriftstellerin Bette Westera wird eine Art Inventur durchgeführt. Nur dass dabei alles zählt, was fehlt, seit der Vater fort ist. Sein Mountainbike im Schuppen ist genauso verschwunden wie die sandigen Regenstiefel, die billigen Frühstücksflocken und das Duschbad auf dem Wannenrand.

Besonders schwer wiegt, dass es künftig am Freitag keine „Papa-Makkaroni“ mehr geben wird. Überall zeigen sich Lücken. „Nackt auch ein Brett in unserer Bücherwand. / Sein Handy lädt nicht länger mehr dort drüben“, vermeldet weiter das Gedicht. „Sein Name schon vom Klingelschild gebannt. Mehr ist daheim von Vater nicht geblieben.“ Auf der Illustration der Zeichnerin Sylvia Weve ist die Silhouette des mit Koffern das Weite suchenden Vaters zerkratzt, wie um ihn auszutilgen.

Das herausragende Bilderbuch „Auseinander“ nähert sich den großen Themen des Lebens mit den Mitteln der Poesie und Kunst: 44 Gedichte handeln von der Liebe, diesem Gefühl „wie ein Hieb“, und ihrem Ende, von Trennungen und Neuanfängen. Auch wenn die Zahlen zuletzt etwas zurückgegangen sind, werden in Deutschland immer noch knapp 40 Prozent aller Ehen geschieden.

Wenn das Konzept des „Bis dass der Tod uns scheidet“ scheitert, sind oft Kinder die Leidtragenden. Sie fühlen sich ungeliebt und von einem Elternteil verlassen. Aber das Buch will zeigen, dass es Glück und Geborgenheit auch in Familienkonstellationen geben kann, in denen Kinder nicht mit beiden biologischen Eltern zusammenleben.

Wimmelbild mit Goldfischglas. Nach einer Trennung der Besitzer müssen manchmal auch Haustiere zwischen zwei Wohnungen wechseln.

© Sylvia Weve/Rieder Verlag

Geschönt wird allerdings auch nichts. Da ist der Junge, der seinen Vater beim Knutschen mit der Französischlehrerin erwischt hat. Im Unterricht musste er gerade „au revoir, je t’aime“ schreiben. Nun ist sein Mund mit einem X durchgestrichen, weil er weiß, dass er der Mutter nichts erzählen darf.

Ein Enrico rettet die Hochzeitsfotos seiner Eltern aus dem Müll. Wütend hatte die Mutter sie weggeworfen, weil sie den Anblick ihres Ex-Mannes nicht mehr ertragen kann. Und Christopher hört heimlich zu, als seine Eltern sagen: „Hätten wir ihn nicht bekommen, dann hätten wir vieles anders gemacht.“ Wäre es da nicht besser, wenn er nie geboren worden wäre? Falsche Schuldgefühle.

Familienzuwachs. Manches Kind bringt der Klapperstorch, manche plötzlich neue Halbschwester passt nur schwer in den Kinderwagen.

© Sylvia Weve/Rieder Verlag

Patchworkfamilien mögen kompliziert sein, sie haben aber auch Vorteile. Zum Beispiel die Vervielfachung von Möglichkeiten. Plötzlich hat man zwei Väter („einer stief- und einer echt“), vier Omas sowie fünf Opas, und die Zahl der Tanten, Vettern, Onkel ist kaum noch zu fassen und verzweigt sich von Istanbul bis Seoul.

Ständig zwischen Vaterhaus und Mutterhaus zu wechseln, ist zwar anstrengend, verschafft einem jedoch buchstäblich mehr Platz. Wären bloß nicht die stichelnden Fragen von Außenstehenden nach genauer Herkunft: „Welche deiner Mütter trug dich / denn nun aus in ihrem Bauch?“. Westera weiß schlagfertige Entgegnungen: „Keine Ahnung, denn man fand mich / unter einem Himbeerstrauch.“

Verspielte Reime machen schwere Themen leichter. Diesem Credo folgte Westera schon in ihrem preisgekrönten, ebenfalls von Weve illustrierten Kinderbuch „Überall & Nirgends“, einem Gedichtband über den Tod. In „Auseinander“ spitzt Weve mit ihren mal präzis hingetuschten, mal knallbunt ausgemalten Bilder den Übermut der Gedichte weiter zu.

Ihre verschrobenen Charakterköpfe erinnern an Saul Steinberg, ein Wimmelbild mit Goldfischglas an den großen Sempé. Die schönste Pointe: Wegen der japanischen Bindung sind die rechten Seiten nicht beschnitten, sodass die Illustrationen fließend ineinander übergehen. Jeder Abschied ist ein Aufbruch, die auftretenden Figuren bleiben miteinander verbunden.

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