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Herbert Grönemeyer

© Universal Music/Victor Pattyn

„Das ist los“ von Herbert Grönemeyer: Wortgewühl und Widerstand

Auf seinem Album „Das ist los“ beschäftigt sich Herbert Grönemeyer mit den multiplen Krisen der Gegenwart. Dabei klingt er erstaunlich gelassen.

Gleich das erste Wort auf Herbert Grönemeyers neuem Album „Das ist los“ heißt Hoffnung. „Hoffnung ist gerade so schwer zu finden / Ich suche sie“, singt er im Auftaktstück „Deine Hand“. Seine Stimme erhebt sich aus Klavierakkorden und sphärischen „Uh-hu-hu“-Chören. Fünf Songs später lautet eine Zeile „Jeder Funke Hoffnung lohnt“. Die sanft aufsteigende Ballade „Der Schlüssel“ erzählt von Menschen, die vor einem Krieg geflohen sind, und feststellen, dass ihr Schlüssel zur alten Wohnung in der Fremde nicht mehr schließt.

Auf seinem 16. Studioalbum, das an diesem Freitag herauskommt, erklärt Grönemeyer wieder einmal die Welt und wie er zu ihr steht. Warnte er auf der letzten Platte „Tumult“ (2018) noch mit dem Aufruf „Kein Millimeter nach rechts“ vor einem neuen Faschismus, geht es nun um die multiplen Krisen der Gegenwart und um tiefe eigene Gefühle. Wobei der 66-jährige Sänger erstaunlich gelassen wirkt, und Zuversicht verbreitet, etwa indem er die Kraft der Solidarität beschwört.

Als Grönemeyer am Mittwochabend im Berliner Restaurant Lovis sein Album präsentiert, schwärmt er: „Wunderbar, dass man wieder Musik machen kann, welches Glück das ist.“ Im letzten Jahr war er an Corona erkrankt, musste deshalb im letzten Moment eine Tournee absagen. Je krisenhafter die Zeit sei, desto mehr versuche er, Mut zu machen, an Dinge zu denken, die positiv sind.

Weil eine erste Single früh ausgekoppelt werden sollte und die Vinyl-Version des Albums eine lange Vorlaufzeit benötigte, musste Grönemeyer die Songtexte schneller als sonst abliefern. Das stellte ihn vor Probleme. „Bei der Musik bin ich mir immer sicher“, sagt er. „Bei den Texten weiß ich nicht: Kommt da was, kommt da nichts?“ Als die Titel bereits fertig arrangiert waren, hat er sich „wie ein wild gewordenes Känguru in die Worte gewühlt“.

Bei „Deine Hand“, dem musikalisch herausragenden Titel des Albums, hat Grönemeyer den Text mit der Berliner Sängerin Balbina geschrieben und die Musik mit der jungen Songwriterin Nellie Christina Andersson komponiert. Mit einem Fingerschnipsen nimmt der Popsong Fahrt auf, genau zur Zeile „Deine Hand, sie schiebt in Liebe meine Hand an“, setzen Bass und Schlagzeug an. Das Liebeslied „Herzhaft“ ist um ultraharte Beats gebaut, die der Berliner Elektro-Frickler Hainbach geliefert hat. Sie erinnern an Kraftwerk und den Krautrock von Neu! und entstammen ausgemusterten Geräten, die als Teilchenbeschleuniger und zur Nuklearforschung eingesetzt wurden.

Entstanden ist der erste Teil von „Das ist los“ in Umbrien, wo Grönemeyer mit seinem Produzenten Alex Silva ein Studio in einer Scheune eingerichtet hatten. Weitere Songs wurden in einem „alten Hippie-Studio“ (Grönemeyer) in Visby auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland aufgenommen. Die Musiker hatten sich zurückziehen wollen, wurden aber von der Wirklichkeit eingeholt. Auf der Ostsee navigierten russische Kriegsschiffe, der Angriff auf die Ukraine kündigte sich an.

Wirklich modern ist „Das ist los“ nicht, musikalisch wirken viele der 13 Stücke aus der Zeit gefallen. Klassische Klavierballaden wie „Tau“ oder das chansonartige „Behutsam“ hätte Grönemeyer auch schon vor dreißig Jahren einspielen können. Ähnlich rückwärtsgewandt klingt der schunkelnde Deutschrock von „Genie“, das aber immerhin die genialen Lebensratschlag „Oh, entfriere dein Genie“ enthält. Mit Alex Silva arbeitet Grönemeyer seit dem Album „Bleibt alles anders“ (1998) zusammen, vielleicht wäre es an der Zeit, etwas anders zu machen.

Mit Verve wirft Grönemeyer sich ins Getümmel. Fast schon kabarettistisch geißelt er in „Angstfrei“ die Klima-Politik der Ampel-Koalition: „Wer nicht strampelt / klebt an der Ampel / und wartet auf grün.“ Er ruft „Yep!“ und „Go!“ zu Schlumpf-Techno-Getute. Mit dem Trauerlied „Urverlust“ über die verlorene Liebe seines Lebens knüpft Grönemeyer an „Mensch“ an, den „besten Song“, den er jemals geschrieben habe.

Großartig sind seine Wortschöpfungen: „Tragikstau“, „Zweifelzwangsjackett“, „streng veralpter Traum“. Mit einem Zitat aus „Herzhaft“ möchte man Grönemeyer zurufen: Bitte mehr von „deinem Stuss“.

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