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Tom Cruise in „Mission Impossible - Dead Reckoning, Teil Eins“

© Paramount

Der neue „Mission Impossible“-Film : Der Mann, der alles kann

Tom Cruise rennt, rast, fliegt und prügelt sich wieder durch seine Mission, diesmal gegen einen digitalen Gegner. Und auch gegen die böse KI hilft nur analoges Bumbum.

Was hat ein 60-jähriger Mann nicht schon alles hinter sich gebracht: die Kindheit in den Swinging Sixties. Teenagerjahre in den bürger-bewegten 70ern. Die 80er und 90er mit ihrem Erfolgsdruck. Die Nullerjahre mit der digitalen Revolution, der Umgestaltung der Medien, der Gendersensibilisierung – und mit Viagra.

Alt ist man heute als 60-Jähriger dennoch nicht, man darf und muss es nicht sein. Stattdessen kann man sein Leben als Actionheld lange fortführen: Der im neuen Indiana-Jones-Film 70-jährige Protagonist wird vom 81-jährigen Harrison Ford gespielt, Sylvester Stallone ist im letzten Rocky-Film 72, im letzten Rambo-Film 73 Jahre alt. Und Bruce Willis musste sich einzig der Demenz geschlagen geben. Seinen Gegnern aus der „Stirb Langsam“-Reihe hätte er ansonsten noch ewig den Garaus gemacht.

Ethan Hunt, aus dessen Nachname („Jagd“) bereits Atemlosigkeit spricht, gehört somit fast zu den Küken, genau wie sein Darsteller. Tom Cruise spielt den furchtlosen Agenten seit dem ersten Kino-Franchise „Mission: Impossible“ aus dem Jahr 1996, also bereits fast sein halbes Leben. Cruise war 33 bei den Dreharbeiten, als ihm das erste Mal per Kassettenrecorder mit verrauschter Stimme ein unlösbarer Auftrag zugeteilt wurde, bevor sich das Band selbst vernichtete. Jetzt ist er 61, und der Kassettenrecorder rauscht noch immer.

Für Ethan Hunt scheint sich also nicht viel verändert zu haben. Neben dem ulkig-analogen Kassetten-Gimmick und dem schon damals unglaubwürdigen, aber stets eindrucksvollen Gesichtsmaskentrick haben sich die Macher:innen von „Mission Impossible: Dead Reckoning, Part 1“ (Regie und Drehbuch: wieder Christopher McQuarrie) allerdings eine pfiffige Methode ausgedacht, um Hunts neueste Jagd weiterhin kinoaffin, sprich in bildstärkeren, analogen Settings spielen zu lassen. Hunt muss, das wird nach einem bedrückend aktuellen Vorspiel mit einem verunfallten russischen U-Boot klar, gegen einen digitalen Gegner, eine ominöse „Entity“ antreten, das bei Bedarf alle digitalen Systeme der Welt beherrscht.

Entity: Der im Drehbuch inflationär oft benutzte Begriff bezeichnet ein nicht notwendigerweise lebendes „Wesen“. Schon seltsam, dass man die böse KI nur mit viel analogem Bumbum unschädlich machen kann.

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Trotz hübscher Retrobilder wie denen mit Hallen voller Geheimdienstmitarbeiter:innen, die aus Furcht vor der allwissenden Entity ihre digitalen Daten eiligst per Schreibmaschine abtippen, und dem Film kurz einen kafkaesken Hauch mitgeben, hindert jene Entity die Filmheld:innen nicht daran, den Weg zum Ziel mit fetzenfliegender Bambule zu pflastern. Zu nennen sind da neben Cruise als Hunt dessen verlässliche Kolleg:innen Benji (Simon Pegg), Luther (Ving Rhames) und Ilsa (Rebecca Ferguson).

Ohne Pause rennt, fährt, reitet, prügelt und schießt Hunt sich durch seine aktuelle Mission „Dead Reckoning“, bei der bereits der Titel die Gangart andeutet. „Dead Reckoning“ nennt man die fortlaufende Ortsbestimmung eines bewegten Objekts aufgrund seiner Richtung und Geschwindigkeit. Auf Deutsch sagt man dazu spröde „Koppelnavigation“, was die Beibehaltung des englischen Titels erklärt.

Der Komponist Lorne Balfe hat die langen und überwältigenden Baller-Sequenzen mit opulenter, wunderbar komponierter, eher an frühe Bond-Soundtracks als an modernen Actionsound à la Tom Holkenberg („Godzilla vs. Kong“) erinnernden Orchestermusik unterlegt. Einerseits ehrt sie das unvergessliche synkopische Originalthema von Lalo Schifrin, andererseits verleiht sie dem Film eine gewisse Würde. Denn eins ist klar: Man meint es ernst bei „Mission: Impossible“. Sprücheklopfen wird zwar geduldet, doch eigentlich ist dafür weder Zeit noch herrscht die entsprechende Laune.

Die den Film begleitende umfangreiche Werbekampagne stellt Cruises Hingabe an seine Stunts in den Mittelpunkt. Denn der 60-jährige Star nutzt wie immer kaum Kaskadeure. In einem fast zehnminütigen Clip, der bei YouTube schon mehr als 14 Millionen Mal angeschaut wurde, reden der Hollywoodstar und seine Kollegen über den von Cruise eigenhändig ausgeführten, angeblich größten Stunt in der Filmgeschichte.

Hunt ist mit einem Motorrad in den Bergen unterwegs, hat es natürlich entitymäßig eilig und muss den Orientexpress (!) erreichen. Er entschließt sich darum, mit Fahrzeug und Fallschirm eine Bergrampe hinaufzubrettern, oben abzuspringen, das Krad fallen zu lassen und sich wie den Gleitschirm durch die Luft ins Ziel zu navigieren.

Ein Jahr lang habe Cruise für diese Sprung- und Flugszene trainiert, erfährt man im Clip. Bis zu 30 Sprünge am Tag habe er absolviert, am Ende waren es über 1500. Gefilmt wurde der Schauspieler von Drohnen und von an seiner Montur befestigten Kameras.

Im Film wird der beeindruckende Stunt mit ordentlich Musikgewitter und großen, über die Berge hinweghuschenden Bildern angekündigt. Sodann prescht Cruise die (in Wahrheit künstliche) Bergrampe hinauf, springt ab, lässt das Bike ins Tal plumpsen, fliegt ein bisschen zielstrebig über grüne Wipfel, öffnet den Fallschirm und kann, schwupps, schon bald im Orientexpress nach dem Rechten sehen. Dass der eleganteste aller Luxuszüge ein paar aufregende Szenen später in einer weiteren Mega-Sequenz Wagon für Wagon in einen Abgrund stürzt, ahnt man da schon – das verlangt das Genre.

Doch die Frage bleibt, wieso der inzwischen 61-jährige Vater von drei Kindern und Exmann von drei Frauen diese Strapazen auf sich nimmt. Denn ein Risiko besteht natürlich immer – selbst nach langem Training und umfangreichen Vorsichtsmaßnahmen, Cruise selbst berichtet in verschiedenen Interviews von Blessuren, die er sich bei der Arbeit zuzog.

Bei den Dreharbeiten zu „Top Gun“, seinem zweiten Blockbuster-Franchise, für dessen letzte Premiere er eine Kampfflieger-Staffel über die Croisette in Cannes lärmen ließ, saß er ebenfalls selbst in der Pilotenkapsel und ließ seinen damals auch schon 59-jährigen Körper in der Überschallgeschwindigkeit beben.

Warum die Wahnsinns-Stunts? Hält Cruise sich für unverwundbar?

Um Authentizität kann es ihm kaum gehen. Der im Prekariat geborene Tom Cruise ist schließlich in der realen Welt nicht Geheimagent, sondern übt seit seinem 19. Lebensjahr den Beruf des Schauspielers aus. Wieso sollte er ausgerechnet die in ihrer Länge nicht handlungs-, sondern nur entertainmentrelevanten gefährlichen Actionparts der klassischen „plot-driven story“ selbst ausführen?

Hält der 1986 in die „Chuch of Scientology“ eingetretene Cruise sich, wie kritische Stimmen mutmaßen, vielleicht tatsächlich für einen unverwundbaren Thetan? Für ein Wesen, eine „Entity“ gar, die, wie es der Religionswissenschaftler und Scientology-Kritiker Hugh Urban beschrieb, „nicht nur befreit von jeder Limitierung des physikalischen Universums ist, sondern auch sein eigenes und neues Universum erschaffen kann“? Oder denkt er, sich für die unfassbaren Budgets seiner Blockbuster („Top Gun Maverick“: zwischen 152 und 170 Millionen Dollar, davon Gage: 12,5 Millionen Dollar, „Mission: Impossible, Dead Reckoning“, Teil 1: 290 Millionen Dollar) einfach auch mal selbst hinter den Motorradlenker klemmen zu müssen?

Cruises in der Vergangenheit immer wieder hochinteressante, aber finanziell weniger lukrative Abstecher in kleinere, unabhängigere Filmprojekte, wie 2012 das Jukebox-Musical „Rock of Ages“, brachten ihm viel Lob für seine Arbeit eine, aber der Produktion kein Geld ein. Seine differenzierten Darstellungen in Paul Thomas‘ Andersons „Magnolia“ (1999) oder in Robert Redfords psychologischem Drama „Lions For Lambs“ scheinen dem inneren Geschäftsmann Cruise genauso wenig zu genügen wie dem inneren Thetan: Seit über zehn Jahren folgt bei ihm ein Blockbuster-Franchise auf das nächste.

Dabei hält Cruise sich, zumindest in Sachen Scientology, seit langem bedeckt. Fakt ist, dass er die Megalomanie seiner letzten Filmprojekte ausschließlich im Kino auswerten lassen wollte und sich gegen Veröffentlichungen bei Netflix verwahrte. Der Hintergrund eines selbst generierten „Retter des Kinos“ passt zwar auch wieder zur Hybris eines irrglaubenden Scientologen. Doch für Cruise und die (nicht erst seit Corona) angeschlagenen, dankbaren Kinos ist alles gut, whatever gets you through the night.

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