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Blick in die Ausstellung im Museo di Salò

© promo

Eine Ausstellung im italienischen Salò: Historisch unscharfer Mussolini

Leidensweg einer zerrissenen Nation? In dem Ort, in dem einst der italienische Diktator seinen Regierungssitz hatte, ist seit dieser Woche eine Dauerausstellung über den Faschismus in Italien zu sehen, „Der letzte Faschismus 1943-1945. Die Italienische Sozialrepublik“.

Gerade eben ist die Höllenhitze des oberitalienischen Sommerhochs „Caronte“, das den poetischen Namen der kleinen Teufel in Dantes „Göttlicher Komödie“ trägt, von Eishagelwettern und einem Tornado zwischen Mailand, Brescia und dem Gardasee gebrochen worden, da kehrt an den prächtigsten See Italiens schon wieder die allgemeine Bade- und Ferienlaune zurück.

Auch am nur knapp verschonten Südwestufer im schönen alten Städtchen Salò, an dessen Straßen und der eleganten Hafenpromenade freilich wenig urlaubsaffine Plakate prangen. Mit weißer Schrift auf einem rotbraunen Flammengrund steht: „L‘ultimo fascismo 1943-1945. La Repubblica sociale italiana“.

„Der letzte Faschismus“ ist der Titel einer neuen Dauerausstellung des vor einigen Jahren in Salò in einem Areal aus dem 16. Jahrhundert supermodern installierten Museums MuSa. Das hatte vorab schon mit dem bulligen Profil Benito Mussolinis geworben. Doch inmitten einer international besuchten Ferienregion schien das jetzt doch zu krass. Zumal Salò als einstige Hauptstadt jener norditalienischen Restrepublik des bis 1943 in ganz Italien allmächtigen Duce ein mindestens zweischneidiges Erbe trägt. Erst recht in Zeiten einer postfaschistischen Regierung in Rom.

Zweischneidiges Erbe

Die MuSa-Präsentation des „letzten Faschismus“ – ein Titel, der gleichfalls etwas doppeldeutig klingt – beginnt mit dem 25. Juli 1943. An diesem Tag vor 80 Jahren wurde der Duce, wie er in Italien bis heute ohne Anführungszeichen geschrieben wird, vom nominell noch existenten italienischen König Victor Emmanuel III. als Regierungschef entlassen.

Mussolinis zwar betagter, aber trickreich putschender Nachfolger Marschall Pietro Badoglio ließ den Diktator in Gewahrsam nehmen und veranlasste den Bruch der „Achse“ Berlin – Rom. Es war knapp zwei Jahre vorm Ende des Zweiten Weltkriegs Italiens Seitenwechsel zu den angloamerikanischen Alliierten, die von Sizilien und Neapel aus bereits gen Rom vorrückten.

Bald befreit wurde allerdings auch Mussolini, den sein Führerfreund Hitler mit einem Kommandounternehmen aus einem schlecht bewachten Gebirgshotel im Gran Sasso ausfliegen ließ. Worauf Mussolini seine noch immer Getreuen sammelte und am 18. September zunächst von München aus im Radio einen neuen norditalienischen Staat unter seiner Führung ausrief, der im Volksmund meist nur die „Republik von Salò“ genannt wird. Die 600 Tage dieser Republik hat Pier Paolo Pasolini später in einem fantasmagorischen Fascho-Sex-Film auf die „120 Tage von Salò“ verkürzt.

Ein Turm als Zweitwohnsitz

Obwohl Mussolini zunächst noch über Florenz und Venedig bis Mailand und Turin herrschte, war die neue Staatsspitze abseits der von den Alliierten bombardierten Großstädte in allerlei prunkvollen Villen und Palazzi auf knapp 20 Kilometer Ufer am südwestlichen Gardasee konzentriert. Nahe Salò liegt auch Gardone, wo Mussolini (selbst einst Journalist und Autor auch von Geschichtsdramen) bis in die 1930er Jahre noch den verehrten Nationaldichter Gabriele D’Annunzio besucht hatte.

Das heutige Jugendstil-Hotel „Laurin“ wurde dort für Mussolini, der zudem sein eigener Außenminister war, zum zweiten Amtssitz, während er im Nachbarort Gargnano samt seiner Geheimpolizei in der heute zur Universität Mailand gehörenden Villa Feltrinelli sein Chefbüro hatte – und privat in einer zweiten Feltrinelli-Villa, heute einem Luxushotel, mit seiner Familie residierte. In Gardone kam als Zweitwohnsitz noch ein Turm am See hinzu. Er war das Liebesnest zusammen mit Mussolinis Mätresse Clara Petacci, eben dort, wo heute eine Disco mit sehr schickem, drogenaffinem Publikum reüssiert.

Ein weiterer Blick in die Ausstellung.
Ein weiterer Blick in die Ausstellung.

© Museo di Salò

Manches, doch längst nicht alles erfährt man davon im Museum nun in historischen Fotos und Filmausschnitten, in Plakaten, Briefen, Dokumenten sowie im fast 400-seitigen italienisch-englischen Ausstellungskatalog. Gleich zu Beginn grüßt auch eine monumentale Marmorbüste des Duce von 1937. Wie einem antiken Gott fehlt als Tribut der Zeit ein Gesichtsteil, die Nase nämlich ist fast abgeschlagen.

Pathetisch, grotesk

Das wirkt pathetisch, auch etwas grotesk, vor allem aber fragt man sich angesichts des Hinweises auf eine Privatsammlung in Brescia, wer solch einen massigen Diktatorenkopf über all die Jahre bei sich bewahrt hat. Doch diese Art Duce-Devotionalien, die bei rechten Antiquitätenhändlern auch in kleineren Kitsch- und Kultformaten, etwa als Dolche oder Tassen, sich in Italien nicht nur in Mussolinis Geburtsort Predappio finden, sie werden in der Ausstellung in Salò reichlich präsentiert. Aber kaum politisch, ästhetisch, sozialgeschichtlich reflektiert.

Einerseits wollen die Kuratoren Roberto Chiarini und Elena Pala möglichst authentisch den „genius loci“ von Salò beschwören. Und darüber hinaus auch das Schicksal der zwischen alle Fronten geratenen Italiener. Es gehe ihnen darum, den „calvario“, den Leidensweg einer zerrissenen Nation darzustellen, deren Bevölkerung „in diesen sechshundert Tagen Bombardements, Evakuierungen, Hunger, Schwarzmärkte“ zu erdulden hatte. Doch wer längst vor 1943 und auch vor einem „Bürgerkrieg zwischen Faschisten und Partisanen“ einen Weltkrieg mit begonnen hatte (und bei Mussolinis Afrikafeldzug schon 1937 etwa 700.000 Äthiopier umgebracht hatte), kommt nicht zur Sprache.

Täter und Opfer werden oft gleichgestellt, und man beginnt mit dem italienischen Kriegswendejahr 1943 gleichsam voraussetzungslos. Zwei Jahrzehnte Mussolini-Herrschaft zuvor, die neben der Diktatur für Italien auch eine hart durchgesetzte ökonomisch-industrielle Modernisierung gebracht hatten, sind kein Thema.

Einzig die Judenverfolgung, die sich ab 1943 unter Oberaufsicht der Deutschen weiter verschärft hatte, erfährt mit einer Info-Wand ihre besondere Erwähnung. Doch die Bilder von italienischen Soldaten in deutschen Kriegsgefangenenlagern werden in Salò sehr viel emphatischer präsentiert als die Schicksale verfolgter Juden oder der gegen die Diktatur kämpfenden Partisanen.

Auch erhalten Frauen auf Seiten der Faschisten ein eigenes Kapitel, die wesentliche Rolle des weiblichen Widerstands wird dagegen verschwiegen. Stattdessen immer wieder suggestive faschistische Propagandaplakate und Bilder, die Mussolini bei seinen seltenen späten Auftritten als „tragischen“ Heros vor dem finalen Fall zeigen. Kein Wort aber, dass sich in Gargnano nach Mussolinis Flucht und Tod Ende April 1945 in den Räumen unter seiner Büroetage in der Villa Feltrinelli an den Wänden noch das Blut von Gefolterten gefunden hat.

Die große Schau, die nach Aussage ihrer Kuratoren weder „rechter Nostalgie“ noch „linken Gegenmythen“ dienen will, zeigt so letztlich die historische Unschärfe, die in der heutigen postfaschistischen Politik, nicht nur in Italien, zur nützlichen Grauzone wird.

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