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Der Schriftsteller Giuliano da Empoli

© Francesca Mantovani/Editions Gallimard

„Der Magier des Kreml“: Giuliani Da Empolis Roman über Putins Einflüsterer und Aufstieg

Mit seinem klugen und spannenden Roman führt der italienisch-schweizerische Schriftsteller und Politikwissenschaftler direkt ins Zentrum der russischen Macht.

Man kennt Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin inzwischen aus den analogen und sozialen Medien zur Genüge. Das allerdings eher selten unter seinem Namen, sondern als Chef der paramilitärischen Gruppe Wagner, einer Söldnerarmee, die seit Monaten zusammen mit der russischen Armee die Stadt Bachmut im Osten der Ukraine einzunehmen versucht.

Geboren 1961 in St. Petersburg, damals noch Leningrad, saß Prigoschin bis 1990 fast ein Jahrzehnt im Gefängnis, um nach der Entlassung in seiner Heimatstadt verschiedene Restaurants zu betreiben und zu Wladimir Putins bevorzugten Koch zu werden, zum „Koch des Kremls“.

Als „unscheinbar wirkender, kahlköpfiger Mann“, wird Prigoschin in Giuliano da Empolis Roman „Der Magier im Kreml“ beschrieben, „der bescheiden lächelte und tatsächlich während der gesamten Mahlzeit eisern an seiner Rolle festhielt“, nämlich der, Putin und seiner Entourage „jeden gastronomischen Wunsch zu erfüllen.“ Dass er mehr ist als nur Putins Koch mit „einer Miene zwischen Gangster und Hausmeister“, erörtert Da Empoli im Anschluss.

Beresowski und Chodorkowski

Sein zweiter Erzähler, eben jener titelgebende Magier des Kreml, der hier fiktiv verschlüsselte Putin-Berater Wadim Baranow, trifft sich nach dem Restaurantbesuch mehrmals noch mit Prigoschin, um sich mit diesem intellektuell auszutauschen über Gott und die Welt, über Casinos als „Denkmäler menschlicher Irrationalität“, vor allem aber über die Möglichkeiten, Einfluss auf die Politik westlicher Staaten zu nehmen.

Es geht um Parteinahme für unterschiedlichste systemkritische Gruppen von rechts wie links, sei es die Waffenlobby, seien es Klimaaktivisten, um die Produktion von Chaos und von widersprüchlichsten Offenbarungen: „Sie werden nicht mehr wissen, wem oder was sie glauben sollen! Das Einzige, was sie verstehen werden, ist, dass wir in ihr Gehirn eingedrungen sind und mit ihren neuronalen Schaltkreisen spielen, als wäre es einer deiner Spielautomaten.“

Die Begegnung von Prigoschin und Baranow gehört zu den Höhepunkten dieses Romans. Da Empoli erzählt in dessen Zentrum, wie Putin an die Macht gekommen ist, zunächst unterschätzt wurde und dann sein Machtsystem nach und nach auszubauen verstand - nicht zuletzt mit Hilfe seines engen Vertrauten Wadim Baranow. Dessen reale Vorbildfigur soll Putins langjähriger Berater Wladislaw Surkow sein, der Chefideologe des Kremls von 2013 bis 2020, oft bezeichnet als „dritter Mann im Staat“.  

Tatsächlich wird „Der Magier des Kremls“ bevölkert von vielen realen Figuren der jüngeren Geschichte Russlands, allen voran natürlich Putin, „der Zar“, sowie sein früher Förderer und späterer Abtrünniger, der Oligarch Boris Beresowski. Aber auch Michail Chodorkowski oder Alexander Saldostanow, Gründer und Präsident des russischen Motorrad- und Rockerclubs „Nachtwölfe“, haben Auftritte, alles Männer, deren Wikipedia-Einträge länger sind, als dass sie Da Empoli erschöpfend porträtieren könnte.

Nominiert für den Prix Goncourt

Das Besondere seines im vergangenen Jahr für den Prix Goncourt nominierten Romans besteht mehr darin, dass er gewissermaßen eins und eins, also Europa und Russland zusammenzählt und Entwicklungen bündelt und beschreibt, die in dem Angriff Russlands auf die Ukraine und diesen seit über einem Jahr andauernden Krieg münden: von der Perestroika über die wilden, ultrakapitalistischen neunziger Jahre bis hin zu der Zeit des Maidans 2013 und 2014 in der Ukraine, von ersten Ermordungen von Putin-Kritikern bis zur Inszenierung des olympischen Spektakels in Sotschi. (Weshalb Baranow auch eine Verschmelzung von Surkow und Konstantin Ernst sein könnte, einem russischen Medienmogul, der auch in Sotschi Regie geführt hat.)

„Der Magier des Kremls“ hat zwei Erzählebenen, die klar voneinander abgetrennt sind: Es gibt zunächst einen Ich-Erzähler, der Literaturwissenschaftler von Beruf ist, sich in Moskau auf die Spur des vergessenen Zwanzigerjahre-Schriftstellers Jewgeni Samjatin setzt und dabei seinerseits von Baranow aufgespürt wird. Dieser lädt ihn in sein Haus vor den Toren Moskaus ein und beginnt schließlich die Geschichte seines Lebens und die der russischen Politik bis in die jüngste Gegenwart zu erzählen.

 Das Reich des Zaren wurde aus dem Krieg geboren, und es war nur folgerichtig, dass es am Ende wieder zum Krieg zurückkehrte.

Giuliani Da Empoli

Da Empoli, der als gelernter Politikwissenschaftler selbst Berater des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzo gewesen ist, erzählt temporeich, umweglos und spannend, inklusive einiger farbiger Überflüssigkeiten. Vor allem seine Dialoge lassen erahnen, wie es im Zentrum der russischen Macht zugeht, womöglich gar im Denken von Putin.

Hier entfaltet sich der offensichtliche Machiavellismus am besten; hier stehen in den melancholisch-sinistren Betrachtungen Baranows am Ende seiner Erzählung zwingend folgerichtige Sätze: „Das Reich des Zaren wurde aus dem Krieg geboren, und es war nur folgerichtig, dass es am Ende wieder zum Krieg zurückkehrte. Das war die unerschütterliche Grundlage unserer Macht, ihre Ursünde.“ Der Alptraum, auch das eine Grundessenz des Romans, wird nie zu Ende gehen.

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