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Hauptdarstellerin Lily Farhadpour mit einem Foto von Maryam Moghaddam (L) und Behtash Sanaeeha, dem Regie-Duo des Wettbewerbsbeitrags „My Favourite Cake“. Die beiden erhielten Reiseverbot von den iranischen Behörden.

© AFP/RONNY HARTMANN

Iran auf der Berlinale: Weg mit dem Hijab

Die Tragikomödie „My Favourite Cake“ trotzt den Regeln der Sittenpolizei. Das Regie-Duo Moghaddam und Sanaeeha will ein realitätsnahes Frauenbild zeichnen – die Reise nach Berlin wurde ihm verboten.

Sie liegt mit Schlafmaske bis mittags im Bett und trägt keinen Hijab. Sie schnippelt Gemüse für das Dinner mit den Freundinnen und trägt keinen Hijab. Sie wässert die Pflanzen im Garten, natürlich auch ohne Hijab. „Wir tragen das Kopftuch auch nicht, wenn wir Wäsche waschen“, sagt Lily Farhadpour bei der Pressekonferenz zum iranischen Wettbewerbsfilm „My Favourite Cake“.

Realitätsnahe Bilder von Frauen existierten im iranischen Kino nicht, so die Hauptdarstellerin, die auch als Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin arbeitet. Ein Hijab im Bett, das sei im Kino immer lächerlich gewesen; absurd sei auch, dass eine Mutter vor der Kamera ihren Sohn nicht umarmen dürfe.

Farhadpour nimmt kein Blatt vor den Mund, kritisiert die iranische Regierung und spricht darüber, dass die Arbeit an der Komödie über eine 70-jährige verwitwete Frau, die sich einen Lover angelt, schon vor dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini 2022 begonnen hatte. Der Dreh erstreckte sich jedoch auch über die Zeit der Frauen- und Straßenproteste.

Eingangs verliest die Schauspielerin eine Erklärung des Regie-Duos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha, dem das Regime die Ausreise verboten hat. Ein großes Foto der beiden – ein fröhliches, mit Filmklappe auf einem Bett liegendes Paar – markiert auf dem Podium ihre Abwesenheit.

Jahrelang seien iranische Filme unter restriktiven Bedingungen gedreht und die roten Linien akzeptiert worden, bei deren Überschreitung man Arbeitsverbote und komplizierte Gerichtsverfahren riskierte. „Wir haben uns entschlossen, diesmal alle roten Linien zu überschreiten und die Konsequenzen für unsere Entscheidung zu akzeptieren, ein wahrheitsgetreues Bild iranischer Frauen zu zeichnen“, so Moghaddam und Sanaeeha. 2021 hatten sie mit dem Gerichts- und Todesstrafen-Drama „Ballade von der weißen Kuh“ am Bären-Wettbewerb teilgenommen.

Liebe im Alter: Lily Farhadpour (l) und Esmail Mehrabi in „My Favourite Cake”.
Liebe im Alter: Lily Farhadpour (l) und Esmail Mehrabi in „My Favourite Cake”.

© dpa/Hamid Janipour

Noch dazu geht es um Liebe im Alter, immer noch ein Tabu, nicht nur im Iran. Mahin heißt die rundliche Witwe im Film, eine Frau aus der Mittelschicht, die sich schlechtgelaunt im Bett räkelt und von ihren Freundinnen genervt ist, die nur über ihre verstorbenen Männer und ihre Krankheiten reden, wenn sie einmal im Monat zu Besuch kommen. Eine von ihnen würde zu gern die DVD von ihrer Darmspiegelung vorführen; als Geschenk haben sie ein Blutdruckmessgerät mitgebracht. Mahin ist es leid: die Einsamkeit, die Turnschuhe, den Hijab – und dass die Erinnerung an die tollen iranischen Sängerinnen aus der Zeit vor der Revolution verblasst ist, auch an hohe Absätze und tiefe Ausschnitte.

Also brezelt Mahin sich auf, probiert es erst in einer Hotellobby, dann in einem Park, wo die Sittenpolizei junge Frauen festnimmt, wegen zu locker sitzendem Kopftuch. Etliche Szenen entstanden im Verborgenen – wobei die plötzliche Verwandlung einer braven, verbitterten Alten zur Widerständlerin, die den Polizisten die Leviten liest, etwas Programmatisches hat.

Schließlich versucht Mahin es in einem Rentner-Restaurant und schnappt sich einen Taxifahrer. Faramarz, ein Kriegsveteran (Esmail Mehrabi), freundlich, schüchtern, auch nicht mehr der Gesündeste. Einen langen Abend währt das Glück der beiden, sie plaudern, scherzen, trinken Wein und tanzen beschwipst, nachdem er die Außenbeleuchtung im Garten repariert hat.

Wie filmt man das Glück? Bekanntlich eine der schwersten Herausforderungen des Kinos, dem sich auch „My Favourite Cake“ nicht recht gewachsen zeigt. Angesichts des arglosen, auch ein wenig unbeholfen inszenierten Flirts vermisst man die anfänglichen Pointen. Die gewitzte Lösung der heiklen Frage nach der obligatorischen Duschszene bei solchen Plots, womöglich mit nackten Protagonisten, entschädigt ein wenig dafür.

Ein Happy-End? Wäre vermessen. Auch hier bleibt „My Favourite Cake“ realitätsnah. „Wir sind traurig und müde, aber wir sind nicht allein. Filme verbinden uns, das ist die Magie des Kinos“, heißt es im Statement des Regie-Duos. Im Iran ist die Magie oft eine sehr gefährliche Sache.

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