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15.02.2024, Berlin: Papis Loveday (r) steht am Eröffnungsabend der Berlinale mit einem Protestschild "No Racism ! No AFD !" neben Schauspielerin Pheline Roggan auf dem Roten Teppich. Es wird der Film "Small Things Like These" gezeigt. Die 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin finden vom 15. - 25.02.2024 statt. Foto: Monika Skolimowska/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Monika Skolimowska

Update

Glamour und Politik Hand in Hand: So verlief die Eröffnungsgala der 74. Berlinale

„No Fascists“-Schilder und noble Roben: Auch beim diesjährigen Start der Filmfestspiele passt das gut zusammen. Nur „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“, sagt Berlinale-Chefin Mariette Rissenbeek.

Filmkunst oder Politik? Natürlich beides, wird am Donnerstagabend bei der Eröffnung der 74. Berlinale vor und im Berlinale-Palast einmal mehr offenkundig.

Wen wollen wir zu unseren Partys einladen und wen nicht, fragt das Moderatoren-Duo Hadnet Tesfai und Jo Schück gleich zu Beginn der Gala und spricht das viel diskutierte Gästemanagement an. „Wo endet die Toleranz gegenüber Intoleranten?“, fragt Hadnet Tesfai. Während Carlo Chatrian als Künstlerischer Leiter noch einmal die Notwendigkeit von Komödien in finsteren Zeiten betont, bleibt es Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek überlassen, die Einladung und darauf folgende Ausladung von fünf AfD-Abgeordneten vor dem Gala-Publikum zu erläutern.

Dafür tritt sie eigens ans Pult und verliest eine Erklärung. Rissenbeek erinnert an all die Tragödien, die das Festival in der fünfjährigen Amtszeit ihrer Doppelspitze mit Chatrian überschattet haben, angefangen mit dem rassistischen Anschlag in Hanau 2020. Ukraine, Iran, Sudan, das Erdbeben in der Türkei – und jetzt bedrohen rechtsextreme Worte und Taten das Zusammenleben in Deutschland, sagt Rissenbeek. „Deshalb müssen wir die Regeln des Umgangs ändern.“

Die Jury gibt sich die Ehre: Ann Hui (l-r), Oksana Zabuzhko, Jasmine Trinca, Lupita Nyong’o, Albert Serra, Brady Corbet und Christian Petzold.
Die Jury gibt sich die Ehre: Ann Hui (l-r), Oksana Zabuzhko, Jasmine Trinca, Lupita Nyong’o, Albert Serra, Brady Corbet und Christian Petzold.

© dpa/Jens Kalaene

Das Festival habe viel Platz für Dialog und Diskussionen, aber „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“. Viele Menschen, auch Berlinale-Mitarbeiter, seien von den Plänen der AfD betroffen, Migrantinnen und Migranten deportieren zu wollen: Deshalb die Ausladung der fünf AfD-Abgeordneten. Diese Gala findet ohne sie statt. Rissenbeek wünscht sich Solidarität, aber eine, die empathisch ist und vor allem zu differenzieren weiß.

Claudia Roths späterer Verweis auf einen Satz von Jean-Luc Godard ist da eher befremdlich. „Manchmal ist die Realität zu komplex, Geschichten geben ihr eine Form“, zitiert die Kulturstaatsministerin die Regielegende. Gewiss meinte sie nicht, nachdem sie die aktuellen Kriege und Krisen von der Ukraine und Iran über das Hamas-Massaker am 7. Oktober und das Leid in Gaza bis zum Antisemitismus in Deutschland aufgezählt hatte, dass Filme all dem mit simplen Plots begegnen.

Auftritt Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner; das Land beteiligt sich erstmals mit zwei Millionen Euro an der Festivalfinanzierung. Wird er sich nochmals zur AfD-Frage äußern, nachdem er im Vorfeld des Festivals beteuert hatte, sie solle nächstes Jahr wieder eingeladen werden? Wegner bleibt lieber allgemein. Die AfD stehe nicht für Freiheit und Demokratie, „aber wir stehen dafür ein, an 365 Tagen im Jahr“. Ihm kommt es zu, sich für fünf Jahre Engagement und Herzblut bei Rissenbeek und Chatrian zu bedanken. Ihrer Nachfolgerin Tricia Tuttle sichert er schon jetzt die Unterstützung Berlins zu.

Und wie bitte bleibt vor lauter Politik nun die Filmkunst? Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Zabuzhko, Mitglied der Bären-Jury, erzählt dem Gala-Publikum kurz, wie bei der Jury-Pressekonferenz am Nachmittag ihr Handy losschrillte. Sie hatte vergessen, es abzustellen, wollte wissen, wann das Ende des Luftalarms in Kiew signalisiert wird. Eine solche Kollision von Filmwelt und Realität käme sofort ins Script, wenn sie je einen Film drehen würde, sagt Zabuzhko. Und Lupita Nyong’o freut sich, dass sie als erste Schwarze Jury-Präsidentin den Fortschritt bei der Berlinale verkörpert. Das mit der politischen Berlinale habe sie seit ihrer Ankunft vor zwei Tagen schon öfter gehört, hatte Nyong’o bei der Pressekonferenz gesagt. Sie sei neugierig herauszufinden, was damit gemeint ist.

Bevor es losgeht mit dem Eröffnungsfilm, dem irischen Moraldrama „Small Things Like These“ mit Cillian Murphy, fragt Moderatorin Hadnet Tesfai den Produzenten des Films noch schnell, ob er Berlin möge. Es handelt sich um niemand Geringeren als Matt Damon, der unter tosendem Applaus Berlin ob seiner Coolness lobt: „Da braucht man sich ja nur diese Eröffnung anzuschauen“.

In der Tat: Cool, glamourös und politisch ging es schon auf dem Roten Teppich zu. Katja Riemann, Jella Haase, Meret Becker, Jessica Schwarz und viele weitere Filmschaffende halten Handylichter hoch und rufen „Defend Democracy“ – zur Unterstützung des Festivals und seiner AfD-Entscheidung.

Andere erinnern mit Fotos an die neun Opfer des rassistischen Anschlags gegen Menschen mit Migrationsgeschichte vor vier Jahren in Hanau. Wieder andere halten Buchstaben-Schilder hoch, die sich zu „No Seats for Fascists anywhere“ zusammensetzen oder demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen in der Film- und Medienwirtschaft. Wim Wenders bekräftigt einmal mehr, dass die Berlinale das politischste unter den großen Festivals sei. „Sie hält sich nicht raus, das wird sie auch in Zukunft nicht tun“, sagte der 78-jährige Regisseur vor dem Berlinale-Palast. „Ich mag die Berlinale, weil sie auch immer den Mund aufmacht und was sagt.“ 

Der Glamour kommt trotzdem nicht zu kurz. In das Defilee der einheimischen Film- und Fernsehprominenz mit Veronica Ferres, Lars Eidinger, Maria Schrader, Doris Dörrie, Fatih Akin, Meltem Kaptan, oscarnominierter Prominenz wie Wenders und Ilker Catak („Das Lehrerzimmer“), Alexandra Maria Lara und Florian Gallenberger als Präsidenten der Deutschen Filmakademi, Sandra Maischberger und Arabella Kiesbauer (um nur einige Namen zu nennen) reihen sich selbstverständlich auch Politikerinnen und Politiker ein, darunter Familienministerin Lisa Paus und Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Und Iris Berben posiert mit Michel Friedman.

Auch an den rechtsextremistischen Anschlag in Hanau vor bald vier Jahren wird beim Berlinale-Eröffnungsabend erinnert.
Auch an den rechtsextremistischen Anschlag in Hanau vor bald vier Jahren wird beim Berlinale-Eröffnungsabend erinnert.

© dpa/Hannes P Albert

Eins der schönsten Bilder: Topmodel Papis Loveday kommt im Glam-Out und mit einem „No Racism „No AfD“-Schild. Andere haben sich „Ceasefire Now“-Zettel auf den Rücken gepinnt.

Fast ein bisschen schade, dass Jury-Präsidentin Lupita Ngong’o, deren Grandezza die Berlinale auch auf dem Roten Teppich adelt – als wahre Glamour-Königin in nobler weißer Robe – nicht ganz so überschwänglich von den Fans am Teppichrand begrüßt wird wie am Ende Matt Damon und Cillian Murphy.

Die Dezibelstärke der Fanrufe schraubt sich bei der Ankunft des Teams zum Eröffnungsfilms „Small Things Like These“ (auch Emily Watson ist dabei) noch einmal nach oben. Der oscar-nominierte Murphy („Oppenheimer“) spielt in dem irischen Drama einen Kohlenhändler, der sich entscheiden muss, ob er wie all die anderen Kleinstadtbewohner das Leiden der im klösterlichen Magdalenenheim eingesperrten jungen Mütter ignoriert oder sich einmischt.

Wie viel Zivilcourage bringst du auf? Wenn es nach der Eröffnung geht, wird diese Frage das Festival bis zur Bärenverleihung am 24. Februar begleiten. Teilhabe, Engagement, Integration: Dafür wirbt im Berlinale-Palast am Ende Philipp Lahm persönlich, Schirmherr des Filmprojekts „Berlinale Meets Fußball“. Nicht nur Festivals sind interkulturelle Begegnungsstätten, so Lahm kurz bevor der Film endlich beginnt, sondern auch Fußballstadien.

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