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Der iranische Filmemacher Bahman Farmanara spricht am 18. Oktober in Teheran bei der Trauerfeier für seinen Kollegen Dariusch Mehrdschui und dessen Frau Wahideh Mohammadifar. Beide wurden unter ungeklärten Umständen ermordet.

© IMAGO/Rouzbeh Fouladi

Kolumne „Mehrwert“, Folge 19: Empathie und Scham

Angesichts der Vielzahl der Kriege und Krisen fühlen viele sich überfordert. Über das Recht auf Pausen und das Privileg, davon Gebrauch machen zu können.

Eine Kolumne von Christiane Peitz

Sie ist die einzige Kuh im Dorf, Hassans einziger Besitz. Eines Tages liegt sie tot im Stall. Die Nachbarn wissen, was das für Hassan bedeutet, und sagen ihm, sie sei nur davongelaufen. Die Kuh war sein ganzer Stolz. Hassan verliert den Verstand.

Über ein halbes Jahrhundert liegt es zurück, dass Dariusch Mehrdschuis Drama „The Cow“ die Welle des Neuen Iranischen Films einleitete und 1971 in Venedig den Publikumspreis gewann, nachdem er aufs Festival geschmuggelt worden war. Mehrdschui ist international weniger bekannt als Jafar Panahi oder Mohammad Rasolouf. Aber auch er gehörte zu den Regisseuren, die der Zensur im Iran trotzten. Mit seinen Filmen, die von Armut und der Unterdrückung der Wahrheit erzählen, verteidigte er die Menschlichkeit.

Am 14. Oktober wurden Mehrdschui und seine Ehefrau in ihrem Haus unweit von Teheran ermordet. Die Umstände sind unklar, vorher soll es Drohungen gegeben haben. Viele glauben, die Mullahs stecken dahinter.

In den deutschen Medien wurde nur knapp darüber berichtet. Auch dass die Kostümbildnerin Leila Naghdipari, die am Jahrestag der Ermordung von Jina Mahsa Amini inhaftiert worden war – Jafar Panahi hatte die internationale Filmcommunity darüber informiert –, inzwischen auf Kaution freigekommen ist, wurde hierzulande noch nicht vermeldet. Wenigstens eine gute Nachricht.

Man kommt ja auch nicht hinterher. Hamas-Terror in Israel, Antisemitismus in Deutschland, Ukraine-Krieg, das Erdbeben in Afghanistan mit mutmaßlich 2500 Toten, hunderttausend Armenier auf der Flucht, seit Aserbaidschan Berg-Karabach eingenommen hat, die Liste ist noch viel länger. Vor lauter Krisen und Kriegen gerät manches Unrecht aus dem Blick.

Empathie ist eine begrenzte Ressource, so wie die Aufmerksamkeit. So beschämend das sein mag: Wir haben nur zwei Augen, nur ein Herz. Es wird in diesen Tagen besonders strapaziert, also hierarchisieren und dosieren wir. Im Freundeskreis häufen sich die Stimmen derer, die abschalten wollen. Ein Nachrichten-Detox, wenigstens übers Wochenende? Jene, die sich unermüdlich engagieren, haben allemal das Recht auf Pausen. Die anderen auch.

Aber es ist ein Privileg, dessen wir uns bewusst sein sollten: Die Augen eine Weile verschließen, um die eigene Seele zu schützen – Terror-, Kriegs- und Katastrophenopfer können das nicht. Auch das Glück, sich das Ausmaß der Behelligung durch bad news aussuchen zu können, hat etwas Beschämendes.

Manchmal gilt es auch nur, das Gefühl der Überforderung auszuhalten. Alles so kompliziert, und so komplex. Als kürzlich verkündet wurde, dass der Sacharow-Preis posthum an Amini verliehen wird, fiel einem wieder ein, dass der Iran beides ist. Das Land, das die Hamas finanziert. Und das Land, in dem die Menschen nicht aufhören, dafür zu kämpfen, dass Frauen ihr Kopftuch ablegen können, ohne ihr Leben zu riskieren.

Christiane Peitz schreibt in dieser Kolumne regelmäßig über Grundwerte, Menschenrechte und Diskriminierung.

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