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Yo la Tengo im Konzert.

© IMAGO / Gonzales Photo

Konzert von Yo La Tengo: Ein Abend im Paralleluniversum

Die Indieband Yo La Tengo bricht bei ihrem Auftritt in Berlin mit jeder Erwartungshaltung – und spielt deshalb eine grandioses Konzert.

Nach einem Naturgesetz im Rockuniversum müssen sich gealterte Bands irgendwann entscheiden. Entweder schlagen sie den Weg der Selbstverkultung ein, samt kommerzieller Ausschlachtung und Mitklatsch-Orgien. Oder sie lösen sich würdevoll auf und riskieren es lieber dem Vergessen anheimzufallen als zu einer Karikatur ihrer selbst zu werden.

Und dann gibt es noch das Paralleluniversum von Yo La Tengo. Jener Indieband aus Hoboken in New Jersey, die immer weitergemacht hat, obwohl sie nie wirklich erfolgreich war – und gerade deswegen auch im 40. Jahr ihres Bestehens unvermindert kultische Verehrung erfährt.

Dass Widersprüche der Nährboden von Yo La Tengo sind, unterstrich ihr Berliner Konzert am Dienstagabend im Neuköllner Club Huxleys Neue Welt an der Hasenheide. Zu Beginn ihrer zweistündigen Show schlurfen Schlagzeugerin Georgia Hubley, Gitarrist Ira Kaplan und Bassist James McNew so unaufgeregt auf die Bühne, als seien sie vom Einkauf im Baumarkt nebenan herbeigerufen worden.

Ausgebeulte Hosen, statt ausgelutschter Posen. „Uns gibt es bald 40 Jahre und ich kann immer noch nicht mit Euch reden und gleichzeitig meine Gitarre stimmen“, feixt Kaplan.

Uns gibt es bald 40 Jahre und ich kann immer noch nicht mit Euch reden und gleichzeitig meine Gitarre stimmen.

Ira Kaplan, Gitarrist von Yo La Tengo

Derweil rätselt das Publikum noch, was der Abend mit den stilistischen Alleskönnern bringen könnte. Eine Ambient-Meditation? Ein Noise-Punk-Brett? Oder zarte Pop-Songs mit Beach-Boys-Melodien? Dann setzt der krautige Rhythmus des siebeneinhalbminütigen „Sinatra Drive Breakdown“ ein, Opener des jüngst veröffentlichten 17. Album „This Stupid World“, das es sogar in die Top 20 der deutschen Albumcharts schaffte.

Es pluckert und summt, raschelt und zischelt

Doch was folgt, entbehrt jeglicher Logik moderner Konzertdramaturgie. Yo La Tengo tauchen in der ersten Hälfte des Abends komplett in die ruhigen Gefilde ihres Schaffens ab, reihen Songs wie „Stockholm Syndrome“, „Nowhere Near“ und „I’ll be Around“ aneinander.

Minimalistische Bassfiguren, stoisches Schlagzeugspiel und säuselnder Gesang aus drei Kehlen. Minutenlang entblättern sie ihre zarten Kompositionen. Bei aller Fragilität, mit einer beeindruckenden Intensität. Die Band rotiert zwischen Saiten- und Tasteninstrumenten. Es pluckert und summt, raschelt und zischelt.

Lediglich Einsprengsel dissonanter Akkorde geben eine Vorahnung dessen, was nach der 30-minütigen Pause kommen sollte, die die Band unvermittelt ankündigt. Denn wer bereits auf dem Weg nach draußen seine Ohrenstöpsel entsorgt hat, bereut dies spätestens, als kreischender Gitarrenlärm aus der kühlen Frühlingsnacht zurücklockt.

Yo La Tengo wirken wir verwandelt. Kaplan prügelt sein Instrument gegen die Hüften. In einem 20-minütigen Jam verknoten sich die Feedback-Schleifen, Ellenbogen traktieren Tastaturen, Gitarren schwingen wie beim Hammerwurf.

Zur Zugabe erklärt Kaplan dem verdutzten Publikum, dass er Berlin so gerne möge, weil es hier so viele Fans von Gary Lewis gäbe und stimmt dessen Hit „This Diamond Ring“ an. Gary wer? An der Garderobe beugen sich danach Köpfe über Wikipedia-Artikel. Die Welt mag ziemlich stupid sein. Aber nach einem Konzert mit den Nerds von Yo La Tengo ist sie immer ein kleines bisschen schöner.

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