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Uwe Johnson, hier bei einer Lesung am 1. Februar 1973 in Frankfurt am Main. Er starb im Alter von 49 Jahren am 23. Februar 1984 in Sheerness-on-Sea.

© dpa/dpaweb/Manfred Rehm

Literarische Fundstücke: Wimpern aus Schilf und Brauen aus Wald

Der ehemalige Berliner Chefarzt Wolfgang Geisthövel begibt sich nach Mecklenburg-Vorpommern reisend auf die Spur des Schriftstellers Uwe Johnson.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Seit Juli läuft in ausgewählten Arthouse-Kinos noch immer „Gehen und bleiben“, der knapp dreistündige, sehr epische Dokumentarfilm über den Schriftsteller Uwe Johnson und seine Landschaften. Von Anklam bis New York, von der Ostsee bis zur englischen Atlantikküste, an der Johnson 1984 mit noch nicht ganz 50 Jahren gestorben ist. Doch wie einst für Johnson selbst bleibt das Zentrum auch dieses nachspürenden Films von Volker Koeppen das seenreiche Mecklenburg, hier mitgetragen von dem wunderbaren (Vor-)Leser, Schauspieler und nachgeborenen Johnson-Landsmann Peter Kurth.

Dazu passt als weiter vertiefende Verführung zu den Romanen und Erzählwelten des Autors von „Ingrid Babendererde“ und der epochalen vierbändigen „Jahrestage“ ein feiner kleiner Band von Wolfgang Geisthövel „Reisen in Uwe Johnsons Mecklenburg“ (Hinstorff Verlag, Rostock 2001, 140 Seiten, antiquarisch und im Internet ab 3,50 €).

Ein Literaturdetektiv

Der in Berlin lebende ehemalige internistische Chefarzt Geisthövel ist selbst ein Welterkunder und hat sich als bibliophiler Sammler wie als schreibender, reisender Literaturdetektiv in mehreren Büchern auf die Spuren von Poeten und an die möglichen Schauplätze ihrer Werke begeben, ob in „Hölderlins Schwaben“, in Lateinamerika oder im Mittelmeer seit homerischen Zeiten („Kein Besuch bei Lawrence Durrell“).

Aus dem manchmal abgegriffenen goetheschen Motto „Wer den Dichter will verstehen, muss in Dichters Lande gehen“ schlägt Geisthövel immer wieder überraschende Funken. Dank größter Neugier und der Aufmerksamkeit auch fürs kleinste Detail: in Texten und an Orten. Im wandernden Blick zwischen dem Erfundenen, Erlesenen und real Erlebten.

Tatsächlich leben hier Städte, Flüsse, Seen „Zwischen Plau und Templin“ (so der Buch-Untertitel in Anspielung an eine Selbstbeschreibung Johnsons) höchst anschaulich auf und werden nicht allein mit Texten des norddeutschen Weltautors verbunden. So kommt etwa Franz Führmann im spannenden Kapitel über Güstrow, über Ernst Barlach und Johnsons Schulzeit in Güstrow zu Wort, wie auch Barlach selbst und sein magischer unvollendeter Roman „Der gestohlene Mond“.

Wolfgang Geisthövels eigene Sprache ist zudem von eigener literarischer Kraft, etwa angesichts des Krakower Sees mit „ungestörten Blicken in ein ruhiges, großes, strahlendes Eiszeitauge mit Wimpern aus Schilf und Brauen aus Wald“. Das Bildhafte und das Gebildete begleiten derart die „Reisen in Uwe Johnsons Mecklenburg“. Zum Nachreisen und Nachlesen.

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