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v.l. Oliver Kraushaar als Theseus, Paul Zichner, Constanze Becker als Phädra und Maximilian Diehle.

© JR Berliner Ensemble

„Phädra, in Flammen“ am Berliner Ensemble: Grenzdepressiv im Antiken-Setting

Das Berliner Ensemble bringt den antiken Mythos um Theseus auf die Bühne und fragt, ob ein Ausbruch aus den Verhältnissen überhaupt möglich ist.

Phädra hat einige Fragen an das Ekel, das sie ihren Ehemann nennt. Zum Beispiel: „Bin ich denn 20 Jahre lang nicht gut genug darin gewesen, all meine Sehnsüchte zu amputieren, alle meine unruhigen Gedanken mit Kissen zu ersticken, nachts, in den schweißbenetzten, unruhigen Stunden?“ Oder: „Habe ich nicht jeden meiner Vorwürfe hinuntergewürgt, jeden fremden Geruch von Erektionshilfen auf deiner Haut mit den köstlichsten Lavendelsalben getilgt?“

Der Adressat dieser Ausführungen – König Theseus, Bezwinger des Minotaurus und spätestens seitdem mit einem Übermaß an Selbstbewusstsein ausgestattet – entgegnet nichts darauf. Er ist nämlich gar nicht anwesend. Phädra übt nur. Und wird allen Groll zügig mit einem Drink wieder herunterschlucken, als Theseus schließlich von einem seiner Eroberungsfeldzüge heimkehrt. Da klingt es dann so: „Kuss, Kuss!“

In Zwangsverhältnissen

Nein, die Wahrheit wird nicht großgeschrieben im Königspalast zu Athen, der sich zu einem gewaltigen Lebenslügengebäude auftürmt. Hier spielt das Stück „Phädra, in Flammen“ der georgischen Dramatikerin Nino Haratischwili, die den antiken Mythos von Theseus’ zweiter Gattin überschreibt. So wie vor ihr beispielsweise schon eine Sarah Kane.

Die fokussierte sich in ihrer Tragödienneudeutung auf die verhängnisvolle Beziehung zwischen Phädra und ihrem Stiefsohn Hippolytos und erzählte von der Liebe als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Haratischwili zielt dagegen auf die größeren politischen Zusammenhänge zwischen Machtversessenheit, ins Private eingreifender staatlicher Repression und religiöser Heuchelei. In der Titelfigur wiederum spiegelt sie die Frage, ob ein Ausbruch aus derlei Zwangsverhältnissen überhaupt möglich ist. Und falls ja, zu welchem Preis.

Horrorvision Ruhestand

Am Berliner Ensemble überantwortet Regisseurin Nanouk Leopold den Emanzipationsversuch der Schauspielerin Constanze Becker, die ihre Phädra – von Haratischwili als Frau „in der welkenden Blüte ihres Lebens beschrieben“ – schon im Einstiegsmonolog mit einer staunenswerten Gefühlsvarianz zwischen Selbstverachtung, Weltekel, Resignation und galliger Spottlust vorstellt.

An Hoffnung und Sehnsucht ist dieser Königin nicht viel geblieben. Das Ruhestandsidyll auf einer griechischen Insel, das Gatte Theseus ihr fortwährend ausmalt – bei Oliver Kraushaar ein an der Macht klebender Popanz mit beinahe traurigem Potenzgebaren – wird erstens nie Realität werden. Und ist für Phädra zweitens ohnehin nichts anderes als eine Horrorvision.

Mit Persea fährt allerdings ungeahnte Lebendigkeit in dieses grenzdepressive Antiken-Setting. Die Magistratstochter, von Lili Epply toll als fröhlich-forsche Systemsprengerin gespielt, ist eigentlich dem ältesten Sohn Demophon (Maximilian Diehle) zur Frau versprochen, beginnt aber eine Affäre mit Phädra (womit Haratischwili die Hippolytos-Geschichte queerfeministisch und durchaus schlüssig umdeutet).

Die bleibt nicht lange geheim – und liefert dem zu kurz gekommenen Ränkeschmied und bigotten Hohepriester Panopeus (Paul Herwig) die Steilvorlage für die brutale Durchsetzung eigener Aufstiegsambitionen.

„Phädra, in Flammen“ – eine Koproduktion mit den Ruhrfestspielen – kippt zwar bisweilen in eine allzu grelle Familienfarce, wodurch der Ton vom Tragödischen ins Lächerliche rutscht. Und auch das Bühnenkonzept – Elsje de Bruijn hat um ein Bassin mit rotem Sand drei glatte Wände errichtet, auf die fortwährend Seelenlandschaften zwischen Flammenwald und Wüstenei projiziert werden – überzeugt nicht restlos. Aber schauspielerisch ist diese Inszenierung stark. Besonders Constanze Becker macht die wiedererwachende Glut einer Erloschenen glaubhaft. Aus der wird schließlich ein Feuerball.

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