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ARCHIV - 01.11.2013, Frankreich, ---: Undatiert: Marcel Proust (1871-1922), französischer Schriftsteller. (zu dpa «Französischer Verlag bringt unbekannte Texte von Marcel Proust heraus») Foto: dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit

© picture alliance/dpa / dpa

Proustbetrieb: Marcel, ce n’ est pas moi

Einige wenige Male wird der Erzähler in Marcel Prousts „Recherche“ Marcel genannt. Doch Proust hat bezüglich des autofiktionalen Charakters seines Werkes immer wieder größte Umsicht walten lassen.

Man ist bei der Lektüre der „Recherche“ hin und wieder geneigt, den Erzähler und den Autor gleichzusetzen; auch in dieser kleinen Kolumne wird der Ich-Erzähler des Werks gern mal der junge oder der alte Marcel genannt oder einfach nur Marcel.

Doch ist die „Recherche“ mitnichten ein autobiografischer Roman, eher ein autofiktionaler, nur bei weitem nicht in der Offenheit, wie sie heute gang und gäbe ist. Proust war im höchsten Maße umsichtig, so sehr Bekannte, Freunde und die Familie als reale Vorbilder gedient haben mögen, von Robert Montesquieu über Laure Hayman bis Charles Haas. Man denke allein daran, dass der Vater und die Mutter in der „Recherche“ nie beim Namen genannt werden, oder der Erzähler ein Einzelkind ist. (Proust hatte einen Bruder, Robert).

Der Erzähler, der ,ich’ sagt, bin ich nicht immer.

Marcel Proust

Proust selbst hat in Interviews gesprochen von der „Person, die erzählt, die ,ich’ sagt und die nicht ich selbst bin“; oder von dem „Erzähler, der ,ich’ sagt, der ich aber nicht immer bin“; und im letzten Band, der „Wiedergefundenen Zeit“ heißt es, dass es in seinem Werk „keine einzige Gestalt gibt, hinter der sich eine wirkliche Person verbirgt.“

Doch lässt er dann auch wieder seine reale Haushälterin Céleste Albaret und deren Schwester Marie namentlich auftreten, als zwei Schwestern, die „als private Bedienung einer alten ausländischen Dame nach Balbec gekommen waren.“; oder er spielt auf seine Ruskin-Übersetzungen an; oder er hat Tante Léonie nach sich selbst geformt. Und: Er hat dem Erzähler in der „Recherche“ wenige Male auch seinen Namen gegeben, zumindest seinen Vornamen.

Insbesondere in dem Band, in dem Albertine endlich die Seine, also die Freundin des Erzählers ist, in „Die Gefangene“. Es beginnt mit der Begeisterung darüber, „sie in ihrem Schlaf zu sehen, das ebenso beglückend war, wie ihr Leben zu spüren“ (später ist die schlafende Albertine sein einziges Glück).

„Mein geliebter Marcel“, sagt Albertine

Und es mündet in der Beschreibung ihres Erwachens, da sie erst langsam wieder zu sich kommt: „Sie fand die Sprache wieder und sagte: ,Mein’ oder ,Mein geliebter“, jeweils zusammen mit meinem Taufnamen, was, wenn man dem Erzähler demselben Vornamen verliehe, den der Verfasser dieses Buches trägt, ergäbe: ,Mein Marcel’ oder ,mein geliebter Marcel’.“

Was natürlich nicht heißt, dass dieser Marcel, der Erzähler der „Recherche“ Marcel Proust sein muss, da schützt Proust sich mit dem Konjunktiv. Und wer sagt denn, dass ausgerechnet Ich-Erzähler zu den zuverlässigsten ihrer Zunft zählen? Wie heißt es immer so schön am Ende oder zu Beginn von Romanen: Ähnlickeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

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