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BERLINER ENSEMBLE: "Woyzeck" von Gerorg Büchner, Regie: Ersan Mondtag

© JR Berliner Ensemble

Saisonstart am Berliner Ensemble: Im Reich der KI und Alpha-Männchen

Mit Georg Büchners „Woyzeck“ und Sibylle Bergs „Es kann doch nur noch besser werden“ hat das BE die neue Saison eingeläutet. Es sind gesellschaftlich düstere und künstlerisch strahlende Aussichten.

Gute Nachrichten zum Saisonstart aus dem Berliner Ensemble: „Seit ich ChatGPT benutze, bin ich in der Lage, Theaterstücke zu schreiben“, tönt es von der Bühne des Neuen Hauses. Und auch ansonsten gilt vollumfänglich das Motto: „Es kann doch nur noch besser werden“. So nämlich heißt das neue Stück von Sibylle Berg, das hier in der Regie von Max Lindemann zur Uraufführung kommt. Logisch, dass die Dramenproduktion darin nicht das Einzige ist, was vom naiven Homo Sapiens längst an die Künstliche Intelligenz outgesourct wurde.

Böses Spiel mit humanoiden Restbeständen

Erst habe die Spezies ihr „ihre Einkäufe und ihre Selbstbefriedigung“ überlassen, dann „ihre Gehirne“ und schließlich „die Erzeugung ihrer Filme, ihrer Musik, ihrer Stimmen und Avatare“, jubiliert die KI, die uns auf der Bühne als genderfluid-sexpositives Trio (Perra Inmunda, Amelie Willberg und Meo Wulf) mit ausgeprägtem Fashion-Bewusstsein entgegentritt. Und die also ganz buchstäblich ihr böses Spiel mit den humanoiden Restbeständen treibt, denen die Endgeräte an den Gliedmaßen festgewachsen sind (Nina Bruns, Lili Epply und Jonathan Kempf).

Meo Wulf, Amelie Willberg und Perra Inmunda in Sibylle Bergs „Es kann doch nur besser werden“.
Meo Wulf, Amelie Willberg und Perra Inmunda in Sibylle Bergs „Es kann doch nur besser werden“.

© JR Berliner Ensemble

Wer dieses Game gewinnt, gehört definitiv nicht zu den Überraschungen in der neuen Sibylle-Berg-Dystopie mit angestammten Ingredienzien bei gewohnt hoher Bonmot-Dichte. Zu entdecken gibt es dafür aber mit Max Lindemann einen jungen Regisseur, der dem Untergangsszenario eine einfallsreiche, gewitzte und im besten Sinne quietschbunte Inszenierung abgewonnen hat.

Woyzeck im Männer-Camp

Nebenan, auf der Hauptbühne des Berliner Ensembles, geht es plottechnisch ähnlich düster und inszenatorisch gleichermaßen interessant zu. Ersan Mondtag hat sich – in einer Koproduktion mit dem Scharoun Theater Wolfsburg – Georg Büchners „Woyzeck“ vorgenommen und in ein Männercamp verlegt: Das durchweg männliche Personal findet sich in einem dicht bewaldeten Zeltlager mit Fluss und Jägerhochstand wieder, das Jagdgewehr sitzt dem Hauptmann (Martin Rentzsch) entsprechend locker. Und dieses paramilitärische Ambiente passt natürlich nicht nur deshalb perfekt zu Woyzeck, weil der unterprivilegierte Protagonist, der sein Geld mit demütigenden Tagelöhner-Jobs verdient und am Ende in einer Mischung aus Eifersucht und Wahn seine Freundin Marie umbringt, bei Büchner Soldat ist. Sondern Ersan Mondtag ruft mit ihm ein komplettes Männerbündler-Regelwerk auf, aus dem heraus tatsächlich noch einmal ein anderer Blick auf die Figur möglich wird.

Hirnwütiger Eigenbrötler

Marie, die mit Gerrit Jansen zwar ebenfalls männlich besetzt und auch tradiert maskulin gekleidet ist, aber wie bei Büchner als Marie angesprochen wird, fungiert für den „hirnwütigen“ Eigenbrötler und Außenseiter Woyzeck hier nicht nur als Partnerin, sondern auch als Verbindungsglied in die Männer-Crew, als eine Art Akzeptanzgarantin. Maries Liebäugelei mit dem virilen Tambourmajor (Max Gindorff), der zur zeltlagerinternen Alpha-male-Fraktion gehört, ändert die gruppendynamischen Verhältnisse.

Der von Maximilian Diehle in unglaublicher Intensität gespielte Woyzeck, der hier oft mit weit entrücktem Blick am Wasser hockt, falls er nicht gerade stoisch die Demütigungen der Camp-Kollegen über sich ergehen lässt, wird damit zu einer Figur, die im produktivsten Sinne irritierend zwischen Täter und Opfer oszilliert. Dass er optisch an eine Jesusfigur erinnert, steigert noch mal die Komplexität.

Es mag nicht alles aufgehen in diesem Ersan-Mondtag-„Woyzeck“; es bleiben Fragen und Leerstellen. Vor allem bleibt aber eine Büchner-Interpretation, mit der sich endlich mal wieder richtig auseinanderzusetzen lohnt. Und so lautet das Spielzeitstart-Resümee aus dem Berliner Ensemble: Besser werden kann es zwar immer. Aber es war eigentlich schon mal ziemlich gut.

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