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John Malkovich als Seneca.

© Filmgalerie 451

„Seneca“ als Berlinale Special: Despotie mit E-Gitarre

John Malkovich überzeugt in der tiefschwarzen Komödie „Seneca“ als philosophischer Maulheld.

Nero gilt bis heute als abscheulichster Tyrann der Antike. Ein Massenmörder und Möchtegernkünstler, den wir uns immer noch gern so vorstellen, wie ihn Peter Ustinov im Hollywood-Sandalenfilm „Quo Vadis“ verkörpert hat. Mit flatternder Stimme singt er „Oh Flammen, verzehrt es!“ zur Lyra, während im Hintergrund Rom brennt, das er angeblich anzünden ließ.

In der tiefschwarzen Komödie „Seneca“ agiert nun ein ganz anderer, noch bedrohlicher wirkender Nero. Der britische Schauspieler Tom Xander spielt ihn als Kindkaiser, der das Wort „Mama“ nebst Herzchen als Tattoo trägt und seine Songs mit der E-Gitarre begleitet. Die Partys in seiner schummrig beleuchteten Villa ähneln Clubdisco-Nächten, bei denen Ringkämpfe blutig ausarten können.

Ansprechen lässt Nero sich mit „Mr. President“. Der deutsche Regisseur Robert Schwentke hat einen akkuraten, auf antiken Quellen wie Tacitus und Cassius Dio beruhenden Historienfilm gedreht, zielt aber auch in die Gegenwart. Sein Nero, der – wie es im Film heißt – über „Leben und Tod eines Viertels der Menschheit“ bestimmt, nimmt den Wahnwitz von Donald Trump und anderen Populisten vorweg.

Vor allem aber ist „Seneca“ der Film von Hauptdarsteller John Malkovich, für den Schwentke das Drehbuch geschrieben hat. Seneca war als Erzieher und Vordenker an Neros Aufstieg beteiligt. Der Philosoph predigt stoische Werte wie Mäßigung und Gleichmut, hat es aber zu einem der reichsten Männer Roms gebracht. Malkovich zeigt die Doppelmoral des Helden, seine Neigung zu Korruption und Maulheldentum, indem er nahezu unaufhörlich redet. Laut Schwentke hat er mehr Text als Hamlet in „Hamlet“. Das ist anstrengend und kann auch nerven.

Seneca prunkt mit seinen Worten. Einmal ermahnt er Nero: „Ein guter Fürst lässt Gnade walten, denn er kann regieren, ohne Angst zu erzeugen.“ Worauf Nero entgegnet: „Halt die Klappe.“ Das tut Seneca dann in einer Schlüsselszene, bei Neros Mord an dessen Mutter Agrippina. Sie hat einen Schiffbruch überlebt, kriecht zurück an Land, bittet Seneca, ihr zu helfen. Doch er schweigt und schaut weg, als sie erschlagen wird.

Als im Jahr 65 nach Christus eine Verschwörung gegen den Despoten aufgedeckt wird, fällt Seneca, der daran nicht beteiligt war, in Ungnade. Ein Bote übermittelt ihm das Todesurteil. Allerdings erhält er die Gnade, sich selbst umbringen zu dürfen. Mortis arbitrium heißt dieses Privileg, bei Zivilpersonen war es nicht unüblich.

Wie schon in seinem Weltkriegsdrama „Der Hauptmann“ erzählt Schwentke mit infernalischem Witz von einem Untergang. Dazu gehört eine grell experimentelle Open-Air-Inszenierung von Senecas Stück „Thyestes“, bei der zwei Sklaven getötet werden.

Als ihn der Todesbefehl erreicht, hält sich Seneca mit Freunden – gespielt etwa von Geraldine Chaplin, Louis Hofmann und Samuel Finzi – in seinem Landhaus auf.

Der Denker räsoniert druckreif, todesverachtend will er Sokrates überbieten, der ebenfalls zum Selbstmord gezwungen worden war. Die Gäste fliehen. Und Senecas Versuch, sich die Adern zu öffnen, führt zu blutigem Slapstick. Sterben erweist sich als überaus schwierig.

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