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Mia (Sophia Wilde) ist die Außenseiterin unter den Jugendlichen, jedoch nicht die einzige mit Problemen.

© Capelights Pictures

„Talk to Me“ im Kino: Das Diesseits ist interessanter als die Hölle

Das amerikanische Studio A24 hat mit originellen Genrestoffen zuletzt sogar bei den Oscars abgeräumt. „Talk to Me“ verbindet zarte Coming-of-Age- und drastische Horrorelemente.

Erstrebenswert ist der Tod nicht. Aber interessant allemal – schließlich weiß niemand mit Sicherheit, was er zu bieten hat: Ewige Ruhe? Ewige Verdammnis? Oder ein Totenreich voller graugesichtiger Geister, die verzweifelt versuchen, ins Diesseits zurückzukehren?

Irgendwo dort, zwischen Angst und Faszination, setzt der australische Independent-Horror-Hit „Talk to Me“ an, der auf dem Sundance Festival genauso beklatscht wurde, wie auf der diesjährigen Berlinale. Eine Gruppe Provinz-Jugendlicher würzt die Langeweile beim allabendlichen Saufen und Herumhängen mit einen neuen Gimmick: eine mit mysteriösen Inschriften versehene Menschenhand aus Gips. Wer sie ergreift, kann den Geistern – oder wen man auch immer zu erreichen meint – auf einer ominösen „anderen Seite“ durch die Aufforderung „Talk to Me“ erlauben, sich mit ihm zu vereinen.

Eine Außenseiterin qua Herkunft

Das ergibt für die grölende, mit Handys zum Dokumentieren bewaffnende Peergroup zum einen schön-schaurige Effekte wie große, schwarze Pupillen beim Handschüttler, unheimliche Stimmen und merkwürdiges Verhalten. Zum anderen scheint Mia (Sophie Wilde), eine Außenseiterin qua Herkunft (schwarz und arm), Orientierung (es knistert zwischen ihr und der besten Freundin) und Zustand (trauernd) durch den gespenstischen Händedruck eine Verbindung zur verstorbenen Mutter aufbauen zu können.

Aber ganz so gut Kirschen essen ist mit dem Jenseits und seinen Bewohner:innen nicht. Und die von der autoritären Experimentleiterin Hayley (Zoe Terakes) vorgegebene Séance-Zeitbegrenzung von 90 Sekunden entpuppt sich ebenfalls als Problem.

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Es ist nicht das erste Mal, dass sich Teenager in Genrefilmen zwischen Gaudi, Gruppenzwang oder als Mutprobe nahe an die Grenzen von Leben und Tod wagen, und dadurch dem Horror und seinen Konsorten buchstäblich Tür und Tor öffnen. Dem von dem visionären, auch bereits fantasyerprobten Studio A24 („Everything Everywhere All at Once“) produzierte Film kann man dennoch eine eigene und auch erstaunlich wirkmächtige Handschrift attestieren. Die Regisseure und Zwillingsbrüder Danny und Michael Philippou, die mit ihrem YouTube-Horror-Kanal RackaRacka erfolgreich eine feste Fangemeinde gefunden haben, gehen mit Effekten ebenso souverän um, wie mit dem alten Genreproblem einer diversen Besetzung.

Behutsam zeichnen sie ihre Protagonist:innen als einsame, an vielen ambivalenten Gefühlen (Verlust, Lust, Verwirrung) leidende Jugendliche, die glauben, ihre vermeintlichen Schwächen verstecken zu müssen. So gut gespielt sind Mia, ihre Freundin Jade (Alexandra Jensen) und deren kleiner Bruder Riley (Joe Bird), so berührend und detailliert dargestellt ist die Szene aus ganz normalen, prekären Vorstadt-Jugendlichen und ihren überforderten Eltern, dass man sich auch ein Drama ohne Übersinnliches vorstellen könnte – vielleicht sogar wünschen würde.

Splatterszenen und ein unnötiger Tabubruch

Denn es überwiegt – wie oft im Genre – nach einer interessanten Einführung dann doch die klassische Fokussierung auf den teilweise unplausiblen Horror. Und der schmälert das Interesse an den Charakteren und ihrer Entwicklung immer wieder durch zwar gut gemachte, aber langweilige und auch informationsarme Splatterszenen und Gruseleffekt, die vor allem Genrefans begeistern. Dass mit dem unschuldigen Riley zudem ein Kind leiden muss, ist ein unnötiger Tabubruch, der echte Empathie von vorneherein unmöglich macht.

So werden Mias eigentlich ergreifender Selbstfindungsgeschichte nach und nach buchstäblich die Gedärme entrissen. Denn das Jenseits mag zwar faszinierend sein, ob einen nun das Schmoren in der Hölle oder der Harfenklang über den Wolken erwartet. So interessant wie das Diesseits ist es aber nicht.

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