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„Edle Einfalt, stille Größe“ sah Winckelmann in der antiken Kunst.

© G. Draschowski

Winckelmanns Schätze : Vom Schustersohn zum Archäologen

Das Winckelmann-Museum in Stendal gedenkt des berühmtesten Sohnes der Stadt - und präsentiert eine Sonderausstellung zum Pferd in der Antike

Gleich im ersten Raum: ein Mord. Ein blutbeschmiertes Messer auf dem Tisch, ein umgestürzter Stuhl, ein großer roter Farbfleck auf dem Bett – die Ausstellung im Winckelmann-Museum in Stendal beginnt dramatisch. Denn Johann Joachim Winckelmann, Begründer der modernen Archäologie und Kunstgeschichte, fand im Juni 1768 ein trauriges Ende in einem Hotelzimmer in Triest.

Er wurde erstochen von einem vorbestraften Koch, der es auf seine wertvollen Gold- und Silbermedaillen abgesehen hatte, Geschenke von Kaiserin Maria Theresia. Sie hatte den in ganz Europa bekannten Wissenschaftler noch kurz zuvor in Wien empfangen, Beweis seiner Wertschätzung in höchsten Kreisen. „Ein kurzer Schrecken, ein schneller Schmerz“, schrieb Goethe schockiert, „nahm ihn von den Lebendigen hinweg“.

In Stendal, eine Zugstunde von Berlin entfernt, ist Winckelmann dennoch sehr lebendig. Ein zugleich anspruchsvolles und sinnlich gestaltetes Museum ist dem berühmtesten Sohn der Stadt gewidmet. Wer sich im grauen Berliner Winter nach Italien sehnt, kann diese Sehnsucht hier in der Altmark inmitten von Italienbildern, antiken Statuen und archäologischen Fundstücken ein wenig stillen. In diesem Winter kommen auch Pferdefreunde auf ihre Kosten: Eine Sonderausstellung widmet sich dem „Pferd in der Antike“.

In klassischer Pose. Johann Joachim Winckelmann.

© Dorothee Nolte

Am Rande der Altstadt gelegen, ist das von der Winckelmann-Gesellschaft getragene Museum mit Altbau, Neubauten und Museumspark großzügig gestaltet. Die Dauerausstellung führt durch Winckelmanns Leben: Im Altbau des Museums wurde der Wegbereiter des Klassizismus 1717 als Sohn eines Schusters geboren.

Nach Stationen als Hauslehrer und Bibliothekar kam er 1755 nach Rom, wo er seiner Leidenschaft für die antike Kunst nachgehen konnte. Er wurde vom Papst zum „Kommissar aller Altertümer Roms“ ernannt, reiste nach Sizilien, Neapel, Herkulaneum, Paestum und Pompeji und verfasste zahlreiche Werke, darunter die „Geschichte der Kunst des Alterthums“. Regelmäßig führte er hochgestellte Besucher durch die Stadt. „Edle Einfalt, stille Größe“ sah er in den antiken Skulpturen, von denen Kopien im Museum in Originalgröße aufgestellt sind.

Spektakulär ist der hölzerne Nachbau des Trojanischen Pferds im Museumspark: Mit über 15 Metern Höhe ist es, wie Direktorin Stephanie-Gerrit Bruer stolz sagt, das größte trojanische Pferd der Welt. Dazu passt das Thema der aktuellen Sonderausstellung „Das Pferd in der Antike – von Troja bis Olympia“. Die Gemeinschaftsausstellung mit der Universität Münster und dem Westfälischen Pferdemuseum zeigt anhand von archäologischen Funden, Skulpturen und Abbildungen auf Vasen und Münzen, wie Pferde im Altertum gehalten wurden und welche Rolle sie in Krieg, Sport und Mythologie spielten.

Spektakulär: Das größte Trojanische Pferd der Welt.

© Dorothee Nolte

Die Schau soll nicht nur Archäologie-Interessierte ansprechen: „Die Altmark ist ja eine Pferderegion, wir hoffen, dass auch Reiterinnen und Reiter kommen, die wissen wollen, wie ein Zaumzeug früher aussah oder wie ein römisches Kavalleriepferd ausgestattet war“, sagt Kuratorin Kathrin Schade. Und die nebenbei erfahren, welch große Wertschätzung den Tieren schon damals entgegengebracht wurde – sie waren nicht nur Reit- und Zugtiere, auch Statussymbole.

Pferde waren Statussymbole - und Figuren der Mythologie. Ausschnitt aus einem Vasenbild.

© Archiv Museum der WWU Münster / Robert Dylka

Es diente nicht nur als Reit- und Zugtier sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich, sondern war auch Rohstoffquelle und Statussymbol. Auch in der Religion und im Mythos spielte es eine wichtige Rolle. Zahlreiche Pferdedarstellungen auf Vasen, Münzen und Steinreliefs sowie Pferdeskulpturen aus Bronze belegen die große Verehrung und Wertschätzung in der damaligen Gesellschaft - und die innige Beziehung der Menschen zu ihren Pferden. Die Ausstellung spannt einen Bogen von der Pferdehaltung und -zucht über den Einsatz im Sport und im Krieg bis hin zur Rolle des Pferdes in der Mythologie.

Ein Tagesausflug nach Stendal lohnt sich besonders für Familien mit Kindern: Im Seitentrakt ist ein fabelhaftes Familienmuseum untergebracht. Hier können Kinder sich als Römerinnen und Römer verkleiden, in einer Handmühle Korn mahlen, antike Instrumente ausprobieren, Schattenspiele veranstalten, exotische Gewürze erraten und im Amphiheater einen Bericht über den Ausbruch des Versuvs hören.

Wer will mal Römer oder Römerin sein? Das Familienmuseum ist ein großer Spaß.

© Foto G. Draschowski

Die Faszination für die Antike, die Winckelmann seinerzeit nach Italien trieb, lässt sich so auf spielerische Weise nachempfinden. Im Sommer bietet das Außengelände noch mehr Möglichkeiten, etwa Knochen und Gefäße auszugraben oder antike Ballspiele zu spielen.

Aber auch im Winter, wenn es nicht gerade stürmt und schneit, lockt das Trojanische Pferd im Garten. Raufklettern und durch Löcher in den Holzbrettern auf Stendal schauen: Das Glück der Erde liegt nicht nur auf dem Rücken, sondern auch im Bauch der Pferde.

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