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Apokalyptische Anmutung. Ein verendeter Döbel und andere tote Fische in der Oder bei Brieskow-Finkenheerd 2022.

© dpa/Frank Hammerschmidt

Zerstörer unterwegs: Werner Bätzing sieht eine Gesellschaft ohne Zukunft

Der Kulturgeograf kommt in seinem neuen Buch zu einer vernichtenden Bewertung unserer Lebensform. Ohne die Selbstbegrenzung früherer Kulturen geht es nicht für ihn.

Werner Bätzing gibt uns nicht mehr lange. Der emeritierte Professor für Kulturgeografie hält unsere gesamte Zivilisation für instabil. Unser Umgang mit der Erde erscheint ihm fatal und selbstmörderisch; Umweltverschmutzung, Artenschwund, Klimawandel sind die Stichworte.

Anders als die meisten Untergangspropheten leitet Bätzing seine Prognose nicht aus einem für die nahe Zukunft vorhergesagten oder herbeigerechneten Szenario ab, sondern aus einem Vergleich. Bätzing vergleicht die herrschende, liberal-demokratische Gesellschaftsform mit früheren menschlichen Seinsweisen.

Nicht mehr im Einklang

Das macht, so seltsam es sich liest, seine Vorhersage so beklemmend: Nach seiner Auffassung existierten Menschen über viele Jahrtausende im Einklang mit ihrem Lebensraum – und zwar nicht, weil es nur wenige Menschen gab, sondern weil diese wussten, wie sie mit ihrer natürlichen Umgebung umzugehen hatten. Weil sie wussten, wie sie ihren Lebensraum erhalten..

Wir sind, um im Bild und im Titel zu bleiben, homines destructores. Zerstörerische Menschen. Ob wir wollen oder nicht. Durch unseren Alltag. Durch unsere Mobilität. Durch unsere Arbeit und unseren Konsum. Wir variieren unseren Umgang miteinander und mit dem Planeten nur in Kleinigkeiten, fliegen gar nicht mehr oder weniger, trennen den Müll, fahren Elektroautos, hoffen auf Besserung.

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Für Bätzing ändert das alles nichts an der fatalen Fehlstellung des Menschen in der Industriegesellschaft zu dem Planeten, der ihn beherbergt. Dieser Autor mit seinem tiefenscharfen Wissen von der Archäologie bis zur Kulturgeschichte spannt einen weiten Bogen.

Fähig zur Selbstbegrenzung

Er untersucht, in welcher Beziehung Menschen der verschiedenen Epochen und Kulturen zu der Welt standen, in der sie lebten. Entscheidend ist für Bätzing: Der Mensch muss kein Zerstörer sein – er ist zur Selbstbegrenzung fähig. Schon frühe Phasen der Entwicklungsgeschichte zeigten, dass der Mensch nicht von Natur aus ein Homo destructor sei; dazu werde er aber, wenn er sich selbst keine Grenzen setze.

Die ersten, die sich selbst zu begrenzen wussten, waren Menschen, wie wir heute womöglich für primitiv halten: Jäger und Sammler, auf der Erde unterwegs vor 20.000 Jahren. Über sie schreibt Bätzing, sie hätten sich selbst als „Teil der Natur“ gesehen, genau wie Tiere, Pflanzen, Gewässer, Hügel, Felsen – ein beseelter Gesamtzusammenhang: „Die gesamte Welt bildet einen großen Zusammenhang, ein mythisches Miteinander-in-Beziehung-Sein aller Lebewesen, das Ausdruck der natürlichen Ordnung ist.“

Leben im Zusammenhang

Wollten die Menschen in diese Ordnung eingreifen, etwa indem sie ein Tier jagten und töteten, mussten sie vorher die Erlaubnis eines Wesens einholen, das sie als eine Art Schutzherrn der Tiere ansahen. Wollten sie einen Teil des Waldes brandroden, war die Erlaubnis des Schutzherrn des Waldes erforderlich. Das ritualhafte Einholen der Erlaubnis war die Sache des Schamanen, des Mittlers.

Auch eine spätere Existenzform des Menschen bewahrte diesen Sinn für ein Dasein in einem Zusammenhang, Einklang von Mensch und Natur: die egalitäre Bauerngesellschaft, deren frühe Formen Bätzing im Zeitraum 9500 vor Christus verortet.

Zwang zum „Mehr“

Dieser Lebensweise scheint der Forscher, der sich fast ein Arbeitsleben lang mit dem Leben in Alpenraum beschäftigt hat, besonders zugetan zu sein. 2020 veröffentlichte Bätzing eine breite, gut zu lesende Darstellung der Bauerngesellschaft: „Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform“. In dieser Lebensform veränderten Menschen die Landschaft erheblich stärker als die Jäger und Sammler. Sie rodeten, legten Terrassen an, doch sie fühlten sich der Natur und der Erhaltung ihrer Fruchtbarkeit religiös verbunden.

Mit der Aufklärung und der Industrialisierung verlor der Mensch diese Verbundenheit. Es ist leicht, Bätzings Argumentation gegen diese, wie anfangs gesagt, instabile Gesellschaftsform zu folgen, auch wenn man deren Liberalität schätzt. Aber das ist eben dieser Zwang zum „Mehr“ in der Wirtschaft, deren Gesetz die Steigerung der Produktivität, der Effizienz und des Gewinns ist. Bätzing hält dagegen, dass das auf einem endlichen Planeten nicht funktionieren kann.

Einen Ausweg weiß er nicht, schon gar nicht vertraut er der Politik mit ihren Versprechen, dass irgendetwas besser werde. Einen Ausweg, meint Bätzing, werde der moderne Mensch nur finden, wenn er wieder lerne, sich selbst zu begrenzen.

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