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Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Wang Yi, Mitglied des Politbüros und Direktor des Büros der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees Chinas.

© dpa/Soeren Stache

Deutschland soll bei „Wiedervereinigung“ mit Taiwan helfen: China betreibt dreiste Geschichtsverzerrung

Es zeigt, wie wenig Pekings Chefdiplomat Wang Yi Deutschland versteht: Bei einem Treffen mit Außenministerin Annalena Baerbock bat er, sie möge beim Anschluss Taiwans an die Volksrepublik unterstützen.

Ein Kommentar von Viktoria Bräuner

Deutschland bräuchte, heißt es oft in Expertenrunden, mehr China-Kompetenz. Aber braucht China auch mehr Deutschland-Kompetenz?

Wie anders ließe sich die Forderung des chinesischen Chefdiplomaten Wang Yi deuten, die Bundesrepublik möge seinem Land bei der „Wiedervereinigung“ mit Taiwan helfen. Zuvor hatte Außenministerin Annalena Baerbock bei dem Treffen mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang am Freitag vor einer militärischen Eskalation um die demokratische Inselrepublik gewarnt und einen möglichen Angriff durch China als „Horrorszenario“ bezeichnet.

Wang Yi, als Direktor des Büros der Zentralen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der KP dem chinesischen Außenminister Qin in der Hierarchie überstellt, konterte darauf am Samstag, er „hoffe und glaube“, dass Deutschland eine „friedliche Wiedervereinigung“ der Volksrepublik mit Taiwan unterstütze.

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Schließlich habe China einst auch die Wiedervereinigung Deutschlands unterstützt, sagte Wang den Angaben zufolge bei einem Treffen mit Baerbock. Taiwans „Rückkehr zu China“ sei eine zentrale Komponente der Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Was harmlos klingt, ist eine dreiste Verzerrung der Geschichte:

1. Von einer „Wiedervereinigung“ oder „Rückkehr“, wie von Wang Yi, gefordert, kann keine Rede sein. 

Taiwan hat nie zur 1949 gegründeten Volksrepublik China gehört. Dennoch erhebt das Regime in Peking Herrschaftsanspruch über den demokratischen Inselstaat, der offiziell die 1912 gegründete Republik China ist, aber keinen Anspruch mehr auf das Festland äußert. 

2. Vergleicht Wang die Herrschaftsansprüche seiner Kommunistischen Partei (KP) mit der deutschen Wiedervereinigung, so mögen manchem die Bilder des Mauerfalls vor dem inneren Auge flimmern: 

Glückselige Menschen, die für ihre Freiheit einstanden, gegen das Unrechtsregime der SED auf die Straßen gingen und sich schließlich dagegen durchsetzen konnten. Die mutigen Menschen der DDR haben die deutsche Einheit herbeigeführt, nicht etwa Bundeswehr-Kampfjets über dem Harz, wie sie China nun in die Straße von Taiwan schickt.

Auch in der Volksrepublik gab es eine große, auch jenseits der Hauptstadt aktive Demokratiebewegung. Am 4. Juni 1989 ließ die Kommunistische Partei Chinas Panzer über den Platz des Himmlischen Friedens in Peking rollen und die friedlichen Demonstrationen blutig niederschlagen.

Viele ostdeutsche Oppositionelle fürchteten deshalb, das DDR-Regime könnte ebenfalls zur „chinesischen Lösung“ greifen, denn das SED-Regime hatte sich hinter das Tiananmen-Massaker gestellt. Die Volksrepublik China hatte übrigens kein Problem damit, beide deutschen Staaten diplomatisch anzuerkennen.

Taiwan aber lebt schon lange in Freiheit, hat sich seit den 80er Jahren ein demokratisches System erkämpft und am Beispiel Hongkong gesehen, was die Einnahme durch Festland-China bedeutet: Die Ausschaltung der Opposition, Niederschlagung friedlicher Demonstrationen, Gleichschaltung der Zivilgesellschaft, Unterwanderung des Justizsystems sowie die Inhaftierung von Herausgebern und Journalisten der verbliebenen unabhängigen Zeitungen.

Laut jüngsten Umfragen sind 88,6 Prozent der Taiwanerinnen und Taiwaner für den Erhalt des Status Quo: sprich der de facto Eigenständigkeit Taiwans, wie sie seit mehr als 70 Jahren existiert. Nur 1,2 Prozent können sich eine „schnellstmögliche Vereinigung“ vorstellen. Kurz: Taiwan möchte keinen Anschluss an China, ebenso wenig wie das die Ukraine bei Russland will.

3. Die Aggression geht von der KP aus.

Sie hat sie mit ihrem „Ein-China-Prinzip“ – das sich von Deutschlands „Ein-China-Politik“ unterscheidet - bereits Pfähle in den Boden gerammt: Staaten, die mit Peking diplomatische Beziehungen haben, müssen diese mit Taipeh abbrechen. Das Regime verhindert die Teilnahme Taiwans an internationalen Organisationen, wie der Weltgesundheitsorganisation, und Konferenzen.

Ausländische Firmen unter Druck

Auch ausländische Firmen werden unter Druck gesetzt, auf Ihren Websites Taiwan fälschlicherweise unter China zu fassen, wie zum Beispiel der taiwanische Flughafen Taoyuan auf der Website der Lufthansa. Seit Xi Jinpings Machtübernahme 2012 geht China in diesen Bereichen immer aggressiver vor. 

Die militärischen Drohgebärden durch die chinesische Volksbefreiungsarmee nehmen ebenfalls zu. Beim Besuch der ehemaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im August in Taipeh startete Peking ein groß angelegtes Militärmanöver, trainierte eine Abriegelung und Invasion der Insel.

Gegen eine „friedliche“ Vereinigung wäre nichts einzuwenden, wenn China Taiwan nicht explizit mit einem Angriffskrieg bedrohte und militärisch bedrängte.

Viktoria Bräuner, Redakteurin Internationales

Als Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen nun in Los Angeles den aktuellen Repräsentantenhaus-Sprecher Kevin McCarthy traf, folgte erneut Annexionsrasseln in Form von Kampfjets und Kriegsschiffen. Das Überschreiten der Mittellinie in der Taiwanstraße durch das chinesische Militär gehört inzwischen zur Routine. Früher hatte Peking diese inoffizielle Grenze größtenteils respektiert.

Gegen eine „friedliche“ Vereinigung wäre nichts einzuwenden, wenn China Taiwan nicht explizit mit einem Angriffskrieg bedrohte und militärisch bedrängte – und ein Anschluss dem Willen der taiwanischen Bevölkerung entspräche. Doch die überwältigende Mehrheit der 23,6 Millionen Taiwanerinnen und Taiwaner lehnt das ab.

Was China aber will, ist Annexion

Die Position der Bundesregierung ist übrigens: Keine einseitige Änderung des Status Quo, schon gar nicht mit Gewalt. Wollten tatsächlich beide Seiten, China und Taiwan, eine Vereinigung, spräche nichts dagegen. Was China aber will, ist Annexion.

Wie könnte und sollte Deutschland diese expansionistischen Ideen unterstützen? Noch als Ministerin Baerbock in Peking war, wurden zwei Menschenrechtler verhaftet, die auf dem Weg zur EU-Vertretung waren. Sie liegt im Viertel Sanlitun, direkt neben der deutschen Botschaft. Früher wurden Oppositionelle teilweise sogar freigelassen, wenn hochrangige, ausländische Gäste die Volksrepublik besuchten. 

Umso besorgniserregender ist, dass Chinas Partei-, Armee- und Staatschef Xi Jinping in seinen Reden den Anschluss Taiwans zur Voraussetzung für den Aufstieg seines Landes zur Weltmacht macht.

China versucht jetzt, das Narrativ so zu drehen, dass es äußere Faktoren sind, die einen Krieg auslösen, wie die Einmischung durch die USA, oder verhindern, etwa mithilfe deutscher Unterstützung. Das ist Unsinn. Die Entscheidung liegt – genau wie im Fall der Ukraine, Russland und Kremlchef Wladimir Putin – bei Xi Jinping allein.

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