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Düzen Tekkal ist neue Kolumnistin.

© Richard Pflaume / Montage TSP

Die westlichen Staaten müssen eng kooperieren: Was für Afghanistan getan werden kann

Das Gesundheitssystem kollabiert, die Bevölkerung hungert und friert: Der Westen muss den Menschen in Afghanistan helfen, ohne die Taliban zu legitimieren. Ein Kommentar.

Das leicht pixelige Handyvideo zeigt Köpfe von Schaufensterpuppen, die auf dem Boden liegen. Mehrere Männer stehen um diese herum. Ein anderer bringt immer neue Puppen heran, um diesen mit einer Handsäge die Köpfe abzusägen. Der Stoff des Kleides ist im Weg. Um sägen zu können, muss der Mann den Stoff erst etwas beiseite schieben. Die Männer feixen und lachen. Als der Kopf der Puppe fällt, kommentiert der Filmende mit „Allahu Akbar“.

Das Video, in einem Geschäft für Frauenbekleidung in der afghanischen Stadt Herat gefilmt, verbreitete sich zu Jahresanfang wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien. Anlass ist ein Erlass der Taliban, der Schaufensterpuppen verbietet. Ein Sprecher des neu geschaffenen „Ministeriums zur Erhaltung der Tugend und Verhinderung des Lasters“ bezeichnete sie als „unislamische Götzenbilder“.

Die Symbolik dieser Bilder ist verstörend. Die Szene kann als Sinnbild gelesen werden für die Beschneidung von Frauenrechten seit der Machtübernahme. Nach wie vor ist Frauen der Besuch weiterführender Schulen verwehrt. In den Bildungseinrichtungen, die sie besuchen dürfen, herrscht eine strikte Geschlechtertrennung. Vor kurzem trat ein Edikt in Kraft, das vorsieht, dass Frauen Wegstrecken ab 72 Kilometer nicht ohne männliche Begleitung auf sich nehmen dürfen.

Die 32 Frauenhäuser des Landes haben geschlossen

Generell gilt für sie eine strenge Kleiderordnung: eine Verhüllung vom Kopf bis zu den Füßen. Wohnungen in Erdgeschossen dürfen von der Straße aus nicht einsehbar sein. Weibliche Darstellerinnen dürfen nicht mehr im TV zu sehen sein. Die 32 Frauenhäuser des Landes haben geschlossen. Gegen Frauen, die für ihre Rechte auf die Straße gehen, gehen die Taliban brutal vor.

Hinzu kommen die desaströse Wirtschaftslage und ein kollabierendes Gesundheitssystem. Seit der Machtübernahme im August letzten Jahres hat das Krankenhauspersonal keinen Lohn erhalten. Die Sterberate unter Säuglingen ist die höchste seit 20 Jahren. Medikamente werden knapp und Temperaturen um den Gefrierpunkt setzen der Bevölkerung zu. Die UN schätzt die Zahl der akut von Hunger bedrohten AfghanInnen auf 23 Millionen. 97 Prozent der afghanischen Bevölkerung könnten im Laufe des Jahres unter die Armutsgrenze von 1,90 Dollar pro Kopf und Tag fallen. Da man das Taliban-Regime nicht stärken und legitimieren will, wurden im August 2021 internationale Hilfsgelder und die Devisenreserven der afghanischen Zentralbank eingefroren – Beträge in Milliardenhöhe.

Ein Kind auf den Straßen von Kabul, im Dezember 2021.
Ein Kind auf den Straßen von Kabul, im Dezember 2021.

© Mohd Rafsan/ AFP

Immerhin wurde nun ein Weg frei gemacht, der es ermöglicht, dass die 160 nationalen und internationalen Hilfsorganisationen im Land handlungsfähig bleiben. Im Dezember hat der UN-Sicherheitsrat einstimmig eine von den USA eingebrachte Resolution angenommen. Diese sieht vor, dass Finanzhilfen und Hilfslieferungen dringend benötigter Güter ins Land gelassen werden – und zwar so, dass die Sanktionen gegen die Taliban intakt bleiben. Ein Schritt in die richtige Richtung: Denn Menschen, die kurz vor dem Verhungern sind, sind letztlich am allerwenigsten frei.

Westliche Staaten sollten eng zusammenarbeiten, um langfristig eine Strategie zu entwickeln, wie die Sanktionen gegen die Taliban nicht die gesamte Bevölkerung treffen. Außerdem könnte den Taliban in Aussicht gestellt werden, dass die eingefrorenen Milliardenbeträge der afghanischen Zentralbank freigegeben werden, wenn die neuen Machthaber in Kabul Menschen- und Frauenrechte achten. Auf jegliche Hilfe zu verzichten und das Land stattdessen im Chaos versinken zu lassen, könnte sich als fatal erweisen. Die Taliban könnten dann voll auf die Schattenwirtschaft mit dem internationalen Opiumhandel setzen, um weiterhin an der Macht zu bleiben – während die Bevölkerung aushungert oder sich in gigantischen Flüchtlingsbewegungen auf den Weg ins Ausland macht.

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