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14.10.2022, Berlin: Florian Toncar (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, spricht in der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag, zu Beginn der Debatte um den Gesetzentwurf zur "Änderung des Stabilisierungsfondsgesetzes zur Reaktivierung und Neuausrichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds", vor den Abgeordneten. Hauptthemen der 61. Sitzung der 20. Legislaturperiode sind die Änderung des Stabilisierungsfondsgesetzes, das Jahressteuergesetz 2022, die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes im Irak, sowie der Bericht zum Stand der deutschen Einheit. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa / Bernd von Jutrczenka

Historischer Beschluss im Bundestag: Zeitenwende auch in der Etatpolitik

Der 200-Milliarden-Fonds für die Energiepreisbremse erhöht die Schulden des Bundes nochmals massiv. Die Zinslasten werden damit zur Herausforderung

Ein Kommentar von Albert Funk

An diesem Freitag wird der Bundestag beschließen, dass 200 Milliarden Euro in einen Rettungsfonds gelegt werden. Sie müssen über Kredite aufgebracht werden – für die Finanzierung der Gaspreisbremse und für Hilfen an Unternehmen, die ins Schlingern geraten. Dieser Beschluss ist historisch. Auch er markiert eine Zeitenwende.

Die erste Auflage dieses Wirtschaftsstabilisierungsfonds, abgekürzt WSF, beschlossen im März 2020 unter dem Eindruck des Corona-Schocks, hatte ein Volumen von 600 Milliarden Euro. Tatsächlich gebraucht (und über neue Schulden finanziert) wurden nur knapp 44 Milliarden Euro. So glimpflich wird es dieses Mal nicht enden. In der Koalition geht man davon aus, dass die 200 Milliarden auch nötig sein werden.

Damit werden sich die Schulden des Bundes auf nahezu zwei Billionen Euro erhöhen, eine Verdopplung im Vergleich zu 2019. Allein 500 Milliarden Euro an neuen Krediten hat die Ampel-Koalition in diesem Jahr auf den Weg gebracht: 60 Milliarden für Klimainvestitionen, 100 Milliarden für die Bundeswehr, 140 Milliarden zur Deckung des regulären Etats, und nun der WSF.

Putins Kalkül

Man darf davon ausgehen, dass es zum Kalkül des russischen Präsidenten Putin gehört, in seinem Energie- und Wirtschaftskrieg gegen den Rest Europas auch dessen Schuldenlasten nach oben zu treiben. Denn hohe Schulden werden immer mehr zu einem Problem werden, seit die Nullzinsphase vorüber ist. Was heute an neuen Krediten aufgenommen wird, kostet deutlich mehr als noch vor zwei, drei Jahren. Mittlerweile muss der Bund für eine länger laufende Anleihe schon mit 2,3 Prozent rechnen.

Es könnten noch deutlich mehr werden in den kommenden Monaten. Die Inflation hat sich hartnäckiger festgesetzt als zunächst angenommen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde deutete gerade erst an, dass die Notenbank weitere Zinserhöhungen plant. Damit dürften Renditen in Richtung drei Prozent nicht mehr lange auf sich warten lassen.

So beschließt der Bundestag heute eine immense Belastung auch für künftige Haushalte. Die Zinszahlungen werden schon in einigen Jahren wieder einen erklecklichen Anteil des Etats ausmachen – mehr als zehn Prozent sind nicht übertrieben. Die Ausgabenspielräume werden schrumpfen, es wird um Steuererhöhungen gehen oder um noch mehr Schulden, was dann wiederum die Zinszahlungen weiter nach oben treibt.

Schuldenbremse wird wichtiger

Insofern ist das Festhalten an der Schuldenbremse keineswegs ein Fehler. Dank der Notfallklausel in diesem Reglement war und ist die riesige Krisenverschuldung möglich gewesen. Die Schuldenbremse zu kippen würde bedeuten, ein wichtiges Instrument der Haushaltspolitik der kommenden Jahre preiszugeben: den Zwang zur Selbstdisziplinierung. Und der wird schneller kommen, als man sich das im Parlament möglicherweise gerade vorstellt.

Im Grunde beginnt die Zeit der Schuldenbremse jetzt erst: In den Überschussjahren nach 2014 lag sie praktisch in der Schublade, dann kamen Pandemie und Putin und die hohen Notlagenkredite. Die Kombination von Zinswende und Rekordverschuldung bringt nun eine Zeitenwende auch in der Etatpolitik.

Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, auch in den Wahlkämpfen, wie man mit den geringeren Spielräumen umgeht, wie man Wichtiges von weniger Wichtigem trennt (priorisieren nennt man das in der Politik neuerdings gern), wie man die Einnahmenpolitik anders gestaltet.

Haushaltspolitisch beginnt an diesem Freitag im Bundestag somit eine neue Ära – geprägt von der Gleichzeitigkeit hoher Schulden- und Zinslasten und einem großen Investitionsbedarf, der sich beim Umbau der Energieversorgung ergibt, vor allem beim Ausbau erneuerbarer Energien. Die Ampel-Koalition hat daher die Aufgabe, über den Tag und den WSF hinaus den Weg in diese neue Ära zu bahnen. Das wird eine größere Herausforderung als einen neuen Schuldenfonds aufzumachen.

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