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In London und anderen Städten weltweit werden regelmäßig Proteste zur Freilassung des britisch-ägyptischen Bloggers und Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah organisiert.

© Foto: Getty Images

Abdel Fattah im Kampf gegen al-Sisi : Wer ist der Mann, der zur Symbolfigur des ägyptischen Widerstands geworden ist?

Sein Name schwebt über der UN-Klimakonferenz: Alaa Abdel Fattah. Der Ägypter im Hungerstreik ist nicht der einzige aus seiner Familie, der es mit dem Regime aufnimmt.

Ihr leerer Blick und die tiefen Augenringe lassen erahnen, wie die junge Frau die vergangenen Tage erlebt haben muss. Sie spricht mit dünner Stimme und muss immer wieder schlucken, bevor sie ihre Forderungen auf der Pressekonferenz im Rahmen des UN-Klimatreffens am Dienstagabend ausspricht.

„Dies war die schwierigste Zeit, die meine Familie je erlebt hat“, sagt Sanaa Seif, die Schwester des ägyptischen Aktivisten und Bloggers Alaa Abdel Fattah, der derzeit in Haft sitzt und einen Hungerstreik vollzieht. Diesen weitete er am Sonntag mit Beginn der UN-Klimakonferenz aus: Nun verzichtet er auch auf Wasser.

Sanaa Seif macht deutlich, dass sie Angst um das Leben ihres Bruders. hat. Dennoch gibt sie sich kämpferisch: „Was auch immer passiert ist, die symbolische Schlacht ist gewonnen“.

Galionsfigur des jungen Widerstands

Wer aber ist der britisch-ägyptische Aktivist Abdel Fattah? Eine wichtige Rolle spielte er in der Revolution von 2011, die den langjährigen Präsidenten Hosni Mubarak stürzte. Während der Proteste auf dem Tahrir-Platz wurde er 2013 von ägyptischen Behörden festgenommen. Große Teile des vergangenen Jahrzehnts verbrachte der Aktivist für Freiheit und Menschenrechte bereits in Haft.

Als die Hoffnungen und der Mut groß waren: Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Februar 2011.

© APA Images/Karam Nasser/Shutte

Zuletzt wurde er gemeinsam mit seinem Anwalt Mohamed al-Baqer im Dezember 2021 unter dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Inhaftiert ist er bereits seit 2019. Abdel Fattah soll „Falschinformationen“ verbreitet haben - ein gängiger Vorwurf gegen Dissidenten.

Vater eines autistischen Jungen

Seine Ehefrau Manal Hassan und er haben einen zehnjährigen Sohn, Khalid, der Autist ist und nicht sprechen kann. Oft sind auf Kundgebungen Fotos von Khalid als Kleinkind in den Armen seines Vaters zu sehen.

Dem BBC sagte Fattahs andere Schwester, Mona Seif, über ihren Neffen Khalid: „Er hat seinen Vater nur sehr wenig gesehen, aber er liebt ihn sehr. Er hat Fotos von ihm, und wenn jemand sagt, dass er ihm ähnlich sieht, geht Khalid zu dem Foto hin und zeigt auf ihn. Sie haben eine starke Bindung.“

Dodo, wie die Familie den Jungen nennt, habe seinen Vater Alaa seit fast einem Jahr nicht gesehen, schreibt Mona Seif. „Alaa sieht jetzt zu krank aus“, dabei brauche Khaled ihn mehr als alle anderen.

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Vier Leute und eine Regierungsspitze

Ihr Bruder ist im Gefängnis, weil er jemand sei, der die Menschen glauben lasse, dass die Welt ein besserer Ort sein kann, sagt Sanaa Seif auf der Pressekonferenz. Sie atmet kaum hörbar aus, sammelt sich kurz.

Gestört wird die Pressekonferenz von dem ägyptischen Abgeordneten Amr Darwish. Er unterbricht Seif und wirft ihr vor, den Westen gegen Ägypten aufzuhetzen. „Dies ist ein Krimineller, der keine Begnadigung durch den Präsidenten verdient hat“, holt Darwish aus, unmittelbar bevor er von UN-Sicherheitspersonal aus dem Saal eskortiert wird.

Ägypten unter dem Blick globaler Argusaugen

Ägypten ist in diesem Jahr Gastgeber der UN-Klimakonferenz (COP 27). Das Land versucht ein freundliches Gesicht abzugeben, doch die jahrelang anhaltende Welle von Inhaftierungen oppositioneller Demokratieaktivisten und Berichte von schweren Foltervorwürfen in Haft überschatten das Klimatreffen. Während der Aktivist Alaa Abdel Fattah zuvor über 200 Tage lang lediglich 100 Kalorien täglich zu sich nahm, hörte er mit dem Start der Klimakonferenz am 6. November auch mit dem Trinken auf.

„Da muss jetzt etwas entschieden werden. Da muss eine Freilassung möglich werden.“ So kommentierte Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Weltklimakonferenz die Situation von Fattah.

Als Revolutionär gefeiert, als Terrorist gefoltert

Alaa Abdel Fattah könnte an seinem Geburtstag nächste Woche tot oder frei sein. Laut Amnesty International habe der 40-jährige seiner Familie mitgeteilt, dass er im Gefängnis möglicherweise sterben wird. Die „grausamen“ Haftbedingungen Fattahs und seines Anwalts Mohamed al-Baqer verstoßen gegen das absolute Verbot der Folter und anderer Misshandlungen, klagt die NGO.

Abdel Fattah ist aus Protest gegen seine Haftbedingungen schon seit mehreren Monaten im Hungerstreik gewesen.

© Foto: Nariman El-Mofty/dpa

Im Zuge ihrer Festnahmen wurden ihre Namen auf die offizielle Terrorliste des Landes gesetzt. Ägypten beschuldige immer wieder Anwälte, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, sich terroristischen Organisationen anzuschließen, schreibt Mai El-Sadany, Juristin und Direktorin für Recht und Justiz am Tahrir-Institut für Nahostpolitik in Washington, D.C.

Fassungslosigkeit bei den Angehörigen von Alaa Abdel Fattah im Gerichtssaal.

© DPA

Weiter schreibt El-Sadany in einer wissenschaftlichen Publikation: „Internationale Organisationen, Verbände und Experten haben die Alarmglocken läuten lassen, aber viele ausländische Regierungen - insbesondere Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus - haben weggeschaut oder in einigen Fällen Ägypten für seine Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung vorbehaltlos gelobt.“

In einem Tweet fordert sie internationale Akteure dazu auf, sich für die sofortige Freilassung von Alaa Abdel Fattah einzusetzen. „Es ist ziemlich einfach. Fordern Sie jetzt die sofortige Freilassung von Alaa. Nicht morgen, nicht in 3 Wochen. Sein Leben steht jetzt auf dem Spiel.“

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Politischer Aktivismus als Familientradition

Mit Anklagen und Inhaftierungen ist die Familie Alaa Abdel Fattahs immer wieder ausgesetzt. Sie ist für ihren politischen Aktivismus bekannt. Fattahs Vater war bis zu seinem Tod im Jahr 2014 ein bekannter Kritiker von Präsident Sisi. Seine Mutter Laila Soueif, (Universitätsprofessorin) und die jüngeren Schwestern Mona Seif (Genforscherin) und Sanaa Sei (sie studierte Sprachen) waren ebenfalls inhaftiert.

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Der gebündelte Aktivismus der Familie ist Machthaber Sisi ein Dorn im Auge. Er nimmt sie seit Jahren ins Visier. In einem Interview mit dem arabischen TV-Sender Al Jazeera, das diesen Sommer erschien, erzählt Schwester Mona Seif von Verleumdungskampagnen, denen ihre Familie ständig ausgesetzt gewesen sei. In den sozialen Medien, aber auch in staatlich gelenkten Zeitungen - letzteres war in den letzten drei Jahren immer häufiger der Fall war, wie Mona Seif berichtet. Staatliche Zeitungen nannten sie „die Familie, die Chaos verbreitet, indem sie Unruhen verursacht und Terroristen verteidigt“.

Präsident al-Sisi regiert das Land seit 2014.

© Foto: dpa/Andy Rain

Der Denker

Über ihren Bruder, der Softwareentwickler war, sagt Mona Seif in einem Interview mit Al Jazeera: „Er war immer daran interessiert, den Menschen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie sich selbst ausdrücken und schreiben können.“ Das derzeitige Regime wolle ein Exempel an allen wie Alaa statuieren, die „es gewagt haben, von einem Wandel zu träumen und zu hoffen.“

Auch er selbst hat geschrieben. Gemeinsam mit seiner Frau Manal Hassan begründete er die ersten arabischen Blog-Aggregatoren „Manalaa“ und „Omraneya“.

Unsere rosigen Träume werden wahrscheinlich nie in Erfüllung gehen.

Alaa Abdel Fattah

Seine Inhalte sind vor allem politisch. Mit Metaphern versucht Fattah fassbar zu machen, was ihn seit fast einem Jahrzehnt eigentlich die Hoffnung auf Veränderung rauben müsste.

„Unsere rosigen Träume werden wahrscheinlich nie in Erfüllung gehen“, schreibt Fattah in einem 2019 veröffentlichten Essay über die Klimakrise. „Aber wenn wir uns unseren Albträumen hingeben, wird die Angst die Kontrolle übernehmen, lange bevor die Flut überhaupt kommt.“

Der politische Aktivist und Blogger Alaa Abdel Fattah befindet sich im totalen Hungerstreik.

© Foto: AFP/Khaled Desouki

Seine gesamten Schriften aus den Jahren 2011 bis 2021, von denen viele aus seiner Zelle geschmuggelt wurden, sind in dem Buch „You Have Not Yet Been Defeated“ gesammelt. „Er ist ein Jedermann, aber ein Denker, daher das Problem für das Regime“, beschreibt Mona Seif ihren Bruder. „Er ist ein Mann, der in der Lage ist, diese Gedanken sehr klar und prägnant zu artikulieren und dadurch seine Reichweite zu vergrößern.“

Während eines Prozesses sagte Fattah auf der Anklagebank unter Tränen: „Unsere einzige Pflicht ist es, weiter für die Wahrheit zu kämpfen. Nicht um zu gewinnen oder einen Sieg zu erringen. Nur, dass wir niemals aufgeben, für das Richtige zu kämpfen.“

Denken und kämpfen, immer gleichzeitig

In seinem Essay „Five metaphors on healing“, der drei Tage vor Beginn seiner im Jahr 2019 veröffentlicht wurde, setzt Fattah Ausführungen großer Philosophen in den aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext und beschreibt den Prozess einer Heilung angesichts vermeintlicher Hilflosigkeit.

Der Schmerz ist der Preis, der für die Erlösung zu zahlen ist.

Alaa Abdel Fattah

Er zitiert Friedrich Nietzsche: „Du musst bereit sein, dich in deiner eigenen Flamme zu verbrennen. Wie könntest du wieder auferstehen, wenn du nicht vorher zu Asche geworden bist?" Weiter schreibt er, dass der Schmerz ein Preis ist, der für die Erlösung zu zahlen sei.

Alaa Abdel Fattah scheint sich der tragischen Tatsache zu stellen, dass Menschen, die sich gegen Diktatoren stellen, neben Verfolgung und Folter auch mit Verlusten und dem Tod rechnen müssen. Wirkung zeigt sein Protest in jedem Fall, mindestens durch eine solidarische Mobilisierung in aller Welt.

Der Fall Alaa Abdel Fattah empört nicht nur die Oppositionellen in Ägypten. Auch das Außenministerium Großbritanniens ist involviert, da Fattah britischer Staatsbürger ist, weil seine Mutter im Vereinigten Königreich geboren wurde.

So wurde seit Ankündigung seines totalen Hungerstreiks sowohl in London selbst wie auch vor britischen Botschaften anderer Länder demonstriert wie am Dienstagabend in Rom. Auch in US-amerikanischen Städten wie Washington, D.C. und Chicago, in Tunesien oder dem Sudan kam es zu Solidaritätsaktionen.

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